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19. August 2015
Thomas Vorwerk
für satt.org


  Self/less – Der Fremde in mir (Tarsem Singh)
Self/less – Der Fremde in mir (Tarsem Singh)
Self/less – Der Fremde in mir (Tarsem Singh)
Bildmaterial © 2015 Concorde Filmverleih GmbH
Self/less – Der Fremde in mir (Tarsem Singh)
Self/less – Der Fremde in mir (Tarsem Singh)
Self/less – Der Fremde in mir (Tarsem Singh)


Self/less
Der Fremde in mir
(Tarsem Singh)

Originaltitel: Self/less, USA 2015, Buch: Àlex und David Pastor, Kamera: Brendan Galvin, Schnitt: Robert Duffy, Musik: Antonio Pinto, Ausstattung: Tom Foden, mit Ryan Reynolds (junger Damian), Ben Kingsley (Damian), Natalie Martinez (Madeline), Matthew Goode (Albright), Victor Garber (Martin), Derek Luke (Anton), Michelle Dockery (Claire), Jaynee-Lynne Kinchen (Anna), 117 Min., Kinostart: 20. August 2015

Von der Qualität vieler der nachfolgenden Beispielfilme ist Self/less zwar einen Deut entfernt, aber ich fühlt mich ein wenig an die »goldenen« 1970er Jahre des US-Kinos erinnert, als die Unterscheidung zwischen Paranoia-Thriller wie Alan J. Pakulas The Parallax View oder Coppolas The Conversation, straightem Action-Thriller wie French Connection oder Three Days of the Condor und einer spezifischen, für die Zeit sehr typischen Art von Science-Fiction-Film (The Stepford Wives, The Omega Man, Westworld, Soylent Green, Logan's Run) wirklich nur graduell wirkte. Innerhalb dieses Umfelds, in dem man sich Ryan Reynolds auch wie die aktuelle Version von Stars wie Warren Beatty, Robert Redford oder Charlton Heston vorstellen kann (Gene Hackman passt nicht so recht), wird umso deutlicher, dass Self/less gern ins Genre Sci-Fi gehören würde, im Endeffekt aber viel eher zur Kategorie Action passt.

Wenn man die Story wiedererzählt, klingt eigentlich vieles nach Science Fiction: eine suspekt wirkende Technologie namens »shedding« soll einem todkranken Multi-Milliardär (Ben Kingsley) die Möglichkeit geben, in einen eigens für ihn gefertigten Körper zu schlüpfen (der Körperkult als Sci-Fi-Prämisse wurde jüngst auch in The Surrogates mit dem nicht unähnlichen Sci-Fi- und Action-Star Bruce Willis thematisiert). Und dann, großer Schock und unmenschliche Abgründe, stellt sich heraus, dass der Körper gar nicht geklont war, sondern Erinnerungsfetzen eines in einer finanziellen Bredouille befindlichen Kerls (Reynolds) auftauchen. Und die Paranoia, der Kampf gegen ein supermächtiges Kartell, bekommt man gleich mitgeliefert, wenn die emotionskalte Kingsley-Figur im Körper des »jungen Damians« entdecken muss, dass dieser, der komplett bezahlte Wirtskörper, nun jenes hochemotionale Familienumfeld mit Frau und noch vor kurzem schwerkranker süßer Tochter hat, von dem der von seiner erwachsenen Tochter sehr weit entfernte alte Damian nie zu träumen gewagt hat. Zu blöd, dass nun die Geheimorganisation mit dem fiesen Anführer Albright (Matthew Goode ganz in seinem Element) und einem körperswitchenden rachsüchtigen Söldner hinter Edward (Reynolds' Name vor der Ganzkörperprostitution) und dessen wiedergefundener Familie her sind. Dies führt zu einigen aufwendigen Autostunts und einer Menge Kloppereien, die einen fast vergessen lassen, dass die Sci-Fi-Kiste ja auch komplexe Implikationen hat, die vielleicht sogar interessanter sind als die moralinsaure Frage danach, wer jetzt diesen Körper »verdient« hat und was er damit anstellen sollte.

Zugegeben, das hört sich alles nicht sehr schwärmerisch an, aber als Actionfilm »with benefits« funktioniert Self/less immerhin ganz gut, und das Drehbcuh hat neben dem dauernden Adrenalin immerhin auch hier und da ein paar clevere Ideen, wodurch man im heutigen Umfeld durchaus überdurchschnittliche Qualität liefert (wenn auch nicht verglichen mit den Siebzigern, die zwar oft naiver an solche Sujets herangingen, aber dennoch irgendwie mitreißender).

Die teuer erkaufte Unsterblichkeit, bei der einem Arzt und Apotheker unzureichend auf die Nebenwirkungen (Menschlichkeit, igitt!) vorbereitet haben, könnte die größte Stärke des Films sein, aber dabei ist Ryan Reynolds dann doch zu sehr Sonnyboy – und Ben Kingsley zu deutlich negativ konnotiert (»You're a business man, you understand this.«). Die hübsch vorbereitete Backstory, die gleich mitgeliefert wird mit dem neuen Körper, greift nicht so recht, wenn man auch nur ansatzweise was von dem Film mitgekriegt hat (und der recht plakative Filmtitel liefert hier schon einiges an vagem Vorwissen).

Was Tarsem Singh, bekannt als visuell opulenter Stilist (The Cell, The Fall, Immortals, Mirror, Mirror), aus diesem Stoff herausholen hätte können, erkennt man ansatzweise in der gruseligen Szene, über die ich im Gegensatz zu vielen anderen Story-Details des Film lieber gar nichts erzähle (und trotzdem wird man als Zuschauer im Nachhinein wissen, welche Szene ich meine) oder beim anfänglich sehr subtilen Spiel Kingsleys. Leider sind dies nur vage Andeutungen, die sich in diesem etwas zu sehr auf »Sommerblockbuster, der niemanden intellektuell überfordern soll« getrimmten Film nicht wirklich entfalten können. Aber, wie gesagt, als Unterhaltung mit einem kleinen Plus durchaus annehmbar und besser.