Anzeige:
Sofie Lichtenstein: Bügeln. Protokolle über geschlechtliche Handlungen




23. November 2016
Thomas Vorwerk
für satt.org


  Arrival (Denis Villeneuve)


Arrival
(Denis Villeneuve)

USA 2016, Buch: Eric Heisserer, Lit. Vorlage: Ted Chiang, Kamera:, Schnitt: Joe Walker, Musik: Jóhann Jóhannsson, Kostüme: Renée April, Production Design: Patrice Vermette, Supervising Art Director: Isabelle Guay, Hazmat Suit Specialist: Salomé Villeneuve, mit Amy Adams (Dr. Louise Banks), Jeremy Renner (Ian Donnelly), Forest Whittaker (Colonel Weber), Michael Stuhlbarg (Agent Halpern), Mark O'Brien (Captain Marks), Frank Schorpion (Dr. Kettler), Carmela Nossa Guizzo / Jadyn Malone / Abigail Pniowsky / Julia Scarlett Dan (Hannah, 4 / 6 / 8 / 12 years old), Tzi Ma (General Shang), 113 Min., Kinostart: 24. November 2016

Für einen Kritiker hat es fast immer Vorteile, seine Texte kurz nach Rezeption eines Werks zu erstellen. Leider ist das bei mir nicht immer der Fall. In diesem Fall hat es aber einen interessanten Nebeneffekt.

Da ich mich gerne (aber längst nicht immer) mit den Vorlagen zu Filmen befasse, also hier einer Kurzgeschichte von Ted Chiang, erkennt man natürlich Unterschiede je nach Medium. In diesem Fall fasst es Regisseur Denis Villeneuve selbst sehr schön zusammen:

I fell in love with the short story because it was exploring language,
in a beautiful, poetic, powerful way.
The problem is that intellectual exploration of language
can be mesmerizing in the short story, in a novel, on paper,
but in a movie I needed something to create tension.

Arrival (Denis Villeneuve)

© 2016 Sony Pictures Releasing GmbH

Mein erster Eindruck nach der Sichtung von Arrival war nach der durchweg positiven Bewertung des Films in den ersten zwei Dritteln eine gewisse Sperrung gegen den Stoff. Es geht um die Kontaktaufnahme mit Aliens, die ähnlich wie in Independence Day rund um den Globus Raumschiffe »abstellen«, die aber hier nicht dräuend über der Menschheit schweben, bis sie zur Invasion / Zerstörung ansetzen, sondern offenbar eine Kommunikation wünschen. Eines der wissenschaftlichen Teams wird während dieses ersten Kontakts vom Film beobachtet und besteht aus der Linguistin Dr. Louise Banks (Amy Adams) und dem Physiker Ian Donnelly (Jeremy Renner, in der Kurzgeschichte heißt die Figur Gary). Sehr positiv war für mich hierbei die in SF-Filmen häufig vernachlässigte wissenschaftliche Seite, die ja schon in der Genrebezeichnung Science Fiction mitschwingt, während beispielsweise Begriffe wie Zukunft, Weltraum oder Aliens nirgendwo draufstehen auf der Schublade. Das hat mich auch bei The Martian (ebenfalls nach einer literarischen Vorlage) positiv überrascht, auch wenn dort ebenfalls die filmischen Konventionen und vor allem die Konzessionen an ein großes Publikum einiges kaputt gemacht haben.

In den ersten zwei Dritteln von Arrival ging es aber tatsächlich um harte Wissenschaft, und zwar Sprachwissenschaft. Für einen Trekkie wie mich gehören auch die Star-Trek-Folgen, in denen die narrative Abkürzung über den universal translator mal ausfällt, zu den besseren. Wenn man wie in der TNG-Folge Darmok in knapp 40 Minuten ein solch komplexes linguistisches Problem ansprechend in eine Story verpacken kann, erahnt man schon, was ein cleverer Filmemacher wie Villeneuve daraus in zwei Stunden machen könnte.

Ohne jetzt im Detail auf die Handlung eingehen zu wollen, war ich dann beim Verlassen des Kinos doch irgendwie enttäuscht, weil ich den Schlusskniff nicht nur als unzureichend überzeugend empfand, sondern mich die Aliens (und ihre Sprachbesonderheit) im Nachhinein auch eine vertraute Spezies aus dem Star-Trek-Universum erinnerten.

Arrival (Denis Villeneuve)

© 2016 Sony Pictures Releasing GmbH

Etwa einen Monat später (Beendigung am Tag vor dem Filmstart) las ich dann die bereits erwähnte Kurzgeschichte (Story of your Life), auf der der Film basiert und hatte die Erwartung, dass der Film vermutlich um einiges an »Action« erweitert wurde, während es in der Story (noch!) stärker um die linguistischen Aspekte geht. Damit lag ich richtig. Das dramatische letzte Drittel des Films findet man in der Kurzgeschichte nahezu gar nicht - und Teile davon haben mir ja am Film auch nicht gefallen...

