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23. September 2015
Thomas Vorwerk
für satt.org


  Man lernt nie aus (Nancy Myers)
Man lernt nie aus (Nancy Myers)

Bildmaterial © 2015 WARNER BROS. ENTERTAINMENT INC. AND RATPAC-DUNE ENTERTAINMENT LLC ALL RIGHTS RESERVED; Photo Credit: Francois Duhamel

Man lernt nie aus (Nancy Myers)
Man lernt nie aus (Nancy Myers)
Man lernt nie aus (Nancy Myers)


Man lernt nie aus
(Nancy Myers)

Originaltitel: The Intern, USA 2015, Buch: Nancy Myers, Kamera: Stephen Goldblatt, Schnitt: Robert Leighton, Musik: Theodore Shapiro, mit Robert De Niro (Benjamin Whittaker), Anne Hathaway (Jules Ostin), Rene Russo (Fiona), Anders Holm (Matt), Josia Ruby Kushner (Paige Ostin), Adam DeVine (Jason), Christina Scherer (Becky Sharp), Andrew Rannells (Cameron), Zack Pearlman (Davis), Jason Orley (Lewis), Linda Lavin (Patty Pomerantz), Celia Weston (Doris), Nat Wolff (Justin), Drena De Niro (Hotel Manager), Mary Kay Place (Stimme Jules' Mom), Emma Angstadt (Maddie), C.J. Wilson (Mike the Driver), Stefanie Bari (Bad Driver), 121 Min., Kinostart: 24. September 2015

Keine zehn Jahre nach The Devil Wears Prada (2006) schlüpft nun Anne Hathaway in die Rolle der Modeexpertin (die von ihr gespielte Firmenchefin hat immerhin einen Onlineversand gegründet), die sich mit einem Praktikanten herumärgern muss, ehe sie langsam begreift, dass sie von dem noch einiges lernen kann. Die »tagline« auf dem Poster lautet »experience never gets old« (auf dem deutschen Plakat reichlich blöder »Ihr Praktikant hat viel Erfahrung«), und Robert De Niro spielt den 70jährigen »senior intern«, der zwar nicht der Tochter der Chefin den neuen Harry-Potter-Band vor Erscheinen besorgt, aber zumindest immer weiß, was er in welcher Situation zu sagen hat – und ein Taschentuch zur Hand hat, das er galant der Frau in Not reichen kann, die sich Tränen aus den Augen oder Erbrochenes von den Lippen wischen möchte.

Jules Ostin (Anne Hathaway) hat im Beruf alles erreicht, das Fünfjahresziel ihres Onlineversands »About the Fit« wurde schon in einem Dreivierteljahr erreicht, die Firma hat bereits 220 Angestellte, darunter eine eigene Masseuse (Rene Russo). Sie ist selbst schuld daran, dass sie sich einen Rentner als Assistenten aufgehalst hat, aber die Anleger wollen ihr auch noch einen CEO (chief executive operative) andrehen, bevor ihr der Laden über den Kopf wächst. Als halbwegs heller Betrachter geht man recht früh davon aus, dass ihr wohl irgendwann aufgehen wird, dass der so aufmerksame aus dem Rentenstand wiedererweckte Ben (De Niro) ihr idealer »Quasi-Boss« sein könnte (immerhin hat er 40 Jahre lang erfolgreich Telefonbücher gedruckt). Und man ist dem Film und seiner nicht immer überzeugenden Regisseurin Nancy Myers (von ihr stammt das Mel-Gibson-Vehikel What Women Want, der vielleicht frauenfeindlichste Film, den je eine Frau gedreht hat) dankbar, dass zwar vieles in dem Zwei-Stunden-Epos vorhersehbar ist, aber glücklicherweise nicht alles. Ich hätte auch ohne weiteres 20 Euro gewettet, dass Ben irgendwann einen Herzanfall bekommt, aber vermutlich war der erste Rohschnitt des Films über drei Stunden lang und man musste noch einiges rausschneiden (Gründe für diese Annahme: etwa das umständlich eingeführte Guacamole-Versprechen, auf das der Film nie wieder zu sprechen kommt oder einige durchaus interessante Nebenhandlungen um die Büro-Romanze zwischen Jason und Becky oder Bens neuen Mitbewohner, die dann in der zweiten Filmhälfte sehr stiefmütterlich behandelt werden).

