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20. Juli 2016
Thomas Vorwerk
für satt.org


  BFG - Big Friendly Giant (Steven Spielberg)


BFG - Big Friendly Giant
(Steven Spielberg)

USA 2016, Originaltitel: The BFG, Buch: Melissa Mathison, Lit. Vorlage: Roald Dahl, Kamera: Janusz Kaminski, Schnitt: Michael Kahn, Musik: John Williams, Kostüme: Joanna Johnston, Production Design: Rick Carter, Robert Stromberg, mit Mark Rylance (BFG), Ruby Barnhill (Sophie), Penelope Wilton (Queen), Jemaine Clement (Fleshlumpeater), Rebecca Hall (Mary), Rafe Spall (Mr. Tipps), Bill Hader (Bloodbottler), Adam Godley (Manhugger), Chris Gibbs (Gizzardgulper), Michael David Adamthwaite (Bonecruncher), Paul Moniz de Sa (Meatdripper), Jonathan Holmes (Childchewer), Ólafur Ólafsson (Maidmasher), Daniel Bacon (Butcher Boy), Kinostart: 21. Juli 2016

Nach zwei verpassten Spielberg-Filmen hat mich dieser aufgrund meiner Vorliebe für Roald Dahl natürlich wieder sehr interessiert - und ich würde soweit gehen, dass die letzten (gesehenen!) Spielberg-Filme, die mich in ähnlicher Weise überzeugten, wohl Schindler's List und Catch me if you can gewesen sein muss. Ansonsten leider Enttäuschungen im letzten Vierteljahrhundert. Minority Report und War of the Worlds waren bis auf die jeweiligen Enden noch ganz in Ordnung gewesen.

Bei The BFG merkt man aber mal (endlich) wieder Spielbergs Talent dafür, Geschichten zu erzählen - und in diesem Fall auch noch eine Geschichte, die man nur mit den heutigen Möglichkeiten auf eine überzeugende Weise ins Kino bringen kann. Denn hier geht es um ein zehnjähriges Waisenmädchen, das von einem 7 Meter 30 großen Riesen entführt wird, der sich dann aber glücklicherweise als BFG, also »Big Friendly Giant« offenbart (in der deutschsprachigen Fassung des Buches soll er wohl »GuRie« heißen - schudder!). Und die neun Riesenkollegen des BFG, allesamt unfreundliche Menschenfresser mit vielsagenden Namen wie »Childchewer« oder »Maidmasher«, rangieren so in einer Dimension von 12-16 Metern Körpergröße. Wie das mit herkömmlichen Schauspielern und ein paar Kameratricks ausgesehen hätte, will man lieber gar nicht wissen - hier und da ist die Motion-Capture-Kiste doch für etwas gut.

Da ich Spielbergs Vorgänger Bridge of Spies nicht gesehen habe (und auch eher selten Theateraufführungen im englischen Sprachraum besuche), kann ich nicht einschätzen, wie sehr Mark Rylance seinen Regisseur dabei beeindruckt haben muss, aber dessen Performance als BFG zusammen mit dem wirklich gelungenen Character Design, das sich ganz nah an der Vision von Roald Dahls Lieblingsillustrator Quentin Blake orientiert (nur die Ohren sind um einiges kleiner, weil er sonst vermutlich an einen Elefanten erinnern würde) ist schon eine gelungene Erinnerung an den Umstand, dass Andy Serkis eben nicht alle Motion-Capture-Figuren im Alleingang spielen kann - oder sollte. Aber auch seine unfreundlichen Kollegen, allen voran Jemaine Clement als Fleshlumpeater und Bill Hader als Bloodbottler, überzeugen durchaus.

BFG - Big Friendly Giant (Steven Spielberg)

Bildmaterial: © 2016 Constantin Film Verleih GmbH

Nun gibt es aber unzählige Filme, in denen die Figuren an sich funktionieren, man aber die Story gründlich vermurkst hat (aus unerfindlichen Gründen denke ich dabei an Spielbergs Hook). Aber in diesem Fall ist auch das Drehbuch der verstorbenen Melissa Mathison (E.T., The Black Stallion, The Indian in the Cupboard) ein echter Glücksgriff. Denn sie hat aus der Buchvorlage etwas gebastelt, was sowohl dem Umfang eines Spielbergfilms gerecht wird, dabei aber noch erstaunlich nah am Buch bleibt. Und weil ich das Buch extra noch mal gelesen habe, will ich hier mal einen detaillierten Vergleich versuchen.

