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Bildmaterial © Carole Bethuel
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Le Passé
Das Vergangene
(Asghar Farhadi)
Originaltitel: Le passé, Frankreich 2013, Buch: Asghar Farhadi, Kamera: Mahmoud Kalari, Schnitt: Juliette Welfling, Musik: Evgueni Galperine, Youli Galperine, Production Design: Claude Lenoir, mit Bérénice Bejo (Marie Brisson), Tahar Rahim (Samir), Ali Mosaffa (Ahmad), Pauline Burlet (Lucie), Elyes Aguis (Fouad), Jeanne Jestin (Léa), Sabrina Ouazani (Naïma), Babak Karimi (Shahryar), Valeria Cavalli (Valeria), Aleksandra Klebanska (Céline), Jean-Michel Simonet (Médecin), Pierre Guerder (Juge), Anne-Marion de Cayeux (Avocate), 130 Min., Kinostart: 30. Januar 2014
Nachdem sein Scheidungsdrama um Nader & Simin unter anderem mit dem Oscar ausgezeichnet wurde, konnte der iranische Filmemacher Asghar Farhadi sein nächstes Projekt in Frankreich umsetzen (für eine erneute Oscarnominierung reichte es diesmal aber knapp nicht aus). Es ist aber durchaus auffällig, dass der neue Film sich erneut um eine Scheidung (wenn auch in gänzlich anderer Weise) dreht.
Nominelle Hauptdarstellerin ist Bérénice Bejo (bekannt aus A Knight's Tale, The Artist oder Populaire), die für diese Rolle auch in Cannes ausgezeichnet wurde. Der weitaus unbekanntere Ali Mosaffa (kann eine zwanzigjährige Schauspielkarriere im Iran vorweisen und führte auch schon selbst mehrfach Regie) ist aber der eigentliche Motor der Geschichte. Seine Frau Leila Hatami spielte übrigens die Simin in Farhadis vorherigem Film.
Ahmad (Mosaffa) kehrt nach vier Jahren im Iran zurück nach paris, um die letzten Formalitäten seiner Scheidung mit Marie (Bejo) abzuschließen. Hierbei trifft er auch erstmals wieder auf Maries zwei Töchter, die aber von zwei anderen Vätern stammen. Marie lebt mittlerweile mit einem Araber (Tahar Rahim als Samir) zusammen, der ebenfalls einen kleinen Sohn hat. Dass die beiden mittlerweile eigentlich bei Marie eingezogen sind, versucht Marie ihrem Exmann zu verschweigen – der erste Punkt in einer Reihe von Lügen und Missverständnissen, die den Film prägen.
Ahmad fungiert in diesem Film wie ein Privatdetektiv, der eigentlich nur erkunden will, was im Haushalt seiner Exfrau so schief läuft (insbesondere die ältere Tochter Lucie ist gerade in einer ziemlichen Rebellionsphase und ist sehr erfreut über die Rückkehr der einstigen Vertrauensperson), und was Farhadi da so an Schichten aufgebaut hat, die Ahmad langsam und behutsam abträgt (oft in der Gefahr, alles noch schlimmer zu machen, denn er erzählt im Gegensatz zu den anderen Figuren oft fast alles weiter, erzeugt dadurch Explosionen statt unterdrücktem langsamen Leidens), ist durchaus bemerkenswert.
Dass Marie Ahmad kein Hotelzimmer beschafft hat, sondern er in dem Haus wohnen soll, das er einst mit ihr zusammen bewohnte – und zwar in einem Etagenbett zusammen mit Fouad, dem kleinen Sohn von Samir, manövriert Ahmad in diese ungewünschte Ermittlerrolle, denn aus kleinen Streitigkeiten zwischen den Kindern, bei deren Schlichtung er helfen will, entstehen die Einblicke in die größeren Probleme der Familie, insbesondere zwischen Marie und der Tochter Lucie. Ich möchte da nicht zu viel verraten, aber nicht nur Marie will die Scheidung über den Tisch bringen, um für ihre neue (dritte!) Ehe bereit zu sein, auch Samir ist noch verheiratet. Mit einer Frau, die im Koma liegt. Da ist es ja kein Wunder, dass auch sein Sohn rebellisch reagiert.
Wie sich die komplexe Geschichte ganz langsam auseinanderdividieren lässt, sollte man selbst im Kino erleben und nicht in einer Filmkritik dargelegt bekommen. Fest steht, dass Drehbuch und Schauspielerleistungen beinahe mit Nader & Simin mithalten können, und insbesondere auch der Einsatz des Production Designs und der Locations (wie in Nader & Simin schildert Farhadi eine komplexe Wohnsituation mit jener Art von Rauminszenierung, die im aktuellen Film auszusterben droht) wie des leicht baufälligen Hauses am Ende einer Sackgasse gleich neben einer Bahnstrecke zeugt von den ungebrochenen Ambitionen des Regiestars im neuen Handlungsgefilde. Ein gänzlich anderer Ansatz als andere auswärtige Regisseure, die Paris zumeist für eine »touristische Annäherung« (Farhadi) missbrauchen.
Der Kernkonflikt des Films spiegelt übrigens auch den Wendepunkt (wenn es denn einer wird) in der Karriere Farhadis: Soll man der Vergangenheit treu bleiben (Komagattin / Filmland Iran) oder sie aufgeben und in die Zukunft blicken? Im Fall Farhadi bleibt diese Frage vorerst noch unbeantwortet, aber man bleibt gespannt.
Solang Farhadi mit solchen starken Bildern arbeitet wie dem anfänglich stummen Gespräch durch die Sicherheitsscheibe am Flughafen (eine klare Fortsetzung inszenatorischer Mittel im Film davor – Glas spielt auch hier eine große Rolle) oder den vom Scheibenwischer entfernten Vorspanntiteln (auch eine clevere Umsetzung des Filmtitels, die später bei Renovierungsarbeiten aufgegriffen wird), möchte man seine Filme schauen, egal wo sie gedreht wurden.