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2. März 2016
Thomas Vorwerk
für satt.org


  Zoomania (Byron Howard & Rich Moore)


Zoomania
(Byron Howard & Rich Moore)

Originaltitel: Zootopia, USA 2016, Co-Regie: Jared Bush, Buch: Jared Bush, Phil Johnston, Schnitt: Fabienne Rawley, Musik: Michael Giacchino, mit den Originalstimmen von: Ginnifer Goodwin (Judy Hopps), Jason Bateman (Nick Wilde), Idris Elba (Chief Bogo), J.K. Simmonds (Mayor Lionheart), Jenny Slate (Bellweather), Shakira (Gazelle), Maurice LaMarche (Mr. Big), Bonnie Hunt (Bonnie Hops), Don Lake (Stu Hopps), Tommy Chong (Yax), Octavia Spencer (Mrs. Otterton), Raymond S. Persi (Flash), Tommy »Tiny« Lister (Finnick), John DiMaggio (Jerry Jumbeaux jr), Katie Lowes (Dr. Madge Honey Badger), Alan Tudyk (Duke Weaselton), Nate Torrence (Officer Clawhauser), Mark Rhino Smith (Officer McHorn), Peter Mansbridge (Peter Moosebrindge), Jessy Corti (Manchas), 108 Min., Kinostart: 3. März 2016

Zootopia (der deutsche Titel wurde vermutlich nur gewählt, weil das – nicht mehr auf die Stadt »Zootropolis« passende – Wortspiel auch dann noch funktioniert, wenn man die ersten drei Buchstaben nicht englisch ausspricht) ist eine Stadt, in der zivilisierte Personen in Gestalt und Größe unzähliger Tierarten einigermaßen gut miteinander zusammenleben. Am auffälligsten ist hierbei, dass die in der normalen Welt geltende Unterscheidung in predator und prey (also Raub- und Beutetiere) quasi über die Zivilisation überwunden wurde. Das heißt aber nicht, dass bestimmte Stereotypen und Vorurteile komplett überwunden wurden. Und als es nun zu einer Reihe von »durchgedrehten« Raubtieren kommt (die einen als Zuschauer schnell an Tollwut erinnern), kommt es zu einem politischen Aufschrei, der einen an Los Angeles oder Köln erinnert.

Im wohl politischsten Disney-Animationsfilm aller Zeiten geht man sogar so weit, dass manchen der Raubtiere zum Höhepunkt der Debatte empfohlen wird: »Go back to the forest!« (man beachte die winzige Unterscheidung zwischen »Wald« und »Dschungel«!). Zu den Synchronsprechern gehören auch zahlreiche prominente Afroamerikaner wie Idris Elba oder Octavia Spencer, im Dienste der politischen Korrektheit hat man diese aber nicht 1:1 nur für die Raubtiere besetzt, sondern die offensichtliche Allegorie etwas kaschiert. Was spätestens dann auch wieder eine Spur ärgerlich wird, als das ansatzweise romantische Paar in den Hauptrollen von zwei Weißen besetzt wurde.

Zoomania (Byron Howard & Rich Moore)

Bildmaterial © Walt Disney Studios Motion Pictures

Judy Hopps (Ginnifer Goodwin), eine junge Häsin, die sich ganz frisch in Polizeiuniform beweisen muss, und Nick Wilde (Jason Bateman), ein Kleinkrimineller in Form eines Fuchses, erfüllen einerseits die typischen Erfordernisse eines Screwball-Pärchens, passen aber noch besser in die Kategorie Buddy Movie, nicht zuletzt, weil ihnen nur 48 Stunden Zeit bleiben, einen komplizierten und gefährlichen Fall zu lösen, bei dem sich erweist, dass sie sich – ob sie das nun wollen oder nicht – hervorragend ergänzen. Wer nicht spätestens bei der Zeitvorgabe an den berühmten Walter-Hill-Film 48 Hrs. mit Nick Nolte und Eddie Murphy denkt, verpasst natürlich, dass auch dort Schwarz und Weiß zusammenarbeiten sollen. Und weil der Ganove Nick Wilde nun den Vornamen der Person hatte, die damals den (weißen) Polizisten spielte, wird auch bei dieser offensichtlichen Allegorie die Brisanz etwas runtergeschraubt, wenn auf den Publicity-Fotos, die die beiden Hauptsprecher zeigen, eine farbliche Diskrepanz unübersehbar gewesen wäre, hätte dies womöglich dem Erfolg des Films schaden können (der übrigens in seiner Reklame nicht einmal ansatzweise auf die eigentliche Geschichte, die hier erzählt wird, eingeht).

