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2. August 2015
Thomas Vorwerk
für satt.org


  Gefühlt Mitte Zwanzig (Noah Baumbach)
Gefühlt Mitte Zwanzig (Noah Baumbach)
Gefühlt Mitte Zwanzig (Noah Baumbach)
Bildmaterial © SquareOne/Universum
Gefühlt Mitte Zwanzig (Noah Baumbach)
Gefühlt Mitte Zwanzig (Noah Baumbach)
Gefühlt Mitte Zwanzig (Noah Baumbach)


Gefühlt Mitte Zwanzig
(Noah Baumbach)

Originaltitel: While we're young, Buch: Noah Baumbach, Kamera: Sam Levy, Schnitt: Jennifer Lame, Musik: James Murphy, Production Design: Adam Stockhausen, mit Ben Stiller (Josh Srebnick), Naomi Watts (Cornelia Srebnick), Adam Driver (Jamie), Amanda Seyfried (Darby), Charles Grodin (Leslie Breitbart), Adam Horovitz (Fletcher), Maria Dizzi (Marina), 97 Min., Kinostart: 30. Juli 2015

Wenn 60 angeblich das neue 30 ist, können Fortysomethings doch auch als Twentysomethings durchgehen, oder? Das denken sich jedenfalls Ben Stiller und Naomi Watts in der neuen, fast an Woody Allen erinnernden Komödie von Noah Baumbach (The Squid and the Whale, Greenberg). Inspiriert durch neue Bekannte, die etwa zwanzig Jahre jünger sind (Adam Driver und Amanda Seyfried), durchleben die beiden zu einem Zeitpunkt, als ihre »alten« Freunde sich alle der (verspätet wirkenden) Familiengründung widmen, eine Art Frischzellenkur, die zu allerlei witzigen Konflikten führt.

Das Problem der neuen Generation, die die ältere aufs Abstellgleis geleitet, ist seit Menschengedenken präsent, aber jeder muss es mal selbst erlebt haben, um sich damit eingehender zu befassen. Das trifft jetzt auch auf Noah Baumbach zu – »gefühlt« eben noch ein Jungspund mit ein paar Drehbuchcredits, der sich an seinem Regiedebüt ausprobiert … und zack! ist auch er einer der arrivierten, etablierten alten Säcke, die ihre beste Zeit bereits hinter sich haben. Und so befasst auch er sich mit dem Thema, dessen Wiedergänger-Qualität er durch ein Ibsen-Zitat dem Film voranstellt.

Apropos Wiedergänger: Der gruseligste Moment des Films kommt ganz zum Schluss, wenn man einen kleinen Hosenscheißer sieht, der bereits auf einem Smartphone herumdrückt, als sei es die selbstverständlichste Sache auf der Welt (Hinweis: der Autor gehört zu den unbelehrbaren ewig gestrigen, die sich zwar der technologischen Errungenschaften bewusst sind, sich aber einbilden, dass man auch gut ohne leben könne). Im Horrorfilm sind es ja oft die Toten, die die Lebenden verdrängen wollen, aber eigentlich ist es das Auftauchen der zwanzig Jahre jüngeren Lebewesen, die unbarmherzig den Markt überschwemmen und einem vor Augen führen, das man nur noch ein Auslaufmodell ist, zu dem man immer schwieriger Ersatzteile besorgen kann.

Mit diesem eigentlich frustrierenden Thema befasst sich der Film auf sehr amüsante Weise, wobei aber das Idiotenmantra »Früher war alles besser« (denn früher war man jung) auch seine Bestätigung erfährt. Zum einen, weil die jungen Hipster im Film ganz auf Retro abfahren und ausgerechnet dem vermeintlich »neuem aufgeschlossenen« Pärchen Stiller und Watts zeigt, dass man nicht immer während eines Gesprächs jede Kleinigkeit googlen muss. Die Usurpatoren eignen sich auch noch die Vergangenheit der so verzweifelt an ihrer Jugend festhaltenden Mittvierziger an und haben etwa eine Plattensammlung in Vinyl oder eine elektrische Schreibmaschine. Aber gleichzeitig ist Adam Driver, der wie die Stiller-Figur Josh und dessen Schwiegervater Dokumentarfilmer ist, auch ein nicht unbedingt positiv konnotiertes Beispiel dafür, wie man »freier« und »flexibler« mit der rigiden Kunstform umgehen kann. Da hat man dann den Eindruck, dass zumindest die Filme früher besser (oder ehrlicher) waren. Und da ist es auch nur konsequent, dass Baumbach jetzt für sich die Mainstreamkomödie (mit Anspruch!) im Stil der 1980er oder gar 70er entdeckt hat. Statt weiter trotzig die Fackel der (kleinen) Avantgarde hochzuhalten, besinnt er sich Woody Allen, Rob Reiner oder James L. Brooks. Und immerhin kann er mit diesen noch älteren Fürzen, die inzwischen nicht mehr viel zu sagen haben, mit Leichtigkeit mithalten. Richtig schlimm wird es mit dem Alter ja erst, wenn man keinen mehr hat, der vor einem steht auf dem langsamen Fließband zum Abgrund, während man hinter sich das Gedränge beobachtet …

Diesen »State of Mind« fängt der Originaltitel While we're young natürlich auch weitaus besser ein als der euphemistische Feelgood-Slogan »Gefühlt Mitte Zwanzig«.