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2. August 2017
Thomas Vorwerk
für satt.org


  Die göttliche Ordnung (Petra Volpe)


Die göttliche Ordnung
(Petra Volpe)

Schweiz 2016, Buch: Petra Volpe, Kamera: Judith Kaufmann, Schnitt: Hansjörg Weißbrich, Musik: Annette Focks, Kostüme: Linda Harper, Production Design: Su Erdt, mit Marie Leuenberger (Nora), Maximilian Simonischek (Hans), Rachel Braunschweig (Theresa), Sibylle Brunner (Vroni), Marta Zoffoli (Graziella), Bettina Stucky (Magda), Noe Krejc√≠ (Max), Finn Sutter (Luki), Peter Freiburghaus (Gottfried), Therese Affolter (Dr. Charlotte Wipf), Ella Rumpf (Hanna), Nicholas Ofczarek (Werner), Sofia Helin (Eden), Elias Arens (Küde), Mirjam Zbinden (Trudi), 96 Min., Kinostart: 3. August 2017

Die göttliche Ordnung ist auch wieder so ein Film, der meine Vorliebe für die Originalfassung unterstützt. Womöglich gibt es auch in Deutschland Zuschauer, die hier der Untertitel nicht bedürfen, aber falls jemand auf die absurde Idee käme, diesen Film zu synchronisieren, so würde durch den Verzicht auf das mitunter harte Schwiizerdütsch hier einiges an Atmosphäre verloren gehen.

Wie uns der Film auf mehr als eine Art nahe bringt, war man Anfang der 1970er in der beschaulichen Schweizer Provinz (wo liegt eigentlich Hintertupfingen? Gibt es das überhaupt?) nicht unbedingt auf dem Level, der anderswo auf der Welt spätestens seit 1968 erkämpft wurde (hier durch Archivmaterial in Erinnerung gebracht). Insbesondere bei den Frauenrechten. Kaum zu glauben, aber damals hatten die Schweizerinnen nicht einmal das Frauenwahlrecht errungen, wovon der Film exemplarisch an einem Dorf erzählt.

Die göttliche Ordnung (Petra Volpe)

© 2017 Alamodefilm

Zum Gesetzestext (!) gehörte etwa, dass die Frau für den Haushalt und die Kinder zuständig war. Für einen kleinen Nebenjob bedurfte es der Genehmigung des Gatten - Kurzum: Die Ehefrau wurde keineswegs als gleichberechtigte »bessere Hälfte« behandelt, sondern im Grunde als Besitztum.

Hannah (Ella Rumpf aus Tiger Girl), die minderjährige, als »Dorfmatratze" verschriene Nichte der Hauptfigur Nora Ruckstuhl (Marie Leuenberger, Schubert in Love, Helle Nächte), entspricht noch am ehesten den Geist der 1968er: »Ich will nicht in diesem Kaff versauern und als Hausmütterchen verenden!« Dass ihre aktuelle Liebschaft mit dem Motorradfahrer Gioni (jetzt aber!) »was Ernstes« ist, mag man mit dem Blick der älteren Generation durchaus in Frage stellen, aber im Film ist sie der Stein des Anstoßes, weil ihr Vater Werner angesichts ihrer Sperenzchen einfach mal entscheidet, sie in ein »Erziehungsheim« einzuweisen ... Hysterisch, ab in die Klapse! »Das Familienoberhaupt entscheidet über die Kinder« - auch das stand so im »Schweizer Eherecht«.