Zoomania (Byron Howard & Rich Moore)

Bildmaterial © Walt Disney Studios Motion Pictures

Oder anders gesagt: man ist (wie bei Frozen) wieder sehr kreativ und mutig, traut dem Ganzen aber auf der wirtschaftlichen Seite nicht so ganz und lässt sich auch Hintertüren auf, um irgendwas zu dementieren. Bei Frozen tat man ja auch so, als sei es komplett absurd, Elsa als Lesbe, die sich outet, zu interpretieren. Weil eben große Teile des amerikanischen (und weltweiten) Publikums noch nicht bereit sind, bestimmte Figuren als Vorbilder für sich selbst oder gar ihre Kinder zu akzeptieren.

Zoomania (Byron Howard & Rich Moore)

Bildmaterial © Walt Disney Studios Motion Pictures

Das geht sogar so weit, dass Zootopia sich auch den Vorstoß in den feministischen bzw. emanzipatorischen Bereich selbst ein wenig kaputt macht. In der Geschichte wird es zwar so dargestellt, dass Polizistin Judy Hopps und Bürgermeister-Assistentin Bellweather wegen der friedlichen Natur ihrer Tiervorbilder (Hase und Lamm) in der Berufswelt nicht ernst genommen werden, aber man erkennt natürlich auch ganz klar den Subtext: sie sind eben »nur« Frauen, und die haben in der dog-eat-dog-Welt von Politik und Polizei laut den rückständigen Ansichten der Fantasiewelt von Zootopia nichts zu suchen. Dass Judy sich dennoch durchsetzt, qualifiziert sie natürlich als role model, und Superstar Rihanna in der Sprech- und Singrolle als »Gazelle« ebenfalls. Nur das ebenfalls karrieretaugliche Schaf Bellweather taugt gleich wieder als (dementierbarer) Beweis, dass das mit den Frauen in Männerrollen und -berufen doch auch in die Hose gehen kann.

Zoomania (Byron Howard & Rich Moore)

Bildmaterial © Walt Disney Studios Motion Pictures

Wären nicht diese generelle »Zwei Schritte vor und anderthalb zurück«-Mentalität und ein paar Längen, könnte Zootopia als perfekte (und zudem leicht subversive) Unterhaltung durchgehen, wobei der Subtext dem kindlichen Publikum auch zu einem gewissen Teil entgehen wird. Mal abgesehen davon, dass das »Nachspielen« der realen Welt mit Autos, Flugzeugen oder Fischen einen gewissen Ermüdungseffekt hat und gerade die meteorologischen Voraussetzungen Zootopias sich jeder logischen Grundlage entziehen (es sei denn, diese Tiere sind uns technologisch einiges voraus), hat man hier eine Krimistory, die man selbst als erwachsener Kritiker nicht zu schnell durchschaut, und einige wirklich tolle Ideen.

Etwa die Verfolgungsjagd, in Polizeifilmen fast obligatorisch, die hier in das sich durch Miniaturgebäude auszeichnende Viertel »Little Rodentia« verlegt wird, und dadurch an japanische Monsterfilme erinnert (inklusive »Weaselzilla«). Oder die hübsche kleine Parodie von The Godfather, bei der Maurice LaMarche (bekannt als Stimme von Kif, Hedonismbot, Calculon, Morbo u.v.a. in Futurama) als Mr. Big eine tolle Marlon-Brando-Impersonation abgibt. Oder der vielleicht schönste Einsatz einer Zeitlupen(ähnlichen)-Sequenz seit Ferris Bueller's Day off, wenn der für seine Schnelligkeit bekannte Hase mit einer von extrem langsamen Faultieren geführten Bürokratie konfrontiert wird.

Zoomania (Byron Howard & Rich Moore)

Bildmaterial © Walt Disney Studios Motion Pictures

Dass das beinahe schon volljährige Zielpublikum in der Reihe hinter mir den Film gleich mal wieder zum »best film ever« erklärte, lag dann aber doch einfach an der »Flauschigkeit« der Figuren. Was mir symptomatisch erscheint. In manchen Disney-Studios hängen vielleicht gestickte Mottos in Bilderrahmen an den Wänden. Nur steht da dann nicht »Don't fall in love with a client« oder »Was würde Jesus tun?«, sondern »Flauschigkeit vor politischer Relevanz«.