Die Geschichte beginnt mit dem Moment, als die kleine Sophie (Ruby Barnhill, fast so unerträglich süß, wie Kinder in Filmen halt sein müssen) aus dem Fenster ihres Waisenhauses heraus den BFG erblickt, der sie dann auch kurz darauf entführt - weil das Geheimnis der Existenz der Riesen gewahrt werden muss. Die Bilder im Waisenhaus, ganz im Dienste eines Kinder-Grusel-Effekts, sind für meinen Geschmack etwas zu sorgsam ausgeleuchtet, aber dafür überzeugt umso mehr der BFG, der sich nach jahrelangem Training trotz seiner Statur quasi »unsichtbar« machen kann, während er durch die nächtlichen Straßen schleicht. Diese im Buch nur am Rande erwähnte Fähigkeit nutzt Spielberg gleich für eine visuelle Extravaganz, die genau diesen spielerischen Ton trifft, den ich an Dahl so liebe. Und es macht wirklich Spaß, das zu verfolgen. Immer ein bisschen spinnert oder auch mal over-the-top, aber trotz des Umstandes, dass diese Bilder ja nun komplett aus dem Rechner stammen, merkt man hierbei sehr stark Spielbergs Sensibilität als Filmemacher und Geschichtenerzähler. Nicht so übertrieben angeberisch wie in den ewig langen Rechner-Plansequenzen in The Adventures of Tintin, sondern sowohl im Dienst der Story als auch mit dem Gütesiegel »Spielberg« versehen, mit diesem spielerischen Umgang mit den Möglichkeiten. Mit den Figuren, mit dem Raum, mit dem Licht, mit der Kadrierung und der Kamera. So wie in den frühen Indiana-Jones-Filmen, wo eben ein Flugzeug inmitten der Nazi-Schergen oder eine Grabkammer auch dazu benutzt wurden, den Raum zu inszenieren - was im heutigen Blockbuster-Kino leider immer mehr in Vergessenheit gerät.

BFG - Big Friendly Giant (Steven Spielberg)

Bildmaterial: © 2016 Constantin Film Verleih GmbH

Wenn der BFG dann mit Sophie in der Westentasche rasend schnell über die Landschaft flitzt, um im Land der Riesen zu landen, dann übersetzt das Spielberg mit jenem »sense of wonder«, den die computeraffinen Regisseure heute nur in günstigen Fällen umzusetzen wissen - und die man auch zwischen den Zeilen bei Dahl verspürt. Man denke nur an die Fahrstuhlsequenz bei Tim Burtons Charlie and the Chocolate Factory und hat eine ziemlich genaue Vorstellung.

In der Behausung des Riesen übernimmt Spielberg einerseits die vermutlich nur schwer (oder behäbig klingend) ins Deutsche zu übersetzende Nonsens-Sprache des Riesen (cannybully, jiggyraffes oder telly-telly bunkum box sind hier einige leicht zu entschlüsselnde Begriffe), spielt mit den Ausstattungsmöglichkeiten, wobei der Geniestreich ganz klar ist, eine bunte Flugzeugtragfläche zur Sitzbank umzufunktionieren (ein klarer Verweis auf Roald Dahls Biografie, der sein erstes Buch über seine Erlebnisse als Flieger schrieb), und man verpasst es nicht, die erste hochdramatische Szene, in der Sophie sich in einem gurkenähnlichen, aber riesigen und sehr übelschmeckenden Gemüse versteckt und von dort beinahe von einem der Riesen vertilgt wird. Im Buch animiert der BFG (unwissend) seinen Riesenkollegen, mal kräftig reinzubeißen, im Film hat man dieses mögliche Schuldtrauma abgekehrt, weil man zu detaillierten Charakterisierung des BFG andere (und schlichtweg bessere) Motive ins Skript eingebaut hat.

BFG - Big Friendly Giant (Steven Spielberg)

Bildmaterial: © 2016 Constantin Film Verleih GmbH

Im Mittelteil des Films wird dann die Handlung um einige Szenen ergänzt. Zum einen um eine ziemlich kindgerechte aber rabiate Spielszene, in der die Riesen mit Autos spielen wie normale Kinder mit Spielzeugautos. Sie arrangieren Kollisionen oder funktionieren die Fahrzeuge zu Rollschuhen um. Doch durch das kleine Detail, dass die immer wieder vor den Fressgegnern auf der Flucht befindlich Sophie in einem der Autos sitzt, wird die Szene, die Kindern aus einer anderen Perspektive sehr vertraut erscheinen sollte, um eine bedeutende Dimension erweitert. Da merkt man, dass Melissa Mathison für Kindergeschichten wirklich ein Talent hatte.

Die andere Szene ist 100% Spielberg, das »Traumfangen«, das in Dahls Kinderroman eher durch das Durchlesen diverser Etiketten thematisiert wird (im Film teilweise als Schattenschau umgesetzt), gerät bei Spielberg zu einer grellbunten Fantasie voller traumwandlerischer Momente, in der Sophie beispielsweise die spiegelnde Oberfläche eines kleinen Sees ähnlich benutzt wie Carrolls Alice ihre Spiegel. Hätte man vielleicht um drei bis vier Minuten kürzen können, aber wer im Kino eye candy erwartet, kommt voll auf seinen Geschmack.

An dieser Stelle will ich auch kurz erwähnen, dass Sophie bei Dahl fast das ganze Buch hindurch in ihrem leichten Nachthemd unterwegs ist, während man das im Film aus Realismusanspruch, Pädo-Brisanz und als eine Möglichkeit für die Kostümbildnerin, ihr Können zu zeigen, umgeändert hat. Das sind kleine und eigentlich naheliegende Momente, aber viele andere Regisseure wären da breitbeinig in bereitstehende Fettnäpfchen reingestampft, während Spielberg und seine Gefolgsleute hier zu scheinen wissen.