Die göttliche Ordnung (Petra Volpe)

© 2017 Alamodefilm

Nora selbst hat sich eigentlich mit ihrer Situation ganz gut arrangiert. Sie führt den Haushalt für gleich vier Männer, ihren Gatten Hans (Maximilian Simonischek), die Buben Max und Luki und ihren Schwiegervater. Erst nach und nach erwacht in ihr ein Gefühl der Ungerechtigkeit, was im Film sehr nett ausgearbeitet wird. Besonders hübsch ist hierbei der Überblick über die Generationen: Der Schwiegervater, reichlich betagt, aber in seiner Bettritze ein »Sexy«-Heft verbergend, steht für die langjährige Tradition des Patriarchats. Wenn er sich mal darüber mokiert, dass Nora nach einem Ausflug in die Stadt plötzlich »enge Jeans« trägt, kann man ihn nur damit zum Schweigen bringen, dass »er ihr ja nicht auf den Hintern starren muss«. Der alte Knabe weiß halt, dass die Schwiegertochter, die jeden Tag seine Wäsche wäscht, einiges gegen ihn in der Hand hat.

Gatte Hans wirkt eigentlich nett und aufgeschlossen, verbietet ihr aber »sanft« den Halbtags-Job im Reisebüro, weil er verborgene tiefe Ängste hat, irgendjemand könnte ihm seinen Schatz abspenstig machen. Nach dem Motto: wenn ich sie nicht unnötig aus dem Haus lasse, kann sich auch kein anderer Mann für sie interessieren - oder umgekehrt.

Und die beiden Söhne? Lieben ihre Mama abgöttisch und sind gut erzogen. Nur, wenn der kleine Luki sich mal die Milch selbst aus dem Kühlschrank holen soll, bricht für ihn eine Welt zusammen: »Aber wir sind doch Buben!« pochen die rund um die Uhr indoktrinierten auf ihr vermeintliches Geschlechterrecht.

Die göttliche Ordnung (Petra Volpe)

© 2017 Alamodefilm

Das in diesem Umfeld das Haushaltsgeld mitunter auf dem Nachttisch abgelegt wird (wie der Lohn einer Prostituierten), bringt den Konflikt etwas plakativ auf den Punkt, aber durch all diese Kleinigkeiten wird in Nora ein politischer Impuls erweckt, und als der Gatte gerade mal einige Wochen zur Reserve eingerufen wird, organisiert sie (u.a. mit einer Witwe und einer »Geschiedenen«) das »lokale Aktionskomitee für das Frauenwahlrecht«, den die Wahlentscheidung (natürlich ausschließlich von den Herren gefällt) steht in wenigen Wochen an.

Dass diese nominelle Komödie hier und da auch ernste Töne anschlägt (etwa bei der gewaltsamen Zerschlagung des Frauenstreiks), unterstreicht nur, dass es hier um keine Kleinigkeit geht, sondern um etwas Grundsätzliches. Als Vergleichsfilm fällt mir sofort der (ebenfalls historisch verortete) Pride ein, aber Die göttliche Ordnung wirkt gerade im Drehbuch noch weitaus konzentrierter auf die Aussage. Selbst, wenn man sie alle Nase für einige wirklich gelungene Gags nutzt.

Die göttliche Ordnung (Petra Volpe)

© 2017 Alamodefilm

Wenn in der Schlussphase des Films die Notwendigkeit der Gleichberechtigung unter anderem darüber vermittelt wird, dass einige Männer zu schwach sein für ihre angestammte Rolle (und entsprechend die Frauen manchmal besser geeignet sind für die Rolle als Familienoberhaupt oder Chef), wirkt zwar im Nachhinein wie ein Schritt zurück, aber das Perfide an dem Film ist vermutlich, dass man sich gut vorstellen kann, wie ihn 1970 jemand einer Schweizer »Ratsversammlung« vorspielen würde - und sogar die hinterletzten Mannsbilder irgendwas dabei lernen würden! Und das ist vielleicht ein größeres Ziel als die Bedachtheit auf heutige Diskurse.

Ich habe übrigens dieses Jahr Elfriede Jelineks Die Liebhaberinnen (von 1975) gelesen, das sich auf sehr satirische Art einem ähnlichen Problem widmet. Wer's ein wenig härter mag: kann ich auch sehr empfehlen.