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Juni 2006 | Thomas Vorwerk für satt.org | ||
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HotelMit dem Berlinale-Wettbewerbsbeitrag Invisible Waves gab es dieses Jahr bereits eine Hommage an Stanley Kubricks The Shining. Der zweite Langfilm der Österreicherin Jessica Hausner (Lovely Rita) scheint sich noch stärker an diesen modernen Horrorklassiker anzulehnen. Schon die Grundkonstellation scheint fast direkt übernommen: Außerhalb der Saison wird in einem entlegen gelegenen Großhotel eine neue Angestellte (Franziska Weisz als Irene) eingewiesen, die schon bald über Indizien stolpert, daß ihre Vorgängerin auf mysteriöse Weise verschwunden ist. Nun ist das Hotel nicht so menschenleer und verwunschen wie das Overlook, und Irene nicht so durchgedreht wie Jack Torrance, doch im ganz normalen Arbeitsalltag gibt es neben Übergriffen, die sich eher als Mobbing zu erklären scheinen, auch immer wieder mysteriöse Begebenheiten, die wie aus einem Horrorfilm stammen. Da ist der dunkle Keller, in dem die Lampen per Zeitschaltuhr verlöschen. Da ist das Hallenbad, das ausgeleuchtet ist wie in Jacques Tourneurs Cat People, und in dem man beim nächtlichen Baden schon mal das Gefühl hat, man bekommt Besuch. Die nahe “Teufelsgrotte” und die Legende von der “Waldfrau” erinnern wie die seltsamen durch den Wald hallenden Schreie an das Blair Witch Project, und wem das alles noch nicht mysteriös genug ist, dem werden auch noch unheilvolle Vorhänge, Dopplungseffekte und Flurbegehungen, die plötzlich im Wald enden, geboten. David Lynch scheint somit auch zu den maßgeblichen Inspirationen der Regisseurin zu gehören. Doch bei aller beklemmenden Atmosphäre, präzis fabrizierter Tonspur und durchkomponierten Bildern legt Hotel wenig Wert auf eine herkömmliche Narration, die der unmerklichen Bedrohung ein Fundament bieten könnte. Zwar geht es auch um Irenes Beziehung zur Kollegin Petra (Birgit Minichmayer), und mit dem in der Dorfdisco aufgegabelten Erik (Christopher Schärf) hat Irene sogar eine kleine Affäre, doch kaum, daß Erik in geistiger Umnachtung den Notrufknopf drückt, ist er bereits aus dem Film verschwunden - und dies nicht etwa, weil er das Opfer dunkler Kräfte wurde, sondern wohl eher, weil es eben nicht um eine Love Story geht, sondern um die schleichende Verzweiflung einer einzelnen Person, die sich am neuen Arbeitsplatz und der ungewohnten Umgebung nicht einpassen mag (da helfen auch die Telefonate mit der Mutter wenig), und von den Kollegen mitunter wie ein Schaf unter Wölfen (oder ein Wolf unter Schafen …?) angeschaut wird. Das Schicksal der Irene ist ähnlich undurchsichtig und verstörend wie in Twin Peaks (ihre Vorgängerin Eva taucht immerhin noch wie Jack Torrance auf einem Photo der Belegschaft auf), und durch den dunklen Wald hallt ein Schrei, der halb nach einem Vogel, halb nach einer Frau klingt … Der Trailer zu Hotel ist etwas zu konventionell auf die Horror-Allgemeinplätze abonniert, der Film selbst ist eher experimentell als auf herkömmliche Art angsteinflößend. Wenn sich die Kamera etwa im Wald von hinten an Irene anschleicht, diese sich umdreht und zu schreien beginnt, so wirkt dieser aus unzähligen Horrorfilmen bekannte scream eher absichtlich etwas linkisch - der Regisseurin geht es zwar oft um Perfektion, aber hin und wieder ist auch das Fehlen der Perfektion besonders perfekt. Hotel ist trotz ausgeklügelter Bildarchitektur und einer immer streng zurückgekämmten Frisur der im farblich abgestimmten Angestelltendress hinter der Rezeption stehenden Irene nicht perfekt - aber dennoch interessanter als 95% jener Horrorfilme, die einen mit perfekten Timing von einem Schockmoment zum nächsten führen. Gerade das “in die Leere laufen” des Films - sowohl narrativ als auch manchmal topographisch - ist für den Zuschauer verstörender als ein mit einer Kettensäge bewaffneter Hobby-Koch, der Menschenfleisch auf seinem Speiseplan bevorzugt. |
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