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2. November 2016
Thomas Vorwerk
für satt.org


  Morris aus Amerika (Chad Hartigan)


Morris aus Amerika
(Chad Hartigan)

Originaltitel: Morris from America, Deutschland / USA 2016, Buch: Chad Hartigan, Kamera: Sean McElwee, Schnitt: Anne Fabini, Musik: Keegan DeWitt, mit Markees Christmas (Morris Gentry), Craig Robinson (Curtis Gentry), Carla Juri (Inka Meinart), Lina Keller (Katrin), Eva Löbau (Anna), Patrick Güldenberg (Sven), Jakub Gierszal (Per), Levin Henning (Bastian), 90 Min., Kinostart: 3. November 2016

Der 13jährige Morris (Markees Christmas) versucht, in Heidelberg Fuß zu fangen, weil sein Vater Curtis (US-Komiker Craig Robinson, u.a. bekannt aus This is the End) einen Job als Fußball-Trainer antrat.

Anfänglich wirkt der Film für ein Plädoyer für Integration, aber politische und soziale Fragen spielen nur eine untergeordnete Rolle, es geht ganz um die Innenwelt von Morris, die Beziehung zu seinem Vater, seine gelegentlichen Fehlentscheidung, ein etwas plakativ dargestelltes Mobbing in seinem Umwelt - und seine erste Liebe, die sich zu einem mittelprächtigen Abenteuer auswächst.

Morris aus Amerika (Chad Hartigan)

© Lichtblick Media Beachside

Markees Christmas, ein Jungdarsteller mit einiger Erfahrung, verkörpert den Morris überzeugend. Ein linkisch wirkender und in sich verschlossener Junge, leicht pummelig und hier und da naiv weit über die Grenzen der Peinlichkeit hinaus. Gerade die Diskrepanzen, mit denen die heutige Jugend in der Pubertät überfordert werden kann, werden nicht nur für Pointen missbraucht, sondern bringen uns der Figur näher.

Morris rappt einerseits im Gangsta-Style über die »bitches«, denen er es besorgen muss, schmuggelt aber andererseits eine reichlich naiv wirkende Wichsvorlage in sein Zimmer oder lässt sich Ammenmärchen erzählen über seine Klassenkameradinnen, die auf amerikanische (implizit: schwarze) Basketballspieler stehen sollen.

Morris aus Amerika (Chad Hartigan)

© Lichtblick Media Beachside

Und schon verschaut er sich in Katrin (Lina Keller), die ihn auf eine direkte, abwechselnd verletzend und herausfordernde Art direkt konfrontiert. Als würde ein Zweitliga-Fußballspielen einem Knaben aus der D-Jugend weismachen, dass dieser eine echte Chance bei einem nie ernst gemeinten Sportduell mit ihm hätte.

Neben dem mitunter anstrengenden Ein-Schritt-vor-zwei-Schritte-zurück-Geplänkel mit Katrin überzeugt der ambitionierte aber ebenfalls überforderte alleinerziehende Vater, der seinem Sohn wichtige erzieherische Grundpunkte beibringen will, aber zunächst einige Enttäuschungen durchleben muss.

Morris aus Amerika (Chad Hartigan)

© Lichtblick Media Beachside

In einer kleinen Nebenrolle als psychologisch nicht ungeschickter Deutsch-Privatlehrerin brilliert Carla Juri (bekannt aus Feuchtgebiete), die ich aber leider zwei Tage später in Paula wiedersah, wo sich bestätigte, dass manche Schauspieler auf die richtige Rolle warten müssen, um zu faszinieren - und in der falschen Rolle bös abschmieren können.

Es gibt immer mal wieder kleine Zwischentöne bei Morris from America, die einfach nicht wirklich funktionieren. Papa Curtis' Alltagsgespräch mit seinen deutschen Kumpels, eine ganz auf Antagonist gebürstete kleine Nebenfigur, die eher der Dramaturgie eines Serie aus dem Kinderfernsehen zu entsprechen scheint ...

... aber der Film ist so grundsympathisch, die Probleme der Titelfigur sind authentisch und emotional ansprechend, dass man einfach viel verzeiht und sich ganz auf die Geschichte einlässt. Und selbst, wenn man einen gewissen Kenntnisvorsprung gegenüber Morris hat, fühlt und fiebert man mit ihm - und das ist etwas, was längst nicht alle Filme schaffen. Und dass Regisseur Chad Hartigan nicht nur unterhalten will, sondern eine echte Messitsch mit sich bringt, die er aber gekonnt verpackt, ist ein echter Glücksfall für so eine Indieproduktion, die sowohl in den USA wie auch hierzulande ein Ausnahmefall wäre - bei dieser ungewöhnlichen Co-Produktion zählt das sogar doppelt. So wie Papa Curtis zu Beginn des Films mal verkündet »You're double grounded« - nur eben im positiven Sinn.

Ein Film für Erwachsene und solche, die es werden wollen.

Morris aus Amerika (Chad Hartigan)

© Lichtblick Media Beachside

Nachbemerkung: Ein interessanter Aspekt des Films, den ich aber weder negativ noch positiv werten möchte, ist das komplette Aussparen des Schicksals von Katrin gegen Ende des Films. Es geht hier um den Titelhelden Morris, und das zieht der Regisseur auch bis zur letzten Konsequenz durch. Im Presseheft erklärt Hartigan, was ihn zum Film inspirierte. Der Umstand, dass er mit zwölf Jahren selbst in einem fremden Land lebte (auf Zypern), ist ein Detail, das man wiederfindet. Ausschlaggebender scheint aber Folgendes:

[Wegen einer aufgrund eines Intelligenztests übersprungenen Klasse] war ich in der achten Klasse ein vor-pubertärer Zwölfjähriger inmitten von Vierzehnjährigen, die sich gerade zu Frauen und Männern entwickelten. Ich war schüchtern, unsicher und fühlte mich ständig als Außenseiter, wenn es um Themen wie Sex oder erste Dates ging. Erst als ich mich in Kelly Adams verliebte, habe ich mich in meiner Haut langsam wohlgefühlt.
Kelly Adams hat sich leider nicht in mich verliebt, aber wir wurden enge Freunde und haben jeden Tag telefoniert. Rückblickend weiß ich, dass sie meine Liebe und Bewunderung ausgenutzt hat, um ihr Ego zu polieren, während sie ihre eigenen romantischen Gefühle auf die attraktiveren und älteren Jungs gerichtet hat. Als ich das endlich begriffen hatte, ging das Leben natürlich weiter, dennoch denke ich immer noch gerne an meine erste große Liebe und diesen wichtigen Schritt in meiner Entwicklung zurück.
Das ist der Kerngedanke der Geschichte, die ich [...] erzählen möchte.