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1. Juli 2015
Thomas Vorwerk
für satt.org


  Ich seh ich seh (Veronika Franz & Severin Fiala)
Ich seh ich seh (Veronika Franz & Severin Fiala)
Bildmaterial © Koch Media
Ich seh ich seh (Veronika Franz & Severin Fiala)
Ich seh ich seh (Veronika Franz & Severin Fiala)
Ich seh ich seh (Veronika Franz & Severin Fiala)


Ich seh ich seh
(Veronika Franz
& Severin Fiala)

Österreich 2014, Buch: Veronika Franz, Severin Fiala, Kamera: Martin Gschlacht, Schnitt: Michael Palm, Musik: Olga Neuwirth, mit Susanne Wuest (Mutter), Lukas Schwarz (Lukas), Elias Schwarz (Elias), Hans Escher, Elfriede Schatz, Karl Purker, Georg Deliovsky, Christian Steindl, Christian Schatz, Erwin Schmalzbauer, 99 Min., Kinostart: 2. Juli 2015

Eines der ersten Bilder dieses Films (nach einer verschlissenen Heimatfilm-Szene, in der eine Art »Trapp-Familie« Guten Abend, gute Nacht singt) zeigt eine typische Urlaubsszene, bei der man damit rechnet, dass jeden Moment etwas »durchbrechen« wird aus der stillen Oberfläche des Sees – ganz leise hat mich schon diese trügerische Idylle an die Schlussszene von Sean S. Cunninghams Erfolgs-Slasher Friday the 13th erinnert, einem mit einem Schockeffekt offenbarten Alptraum des »Final Girl«, wie er fast 1:1 von Brian De Palmas Carrie übernommen wurde. Dieses dräuende Gefühl von einem bösen Grauen, das hinter der nächsten Ecke lauert zeichnet Ich seh ich seh aus – inklusive Kindern, die durch ein Maisfeld laufen, womit wir gleich schon wieder bei einer Stephen-King-Verfilmung wären. Und zumindest eine waschechte Splatterszene (Zartbesaitete halten das Kissen bereit) hat der Thriller aus dem eher piefigen Herkunftsland Österreich noch in petto.

Die ca. 10-12jährigen Zwillinge Lukas und Elias (Lukas und Elias Schwarz) erwarten die Wiederzusammenführung mit ihrer Mutter (Susanne Wuest) nach deren Unfall und Krankenhausaufenthalt. Sie ist nicht nur aufgrund von Bandagen nicht wiederzuerkennen, die Buben beschleicht auch das Gefühl, dass sie sich anders verhält, womöglich gar nicht die Mutter ist, sondern eine Betrügerin, die aus irgendwelchen Gründen nur so tut, als sei sie die Mutter, und die sich ihr Vertrauen erschleichen will.

Der anfängliche Argwohn weitet sich immer stärker aus und eskaliert später in einen Krieg zwischen den Generationen. Hierbei sind einige der episodisch anmutenden Szenen sehr gelungen, mysteriös und verstörend, aber hier und da hat man es auch etwas übertrieben, wenn etwa ein Katzenkadaver in einem Aquarium voller Spiritus oder Formaldehyd aufgebahrt wird oder der ans Bett gefesselten Mutter die Lippen mit Sekundenkleber verschlossen werden.

Nicht nur bei diesem emotionalem Exzess, der in eine Karikatur abzudriften droht, fühlt man sich an Co-Produzent Ulrich Seidl, aus dessen Umfeld beide Regisseure stammen, erinnert. Insbesondere auch bei der detaillierten Ausstattung, zu der 54 extra angefertigte Jalousien oder ein schemenhaftes Frauenbild in Lebensgröße gehören, sieht man seinen (indirekten) Einfluss, den aber auch der für das österreichische Kino unumgängliche Michael Haneke bei diesen »not so funny« Games ausübt.

Ich für meinen Teil hatte mir von dem Film etwas wie Jessica Hausners Hotel erhofft, nach wie vor das Nonplusultra des stilbewusst bedrohlichen österreichischem Kino, eine Art »Kubrick light«, doch Ich seh ich seh erinnert eher an David Lynch und überschreitet dabei auch gern und oft die Grenzen zu einem lupenreinen Horrorfilm – mit (abermals episodischen) Szenen, die in einen narrativen Limbo auslaufen und dadurch eine sehr traumähnliche, aber dabei handfeste Atmosphäre aufbauen – mit Kakerlaken oder einer Armbrust.

Gerade die Armbrust in Kinderhand legt eine Verwandtschaft zu The Babadook nahe, wo es auch um die Beziehung zwischen einer Mutter und ihrem Sohn geht, die bei vordergründigen Horrorbildern vor allem eine ganz andere Geschichte zu erzählen versucht. Doch diese ist bei Ich seh ich seh hinter dem eigentlichen Mysterium (Ist sie die richtige Mutter? Und wenn ja, was läuft hier dennoch schief?) versteckt, es geht um keine ausformulierte Allegorie, die sich bei den Gesetzen des Horrorgenres anschmiegt – Ich seh ich seh ist tatsächlich Horror (der auch manche Zuschauer überfordern wird), und die psychologische Tiefe der Figuren, die insbesondere Susanne Wuest (Antares, Max Schmeling) in den Film bringt, ändert an seiner erbarmungslos zu Ende gebrachten Story nicht das Geringste. Spätestens da entfernt man sich vom doch eher glimpflichen Babadook um einiges – auch, wenn die beiden Filme ein interessantes Double Feature abgeben würden – aber nach zwei so emotional fordernden Gruselschockern wäre man als Zuschauer auch ziemlich ausgelaugt.