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1. Februar 2017
Thomas Vorwerk
für satt.org


  The Salesman (Asghar Farhadi)


The Salesman
(Asghar Farhadi)

Originaltitel: Forushande, Iran / Frankreich 2016, Buch: Asghar Farhadi, Kamera: Hossein Jafarian, Schnitt: Hayedeh Safiyari, Musik: Sattar Oraki, mit Shahab Hosseini (Emad), Taraneh Alidosti (Rana), Babak Karimi (Babak), Farid Sajjadihosseini (Der Mann), Mina Sadati (Sanam), Maral Bani Adam (Kati), Mehdi Kooshki (Siavash), Emad Emami (Ali), Shirin Aghakashi (Esmat), Mojtaba Pirzadeh (Majid), Sahra Asadollahe (Mojgan), Ehteram Boroumand (Frau Shahnazari), Sam Valipour (Sadra), 125 Min., Kinostart: 2. Februar 2017

Asghar Farhadi hat das Kunststück vollbracht, mit wenigen Filmen (im Nachhinein fragt man sich, inwiefern sein Ausflug nach Frankreich mit Le Passé überhaupt nötig war) einer konstanten Qualität zu einer bekannten Größe auf dem internationalen Kinomarkt zu werden. Forushande ist abermals für den Auslandsoscar nominiert, in den Ländern, wo der Film schon 2016 anlief, tummelt er sich auf vielen Jahresbestenlisten, und mit einer gewissen Chuzpe sollte er in Deutschland sogar am selben Tag wie Elle anlaufen (der dann nach Bekanntgabe der Jurypräsidentschaft Paul Verhoevens bei der Berlinale um zwei Wochen nach hinten verschoben wurde, weil man sich soviel zusätzliche Werbung einfach nicht durch die Lappen gehen lassen kann).

Es gibt ein ganz vage Verbindung zwischen Forushande und Elle, aber die Art und Weise, wie die Filme inszeniert wurden, könnte kaum unterschiedlicher sein.

Ich entwickelte bei der Sichtung des Films schnell ein besonderes Augenmerk auf das Thema Zensur, das auf mindestens zwei Ebenen unterschiedlich subtil in die Handlung eindringt. Da wird zum einen Arthur Millers für den hierzulande verwendeten Filmtitel The Salesman verantwortliches Theaterstück Death of a Salesman aufgeführt und man unterhält sich unter den Theaterschaffenden (zu dem auch unsere Hauptfiguren, ein junges Ehepaar, gehören) durchaus über den absurd wirkenden Zensureingriff, dass eine im Stück vorkommende unbekleidete Prostituierte in der iranischen Version mit Mantel und Hut aus dem Badezimmer tritt.

Obwohl das Theaterstück im Film nur eine sehr untergeordnete Rolle spielt, verdeutlicht es sehr stark den Umgang mit dem Thema Zensur. So erahnt man etwa über einige Reflektionen in einer ansonsten unsichtbaren Scheibe eine Regie-/Tonkabine, von der aus ein Blick von oben herab auf die Bühne geworfen wird. Wie der Blick der Regierung oder der Zensurbehörde.

In der »eigentlichen« Geschichte des Films, die in einem zum Verfall verdammten Haus (Metapher!?) beginnt, behandelt Farhadi das für ihn allgegenwärtige Thema Zensur ungleich subtiler (er fungiert hier quasi als der »Herr und Meister« über die Glaskabine, aber gleichzeitig auch als jemand, der von einer weiteren Instanz beobachtet wird), aber wenn man erst mal darauf achtet, kommt man nicht umhin, Details zu bemerken.

The Salesman (Asghar Farhadi)

© 2016 Prokino Filmverleih GmbH

So dreht sich die eigentliche Geschichte des Films um Rana (Taraneh Alidosti), die in einer kurzfristig vermittelten Wohnung im Obergeschoss für ihren Mann Emad (Shahab Hosseini) den Haustür-Summer bedient und die Tür einen Spalt offen stehen lässt, bevor sie Duschen geht. Doch Emad kommt erst später (ausgerechnet wegen der Zensurbehörde musste er länger im Theater bleiben) und es kommt zu einem Übergriff durch einen Mann, der - so die allgemeine Annahme - wohl zur Vormieterin wollte (ein normaler Dieb würde ja nicht das Badezimmer aufsuchen), von der wir erfahren, dass bei ihr »viele Leute ein und aus gingen«. Über die Parallele zum Theaterstück wird verdeutlicht, was absichtlich nicht ausgesprochen wird, denn eine Schauspielerin beschwert sich über einen Kollegen: »Er glaubt, er kann sich alles erlauben, nur weil ich eine Nutte spiele!«. Die fiktive Figur bei Miller darf so bezeichnet werden, die Vertreterin der iranischen Gesellschaft hingegen wird durchgängig euphemisiert. Sie ist, und das ist schon fast das Nonplusultra an übler Nachrede, »keine anständige Frau«. Und das nach dem Übergriff in der Wohnung gefundene Geld beleidigt Emad aufs Äußerste, aber man spricht nicht direkt aus, dass es hier wohl um die »Bezahlung« für eine immer unklar bleibende Aktion handeln könnte.

Als aber später durch nur umständlich nachzuerzählende Umstände (hier und da geht die Geschichte lange Wege, um dann aber auch der exakt passenden Analogie möglichst nahe zu kommen) von diesem Geld aus Versehen Lebensmittel gekauft werden, geht quasi der »Schmutz«, der dem Geld anhaftet, direkt auf das damit Gekaufte über. Eine eigentümlich wirkende Logik, wie es letztlich eine Kritikerkollegin auf den Punkt brachte: »Was können denn die Spaghetti dafür?«

Forushande baut auf den selben Stärken auf, die auch die anderen Filme Farhadis aufweisen. Mit langen Kameraeinstellungen gibt er sich Mühe, über die Rauminszenierung den Zuschauer anzubinden. Gleichzeitig nutzt er wieder gerne Scheiben und Fenster, um Grenzen und Distanzen zu markieren. Im vielschichtigen, voller Analogien und Querverweisen steckenden Drehbuch spielt er jedoch inzwischen in der Champions League (ausgezeichnet in Cannes). Und das trifft auch dann zu, wenn man als Zuschauer vielleicht gar nicht auf den primären Konflikt (die seltsame Rachegeschichte) anspringt, sondern sich an anderen Details festbeißt (in meinem Fall die Zensurkiste und einiges rund um Arthur Miller und wie sein Death of a Salesman hier clever eingebaut wurde - ohne dass man viel über das Stück wissen muss.

The Salesman (Asghar Farhadi)

© 2016 Prokino Filmverleih GmbH

Forushande ist einer der wichtigsten Filme im Moment. Und das nicht nur, weil Donald Trump mit seinen irrsinnigen Maßnahmen (vermutlich unfreiwillig) eifrig die Werbetrommel gerührt hat, indem der Film nun zum zusätzlichen Politikum wurde, denn Maren Ade kann ganz entspannt zur Oscarverleihung fliegen, während der in den USA »unerwünschte« Asghar Farhadi bereits abgedankt hat.