Am besten ist der Film bei den Nebenschauplätzen, denn die Haupthandlung ist einfach zu hübsch dahindrapiert, bei den Kleinigkeiten am Rande ist wenigstens noch etwas zu entdecken. Ziemlich gut beobachtet hat Myers beispielsweise Kinderverhalten. Die Kleine, die Anne Hathaways Tochter spielt, ist natürlich unerträglich zuckersüß, aber sie hat einige der besten Dialogszenen bekommen. Hier ein Beispiel:

Ben: »I'm your mom's new intern.«
Paige: »That's hysterical.«
Ein Elternteil von Paige: »You know what an intern is?«
Paige: »No.«
Ben: »That's okay. Everyone thinks it's hysterical.«

Paige steht auch im Zentrum eines Beispiels für einen Witz des Films, der von seinem guten Timing lebt. Bei der Geburtstagsfeier der gleichaltrigen Maddie (auf die bezogen Paige das Wort »bi-polar« aufgegriffen hat, dass sie auch gerne hinter vorgehaltener Hand wiederholt, ohne einen wirklichen Einblick zu haben, was das bedeutet) fragt Ben, der sie kurzfristig babysittet, welches denn das Geburtstagskind sei. »The girl in pink« erklärt Paige und deutet in eine Richtung. Anderthalb Augenblicke später folgt der Gegenschnitt und man sieht acht bis zehn Mädchen um ein Klettergerüst wuseln, die alle offensichtlich Rosa zu ihrer Lieblingsfarbe erkoren haben. Da braucht Robert De Niro beim reaction shot keine Oscarleistung abziehen, das ist auch so einer der besten Lacher des Films. Umso deutlicher wird aber an einer anderen Stelle des Films (Dank an meinen Filmbetreuer und Praktikanten für diese Beobachtung), dass Nancy Myers nicht immer das Gespür für Comedy-Timing hat. Rene Russo als Masseuse Fiona, für die sich Witwer Ben erstaunlich schnell erstaunlich stark interessiert, gibt ihm gerade eine Kostprobe seines Könnens, als ein Kollege ins Zimmer tritt und die Situation eindeutig fehlinterpretiert. Die Szene mit nicht geringem Humorpotential wird aber komplett vermurkst – Timing, Montage, die Reaktionen: nichts stimmt. Und es wird auch versäumt, den Gag später noch mal zu »melken«, wenn der Kollege Ben irgendwie mit einem wissenden Gesichtsausdruck anspricht, Ben aber nichts kapiert.

Was im Film mit seinem großen Harmoniebedürfnis und dem Theodore-Shapiro-Kleister-Soundtrack auch nicht so recht klappt: Tränen als »Fenster in die Seele«. Ob Robert de Niro beim Musical Singin' in the Rain »Pipi in die Augen« bekommt und der ehemalige Mafia-Darsteller sich so in dieser Rolle als Softie offenbart (etwas dick aufgetragen) oder ob man immer wieder mit Anne Hathaway mitfühlen soll, weil so schön verletzlich ihre Rehaugen mit vermeintlichem Morgentau benetzen kann. Darüber sollen wir dann vergessen, dass sie ihre Mutter in einer SMS als »terrorist« und »raging bitch« bezeichnet, sie sehr vorhersehbar diese Mail »versehentlich« an die Mutter selbst schickt und dann auch noch ihre Untergebenen, die sie größtenteils nicht mal namentlich kennt, losschickt, um ins Haus der Mutter einzubrechen und deren Computer zu manipulieren (weil ja die Mailserver von älteren Menschen generell nie passwortgeschützt sind). Die Einbruchsszene hat zwar als Ocean's Eleven-Abklatsch (»Ben ist Elliot Gould, ich bin Clooney, du Matt Damon und du bist Ben Afflecks Bruder«) einige hübsche Momente, aber man nimmt es im Film offenbar einfach stillschweigend hin, dass der bösartige Klatsch der Tochter »in Ordnung« sei. Sicher, »Raging Bitch« ist eine auffällige Variation eines De-Niro-Films (die berühmte Spiegelszene aus Taxi Driver bekommt auch eine Variation), aber so spricht man doch nicht einmal mit Geschwistern über seine Eltern. (Es sei denn, sie haben es verdient – aber dafür gibt es im Film nicht genügend Indizien.)

Festzuhalten bleibt: für eine Lauflänge von zwei Stunden bleibt der Film trotz all seiner altmodischen Kranfahrten und Ansichten (man nimmt Nancy Myers keine fünf Minuten ab, dass sie die geringsten Einblicke in die Vorgänge von Startup-Unternehmen hat) immerhin ganz unterhaltsam – und das ist mehr, als ich erwartet hatte.

Und dass der Film mit der selben Tai-Chi-Szene endet, mit der er auch begonnen hatte, hat immerhin einen Anflug von Stil, den man im Mel-Gibson-Film zu keinem Zeitpunkt erreichte. Auch, wenn die Beziehung zwischen De Niro und Russo hier auch nicht viel mehr als eine konservative Altherrenfantasie ist. Für Nancy Myers ist es vermutlich schon ein riesiger Schritt in Richtung Feminismus, dass die Frau der Chef ist, der Angestellte Gefühle zeigt und der Ehemann den Haushalt führt und sich nach ein paar Irrwegen ganz seiner Frau unterordnet. Und Rene Russo erliegt ja immerhin den Reizen eines Robert de Niro, der ist ja eine Klasse für sich. Über den fantasierte ja selbst PJ Harvey noch vor etwas mehr als zwanzig Jahren (Textauszug Reeling: »I wanna bathe in milk / eat grapes / Robert De Niro / sit on my face«). 'Nuff said.