Beach Rats
(Eliza Hittman)
USA 2017, Buch: Eliza Hittman, Kamera: H√©l√®ne Louvart, Schnitt: Scott Cummings, Musik: Nicholas Leone, Kostüme: Olga Mill, Stenenbild: Grace Yun, mit Harris Dickinson (Frankie), Madeline Weinstein (Simone), Kate Hodge (Donna), Neal Huff (Joe), Nicole Flyus (Clara), Frank Hakaj (Nick), David Ivanov (Alexei), Anton Selyaninov (Jesse), Harrison Sheehan (Jeremy), Douglas Everett Davis (Harry), Gabriel Gans (Eddie), Erik Potempa (Michael), Kris Eivers (Edgar), J. Stephen Brantley (Jersey), 95 Min., Kinostart: 25. Januar 2018
Im Januar 2018 laufen gleich zwei Filme in den deutschen Kinos, die zwei markante Merkmale vereinigen: die Regisseure stammen aus Flatbush, Brooklyn. Und sie wählten zum Spielort ihrer Filme Coney Island.
Die Filme selbst könnten kaum unterschiedlicher sein. Der in die Tage gekommene Woody Allen bastelt in seinem Wonder Wheel ein nostalgisches Märchenland, in dem er eine aus literarischen Versatzstücken zusammengebastelte, selbst einem wenig kritischen Blick nicht standhaltende Moritat vorführt. Ein langweiliger, ärgerlicher Film, der selbst innerhalb der weniger gelungenen Filme, die das einstige Wunderkind in den letzten Jahren herausbrachte, besonders überflüssig wirkt.
© Salzgeber & Co. Medien GmbH
Eliza Hittman indes, eine aufstrebende Filmemacherin, die erst ihren zweiten (nicht den 48sten) Film vorlegt, erzählt vom heutigen Coney Island und einer dort ansässigen Szene, die mit dem Bild New Yorks, wie es Allen in einem halben Jahrhundert Regiekarriere propagierte, kaum zu vereinen ist. Nicht zuletzt, weil man Hauptfigur Frankie zwar als »Stadtneurotiker« beschreiben könnte, er aber nicht zu jener begüterten Künstler-Schicht liberaler Intellektueller, mit denen Allen gerade in seinen frühen Filmen seine Bilderbuch-Metropole bevölkerte (wobei Wonder Wheel geradezu ein Paradebeispiel dafür ist, dass Abweichungen von der Allen'schen Figuren-Norm meistens noch unglaubwürdiger wirkt als der typische hornbrillentragende Aushilfskomiker mit Beziehungsproblemen).
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Frankie (gespielt vom vielgelobten englischen Nachwuchsdarsteller Harris Dickinson) hat auch Beziehungsprobleme. Sein größtes Problem: er hatte noch keine Beziehungen und das heterosexuelle Vorbild, das seine gleichaltrigen »homies« propagieren, mit denen er bevorzugt herumzieht, lässt sich nur schwer mit jenen schwulen Chatrooms koordinieren, die ihn heimlich faszinieren.
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Das Körperbild der »beach rats«, das auch das Bildmaterial dieses Salzgeber-Films beherrscht (das eine Bild mit der durchaus wichtigen weiblichen Protagonistin musste ich mir anderswo organisieren), verdeutlicht, dass Frankie gar nicht so anders aussieht wie seine Kumpels. Sie sind ebenfalls »Brooklyn Boys«, auch wenn sie sich nicht für Chaträume interessieren, die unter diesem Namen fungieren. Sie agieren so ausschließlich heterosexuell wie die Figuren aus 47 Woody-Allen-Filmen (einzig in Vicky Cristina Barcelona ergeht sich Allen mal in einer kurzen Lesbenfantasie, die aber gänzlich einem männlichen Blick zu gefallen sucht), und so wirkt Frankies coming-of-age auch wie ein Doppelleben.
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Simone (Madeline Weinstein), die er auf dem Vergnügungspark, beim nächtlichen Feuerwerk kennenlernt, scheint überdeutlich interessiert an dem attraktiven Frankie, nur weiß er nicht wirklich, was er mit ihr anfangen soll. Auf ihr spielerisch flirtendes »Do you think I'm pretty?« antwortet er mit einem eher abweisenden »Are you fishing for compliments?«, und auf ihre zielgerichtete, aber dennoch zögerlich wirkende sexuelle Initiation reagiert er so unangemessen, dass Simone nach einer gemeinsamen Nacht schnell das Weite sucht, dann aber unglücklicherweise abermals vom sich nun entschuldigenden Frankie verfolgt wird, der offensichtlich nur einem Bild zu entsprechen versucht, dass er - durch seine Freunde - von (heterosexuellen) Beziehungen wahrgenommen hat (das »Sequel-Zitat« lautet »I think you're pretty. Intimidatingly pretty!«). Und weil Simone in Frankies Umgang mit seinen Freunden und dem selbstbewussten Auftritt mit (eher weichen) Drogen und der entsprechenden Szene die »Warnsignale«, die gegen eine funktionierende Beziehung der beiden sprechen, übersieht, ist die Filmhandlung für sie ähnlich ernüchternd wie für Frankie, den man nun parallel zu seiner wenig erfolgversprehenden Hetero-Beziehung bei Chats und Treffen mit zumeist älteren Schwulen sieht. (Und selbst, wenn sie mal fast in seinem Alter sind, wissen sie schon ziemlich genau, was sie wollen.)
Wie man Frankie trotz der nicht wenigen dubiosen Entscheidungen bei seinem Trial-and-Error-Verfahren (er behandelt Simone etwa so »umsichtig«, wie seine Freunde Frauenbekanntschaften auf eine Art Fleischwert reduzieren, auf Simones »Romantikbild« geht er kaum ein) kennenlernt, so bleibt er dennoch ein Sympathieträger, weil man ihm seine manchmal frappierende Unwissenheit nicht zum Vorwurf machen will.
Nebenbei ist Frankies Vater auch noch todkrank, was der Film mit einer gewissen Leichtigkeit mit in den Subtext der Figur einbaut. Sehr gut beobachtet und dramaturgisch aufeinander aufbauend wirken dann auch Frankies erste sexuelle Erfahrungen (vor allem die homosexuellen), die davon zeugen, wie er seine anfängliche Passivität langsam ablegt, und neben dem rein körperlichen Aspekt auch ein Interesse für eine über ein kurzes Treffen am dunklen Strand hinausgehende Beziehung entwickelt.
Doch im fatalistischen Ausgang ähnelt Beach Rats Wonder Wheel dann wieder. Nur, dass die unschöne Entwicklung, als Frankie eines seiner Dates als Drogenquelle ausnutzen will und dann auch noch unter fadenscheinigen Ausreden seine homophoben Freunde einweiht, hier einen emotionalen Eindruck hinterlässt, den man bei Allen nur in der Erzählung, nicht aber in der Inszenierung wiederfindet.
Vor einem Jahr wurde Eliza Hittman für Beach Rats auf dem Sundance Filmfestival mit dem Regiepreis ausgezeichnet. Zu Recht! Wer bei seinem Blick auf die New Yorker Filmszene nicht diverse Jahrzehnte hinterher hängen will, sollte lieber drei mal Beach Rats schauen als einmal Wonder Wheel!