BFG - Big Friendly Giant (Steven Spielberg)

Bildmaterial: © 2016 Constantin Film Verleih GmbH

Bei der heiteren (und blutrünstigen) Schar der Riesen hätte ich mir übrigens gewünscht, den einzelnen Figuren noch etwas näher zu kommen. Die neun Riesen unterscheiden sich nämlich außer in ihrer Körpergröße und ihrem Erscheinungsbild auch in den Charakterzügen, doch dem Film bleibt nicht genug Zeit, dies wirklich zu erkunden. Vermutlich ein Aspekt, der dann bei der DVD-Auswertung und für die Kinder, die den Film immer wieder sehen wollen, eine Rolle spielen könnte. Ich kann mir jedenfalls lebhaft Gespräche auf dem Spielplatz vorstellen, wo so ein paar kleine Hosenscheißer ausdiskutieren, wer ihr Lieblingsriese ist. Wenn die Viecher nicht so hässlich wären, gäbe es da auch eine echte Möglichkeit für Merchandise-Artikel. Welches Kind spielt nicht gern mit Dinosauriern oder Transformers-Robotern und kann sich so vorstellen, noch viel größer als Riesen zu sein?

Meine Lieblingsszene im Film kommt recht spät, wenn Sophie und der BFG eine Art »Audienz« bei der britischen Königin (solide Leistung: Penelope Wilton) haben. Während ich im Verlauf des Films hier und da mal darüber nachdachte, in welcher Zeit der Film eigentlich spielen soll (das dargestellte England sieht fast viktorianisch aus, aber immerhin sieht man mal einen VW-Käfer), liefert man später bei einem Telefonat der Queen eine ganz konkrete zeitliche Einstufung: »Nancy, is Ronny there?« fragt sie bei einem Ferngespräch. Dadurch spielt die Geschichte ziemlich genau zur selben Zeit wie Dahls Buch (erschien 1982), obwohl Dahl sich eine solche zeitgenössische Pointe verkniffen hatte (vielleicht auch, weil er wusste, dass dreißig Jahre später kein Kind diese Anspielung verstehen wird).

BFG - Big Friendly Giant (Steven Spielberg)

Bildmaterial: © 2016 Constantin Film Verleih GmbH

Gegen Ende des Films finde ich ein paar kleine Kritikpunkte. Dass der Queen »handmaid« Mary hier von Rebecca Hall gespielt wird und man dadurch das typische Happy-End für Waisenkind Sophie rauskramt, ist schon eine gewisse Abkehr vom Buch (wo Sophie eher vom BFG adoptiert wird). Ob es wirklich notwendig war, den Gag um des Riesen Lieblingsgetränk Frobscottle (eine grüne Flüssigkeit, bei der die Bläschen nach unten steigen) hier deutlicher auszuspielen als im Buch, ist eine Frage, die sich jeder Zuschauer (auch mit Blick auf das kindliche Publikum) selbst beantworten muss. Und ob der etwas irreale Gesamtlook des Films sich auch im Schlafgemach der Queen und bei ihren im königlichen Park auftretenden Soldaten fortsetzen musste, ist auch eine interessante Frage. Ich finde zumindest, bei den Soldaten hätte Spielberg auf die überflüssigen Computereffekte verzichten können. Mich hat das ein wenig an Episode 1 oder 2 von Star Wars erinnert, wo man durch Sand geht, der offensichtlich aus dem Rechner stammt. Wenn es eine Frage des Looks ist, soll es gestattet sein, aber wenn man CGI-Bilder einsetzt, obwohl man dasselbe Motiv (realistischer!) für nur wenig Geld hätte umsetzen können, bin ich dann doch ein klarer Befürworter der Old School anstelle des Filmmaking à la Robert Rodriguez.

Ach ja, und wo bei mir der verhinderte Pädagoge durchkommt, das sind alle Szenen, in denen Speisen verteufelt werden, die es auch so schon schwer genug haben, von Kindern akzeptiert zu werden. Ich breche hiermit eine Lanze für Broccoli und (hier) Rosenkohl. Und wer seine Erdbeeren immer mit Schlagsahne oder Zucker futtert (wozu?), wird davon auch nur fett.

Aber Spielberg ist eben bekannt für das Popcorn-Kino und Roald Dahl ist bei allen erzieherischen Bemühungen in seinen Büchern eben auch derjenige, der die Schokoladenfabrik erfand und seinen kleinen Lesern dabei nicht ausreichend eingab, jedes einzelne Stück möglichst lange im Mund schmelzen zu lassen. The BFG ist somit hier und da eine Spur zu süß für meinen Geschmack (die Musik von John Williams ist auch haarscharf an der Grenze), aber solange Solan og Ludvig - Herfra til Flåklypa in Deutschland keinen Kinostart bekommt, ist der neue Spielberg wohl der beste Kinderfilm für Leute von 6 bis 11. Aber als Erwachsener kann man sich das auch anschauen.