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3. Mai 2017
Thomas Vorwerk
für satt.org


  Get Out (Jordan Peele)


Get Out
(Jordan Peele)

USA 2017, Buch: Jordan Peele, Kamera: Toby Oliver, Schnitt: Gregory Plotkin, Musik: Michael Abel, Kostüme: Nadine Harders, Production Design: Rusty Smith, mit Daniel Kaluuya (Chris Washington), Allison Williams (Rose Armitage), Catherine Keener (Missy Armitage), Bradley Whitford (Dean Armitage), Caleb Landry Jones (Jeremy Armitage), Marcus Henderson (Walter), Betty Gabriel (Georgina), Lakeith Stanfield (Andrew Logan King), Stephen Root (Jim Hudson), Milton »Lil Rel« Howery (Rod Williams), 105 Min., Kinostart: 4. Mai 2017

Der Comedy-Autor und -Darsteller Jordan Peele (Key and Peele, Keanu) wollte sich bei seinem Spielfilm-Regiedebüt mal im Thriller- und Horror-Genre austoben, in dem er eine enge Verwandtschaft zur Komödie wahrnimmt.

In einem Genre versucht man, einen Lacher und beim anderen eine Gänsehaut zu produzieren. Es war spannend für mich, all das, was ich in der Komödie gelernt habe, in mein Lieblingsgenre, den Thriller, zu übertragen.«

In einer Art Prolog gibt es aber erst mal kaum zu lachen. Ein junger adretter schwarzer Mann irrt des Nachts allein durch eine Gegend, die einen sofort an John Carpenters Halloween erinnert. Er landete in der falschen Gegend, weil es wohl (wenn ich das nicht falsch verstanden habe), in der Ortschaft sowohl eine Ed-Wood-Street als auch eine Ed-Wood-Lane, 3,5 Meilen entfernt geben soll. Dann kommt ein weißes machomäßiges Auto langsam vorbeigefahren, unser junge Mann könnte sein Unbehagen nur dann noch deutlicher signalisieren, wenn er begönne, zu pfeifen oder das Grobi-Lied zu singen - und der Wagen wendet dann auch. 1:1 wie in einer Szene in Grand Canyon, wo dann schwarze Gangmitglieder ihre Hoheit in ihrem Terrain zum Ausdruck beginnen. Statt des üblichen Rap-Geplärres aus der Anlage hört man aber einen Song, der komplett deplaziert (aber dennoch gruselig) wirkt, und der tatsächlich wohl der Titelgeber für John Updikes klassischen Roman Run, Rabbit, Run lieferte. Und unser junger Mann ist dann entsprechend auch der Stellvertreter des Hasen, der von einer vermummten Person »gefangen« oder vermutlich sogar getötet wird. Damit wird schon mal eine bedrohliche Atmosphäre hergestellt, und mit den ersten Spielereien um Rassenklischees fühlt man sich in einem Slasher-ähnlichen Horrorfilm angelangt.

Get Out (Jordan Peele)

© Universal Pictures

Bei der genauen Verortung im Subgenre spielt der Regisseur mit seinem Publikum, später kommt dann eine typische Backwood-Szene (Wildwechsel-Unfall, bedrohlicher Redneck-Polizist), aber das Grundgerüst des Films dreht sich zunächst weniger um die noch zu offenbarende fantastische Richtung, sondern um - natürlich! - Rassenfragen. Denn Chris Washington, ein junger schwarzer Fotograf (Daniel Kaluuya aus Sicario und Kick-Ass 2, besucht erstmals die Eltern seiner weißen Freundin Rose (Allison Williams, Girls). Und zum (vermeintlich) komischen Konflikt-Programm à la Guess who's coming to Dinner? kommt eine zunehmende Ungewissheit, was dieser Film eigentlich mit uns vorhat. Und mit Chris.

Ich möchte hier gar nicht die immer seltsamer wirkenden Details vorwegnehmen, sondern nur belobigen, wie hier mit wirklich guten Gags zum einen die immer wieder konterkarierten Klischees durchgespielt werden, was aber nicht etwa dann aufhört, wenn sich die genaue Art der Gefahr endlich herauskristallisiert.

Get Out (Jordan Peele)

© Universal Pictures

Ich persönlich hatte mich auf so was wie The Most Dangerous Game eingestellt, als sich auch noch eine weiße Festgesellschaft einfindet und schließlich Chris versteigert wird (natürlich ohne es zu wissen).

Das langsam gesteigerte Unbehagen für Chris ist neben dem Humor und dem diskursiven Thema einer der meisterhaften Aspekte dieses Films. Wenn Rose ihn mit den Worten beruhigt, dass ihr liberaler Vater auch ein drittes Mal für Obama gewählt hätte, ist das noch ein hübsches Detail. Wenn der erstaunlich freundlich gesinnte Vater diesen Satz später wiederholt, klingt das schon wie ein auswendig gelerntes Detail. Und wie diese Schraube dann immer weitergedreht wird - zwischendurch gewürzt mit echten Lachsalven -, das ist schon ein Erlebnis.

Get Out (Jordan Peele)

© Universal Pictures

Aber zäumen wir das nicht zu spoilende dritte Drittel des Films noch mal anders auf: Ich habe so mein Problem mit bestimmten Horror-Subgenres, die für mich einfach nicht funktionieren, weil mir das Thema selbst zu fantastisch ist. Geisterfilme gehen noch, wenn sie gut gemacht sind, aber bei Exorzismen oder irgendwas mit dem Teufel schalte ich mich gruselmäßig einfach aus, weil ich das nicht für voll nehme. Thematisch kann mich das durchaus faszinieren, aber wenn ich nachts im Bett liege und ein seltsames Geräusch höre, denke ich ganz sicher nicht an einen Geist oder den Teufel - unter anderem auch, weil Religion an sich für mich eher ein gesellschaftliches Thema ist, aber nichts, was mich persönlich betrifft.

Ich könnte das jetzt noch ausführen und damit verwundern, dass ich auf Zeitreisen (ich weiß, die sind nicht besonders gruselig, aber da lasse ich mich ohne Probleme auf eigentlich idiotische Prämissen ein) und Aliens viel stärker anschlage als auf Paranormal Activity 7. Und nachdem ich dies so schwammig formuliert habe, möchte ich damit enden, dass ich die Kerngeschichte von Get Out, den fantastischen Teil, für unglaublichen Mumpitz halte. Aber der Film macht daraus soviel mehr, dass ich mich gerne darauf einlasse. Weil Regisseur Poole einfach ein sicheres Händchen dafür hat, sich dennoch auf die Aspekte seines Films zu konzentrieren, die real, auf ihre Art todkomisch und vor allem ungeheuer clever sind. Je länger man gerade über diese diskursiven Themen (Sklavenhaltung, Rassismus, Baumwolle etc.) nachdenkt, um so toller wird der Film. Auch wenn sich dann am Schluss ein Hund in ein Wer-Kaninchen verwandelt oder etwas ähnlich abgedrehtes, aber dennoch ganz real Angst verbreitendes. Dabei möchte ich es belassen.

Get Out (Jordan Peele)

© Universal Pictures

Außerdem fand ich das Sounddesign und Darstellerin Allison Williams toll, die bis zuletzt den Film ebenso sehr trägt wie Chris, der Stellvertreter des Publikums.