Doch jetzt kommt der eigentliche Knackpunkt. Denn erst durch die Lektüre habe ich den Film (besser, anders) verstanden. In der Kurzgeschichte geht es zu großen Teilen darum, dass Dr. Brooks durch das Erlernen der Schriftsprache Heptapod B (im Film diese coffee stains, also Kreise, wie sie ein am Rand nicht trockener Kaffeebecher hinterlassen könnte) eine neue Art zu Denken entwickelt. Sie denkt quasi in einer fremden Sprache.

Arrival (Denis Villeneuve)

© 2016 Sony Pictures Releasing GmbH

Das kann man auch ohne Vorwissen im Film nachvollziehen. Mein Problem war aber, dass ich zu sehr auf die jahrelang antrainierte Filmsprache zurückgriff. Deutlicher als in der Kurzgeschichte (wobei ich die natürlich als zweites rezipiert habe, was eine komplett andere Aufnahme des Gelesenen zum »Ich-weiß-von-nichts«-Leser bedeuten könnte) hat man im Film das Gefühl, dass die Filmemacher (insbesondere der Regisseur, Drehbuchautor und Cutter) wegen des Kniffs am Ende einem bestimmte Informationen vorenthalten und einem Dinge suggerieren, die so gar nicht stimmen, wie man sie anfänglich auffasst (das ist übrigens ein Phänomen, mit dem ein Kritiker, der nicht zu viel spoilern will, sich häufig befassen muss).

Und erst nach der Lektüre der Kurzgeschichte habe ich jetzt kein Problem mehr mit einem strapazierten Handlungspunkt, der so nur im Film vorkommt (die Kontaktaufnahme mit dem chinesischen General), weil ich erst jetzt vollauf begriffen habe, dass die Sache mit dem »non-zero-sum game«, wie sie auch in der Kurzgeschichte vorkommt, hier praktisch narrativ ausgeweitet wird.

Wobei man sich aber als Betrachter, als jemand, der unzählige Filme und nicht wenige SciFi-Filme gesehen hat, nicht über Dinge aufregen muss, die sich mit dem Erfahrungsschatz nicht unbedingt decken, sondern im Grunde die Filmsprache so anders interpretieren oder »denken« muss, wie es in der Kurzgeschichte weitaus deutlicher passiert (und auch weniger Probleme bereitet, weil es um weniger »Sprachen« geht und weniger Möglichkeiten für das verhasste Lost in Translation oder hier vielleicht eher Changed in Adaptation.

Wenn man den Film begreift als den Versuch einer neuen Filmsprache, die in der Handlung auch größtenteils erklärt wird (wenn man dafür offen ist), dann wird der Film plötzlich viel besser (so war es jedenfalls für mich). Zwar ist die Kurzgeschichte poetischer, entspannter, minimalistischer und sehr antiklimaktisch - und das liebe ich auch daran. Aber mit diesem Basiswissen kann ich auch die Ergänzungen zum Film stärker schätzen. Die Sache mit der Schwerkraft, der Kanarienvogel, die globale Krise: alles neu dazu erfunden. Das Production Design: bis auf das zu teuer wirkende Haus von Dr. Brooks alles sehr ansprechend (jedes neue Ufo der Filmgeschichte ist ja eine neue Herausforderung). Die linguistischen Anekdoten: aus der Kurzgeschichte wurde nur die Etymologie des Känguruhs (ja, ich schreibe das mit h, wie es vor Hape Kerkeling üblich war!) übernommen.

Arrival (Denis Villeneuve)

© 2016 Sony Pictures Releasing GmbH

Mein Fazit wirkt jetzt vielleicht überzogen, aber dass ich durch die Lektüre einer Vorlage nachträglich den Film besser fand - das passiert mir auch eher selten. Und mein Prozess dabei erinnert mich tatsächlich an das «neue Denken» von Dr. Brooks - und das passt ja irgendwie alles sehr kongenial zusammen.

Und das Schlimmste dabei: Jetzt will ich den Film eigentlich noch mal sehen, mit meinem (gar nicht mal so sensationellem) Wissen um eine losgelöste neue Filmsprache. Dass es sehr unwahrscheinlich ist, dass irgendein Leser dieser Zeilen oder Besucher des Films es ähnlich durchlebt, ist mir eigentlich schnuppe und es erinnert mich an ein wichtiges Konzept aus der Kurzgeschichte, dem »Book of Ages«, das man vielleicht deutlicher in den Film hätte übernehmen sollen, und bei dem man sogar eine visuelle Entsprechung mitgeliefert hat:

It's like that famous optical illusion, the drawing of either
an elegant young woman, face turned away from the viewer,
or a wart-nosed crone, chin tucked down on her chest.
There's no »correct« interpretation; both are equally valid.
But you can't see both at the same time.

Entsprechend werden Film und Kurzgeschichte im »Team« quasi besser, und als ich nur den Film kannte, habe ich vielleicht nur die hässliche Alte gesehen und die (eigentlich auch nicht wirklich versteckte) junge Frau nur irgendwie »erahnt«.


Ach ja, eine vierte, irgendwie auch etwas problematische »Sprache« im Film ist übrigens die Musik, insbesondere die Synergie zwischen Soundtrack und »Aliengeräuschen«. Das ist auch so ein Ding, auf das ich bei einer zweiten Sichtung noch deutlicher achten werde...