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Bildmaterial © TOBIS Film
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Ein Schotte macht noch keinen Sommer
(Guy Jenkin, Andy Hamilton)
Originaltitel: What we did on our holiday, UK 2014, Buch: Andy Hamilton, Guy Jenkin, Kamera: Martin Hawkins, Schnitt: Steve Tempia, Mark Williams, Musik: Alex Heffes, mit Emilia Jones (Lottie), Bobby Smalldridge (Mickey), Harriett Turnbull (Jess), Rosamund Pike (Abi), David Tennant (Doug), Billy Connoly (Gordie McLeod), Ben Miller (Gavin), Amelia Bullmore (Margaret), Lewis Davie (Kenneth), Celia Emrie (Agnes Chisolm), Annette Crosbie (Doreen), Maeve McCrorie (Violinistin), 95 Min., Kinostart: 20. November 2014
Ein weiterer würdiger Mitstreiter im Kampf um den idiotischsten deutschen Verleihtitel 2014 (auch wenn an Der 7bte Zwerg niemand herankommt). Für sich genommen, klingt der Titel gar nicht so blöd, dummerweise hat er nur gar nichts mit dem Film zu tun. Das bekannte Sprichwort »Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer« bezieht sich ja klar auf die Jahreszeit, die kalendarisch oder meteorologisch frühzeitig erhofft wird. Im Film spielt weder das Wetter noch die Jahreszeit eine besondere Rolle, und es geht auch nicht um einen besonderen Schotten, denn bis auf eine Intro spielt etwa 85% des Films in Schottland, und entsprechend laufen da einige Schotten herum, wobei der Schotte, den man unter Waffengewalt für eine Interpretation des Titels heranziehen würde, ein ganz anderer ist als der, der gemeinsam mit zwei anderen Kiltträgern mit seiner unteren Körperhälfte auf dem Plakat zu sehen ist (ich habe auch schon – im Berliner CinemaxX am PoPla – einen lebensgroßen Pappaufsteller gesehen, bei dem man sich hinter einen schottischen Unterleib stellen kann, um sich mit Schottenrock fotografieren zu lassen. Leidlich komisch, aber clevere Werbung). Am besten diesen Titel komplett verdrängen, der Film heißt What we did on our holiday.
Im günstigen Fall, dass der echte Titel bei der Filmsichtung zu Begin in krakeliger Kinderschrift zu sehen ist, passt nämlich alles zusammen, denn es geht um ein kindliches Ferienerlebnis, wie man es aus selbstverfassten Schulaufsätzen kennt. Und passend dazu gibt es auch einen kleinen Fehler im Titel, denn »holiday« bezeichnet einen Feiertag, was der junge Autor (vieles spricht auf den achtjährigen Mickey) jedoch meint, sind die Ferien, also »holidays« – wenn auch vieles dafür spricht, dass man nur ein verlängertes Wochenende in Schottland verbringt.
Lottie (10, gespielt von Emilia Jones), Mickey (8, Bobby Smalldridge) und Jess (5, Harriett Turnbull) sind drei Geschwister aus einer Trennungsehe, und auch, wenn sie nicht von so prominenten Darstellern wie die Eltern (Rosamund Pike & David Tennant) gespielt werden, sind sie klar die Hauptfiguren dieses Films. Fast in jeder Szene involviert, mit der meisten Screentime und den meisten Dialogen. Aber weil Erwachsene gerne Filme über Erwachsene sehen, stehen die Namen der Kids nicht groß auf dem Plakat, was klarer Etikettenschwindel ist.
Nur weil die Hauptfiguren eines Films Kinder sind, heißt das nämlich längst nicht, dass es sich um einen Kinderfilm handelt. Man denke nur an The Reflecting Skin oder Låt den rätte komma in – großartige Filme, die man aber dennoch nicht gemeinsam mit Drittklässlern anschauen würde. Und What we did on our holiday ist zwar im weitesten Sinne eine Coming-of-Age-Geschichte, die aus Kindersicht erzählt ist und einige pädagogische Einsichten mit sich bringt, aber kindertauglich ist der Film schon deshalb nicht, weil die kleinen Stars hier auf einige Ideen kommen, die jedem Erziehungsberechtigten den kalten Angstschweiß ausbrechen lassen, angefangen mit entwendeten Schlüsseln, drastischen Erpressungsmethoden (Luft anhalten bis zur Ohnmacht) oder einem ausgeliehenen Kraftfahrzeug, und kulminierend in nahezu traumatischen Bildern, denn ein Benzinkanister und eine Packung Streichhölzer sind normalerweise Gegenstände, die man für Kinder unzugänglich lagert.
Aber ich presche zu schnell voraus mit der Handlung. Zunächst einmal sind Lottie, Mickey und Jess ganz normale Kinder, die nur genervt davon sind, dass ihre Eltern Abi und Doug nicht mehr zusammenleben, nun aber von ihren Kindern fordern, dass diese beim Familienausflug zum 75. Geburtstag des Großvaters Gordie (Billy Connolly, dem man meines Erachtens nicht ansieht, dass er tatsächlich schon über 70 ist) die Eheprobleme der Eltern am besten verschweigen sollen. Weil der Opa gesundheitlich angeschlagen ist und Herzprobleme hat. Kinder zum Lügen anzuhalten ist aus pädagogischer Hinsicht natürlich auch nicht unbedingt empfehlenswert.
Doch durch diese Prämisse haben die Kids quasi von Beginn des Films an so etwas wie den Freischein, Erwachsene zu kritisieren, zu hinterfragen und schlichtweg zu nerven. Und das machen die drei wirklich großartig. Die Dialoge des sitcom-erfahrenen Autoren- und Regieteams sind prächtig, und auch wenn die Kids eine Winzigkeit zu altklug herüberkommen (»I’m ten, I'm not insured!«), hat man auch mal das Gefühl, dass einige Sätze aus Kindermund sich dem Improvisationstalent der Dreikäsehochs verdanken. Verglichen mit all dem, was die Kids so zum Film beitragen, sind die Fettnäpfchen, in die die Erwachsenen so trampeln (beispielsweise ein Überwachungsvideo aus einem Supermarkt, das es bis auf Youtube schaffte), kaum der Rede wert. Und zwischenzeitig hat der Film auch eine Phase, in der die Erwachsenen fast komplett ausgespart werden. Und das ist klar die unterhaltsamste, spannendste, witzigste und unvorhersehbarste Stelle des Films.
Und wenn die Erwachsenen mal strahlen, dann meistens auch im Zusammenspiel mit den Kids (sehr schön beispielsweise die Parallelmontage zwischen Damen- und Herrentoilette eines Rastplatzes, wo Mama und Papa ihren Zöglingen Details zum Thema Scheidung beibiegen).
Trotzdem hat der schönste Satz des Films aber dennoch nichts mit den Kindern zu tun, wenn der berühmte Schotte zur David-Tennant-Figur sagt: »You're so English, you're practically French!« Treffender kann man das nicht auf den Punkt bringen!