Vor uns das Meer
(James Marsh)
USA 2018, Originaltitel: The Mercy, Buch: Scott Z. Burns, Kamera: Jon Henson, Schnitt: Jinx Godfrey, Musik: Jóhan Jóhansson, Kostüme: Louise Stjernsward, Production Design: Jon Henson, mit Colin Firth (Donald Crowhurst), Rachel Weisz (Clare Crowhurst), David Thewlis (Rodney Hallworth), Ken Stott (Stanley Best), Jonathan Bailey (Wheeler), Adrian Schiller (Elliot), Oliver Maltman (Dennis Herbstein), Kit Connor (James Crowhurst), Eleanor Stagg (Rachel Crowhurst), Andrew Buchan (Ian), Geoff Bladon (Arthur Bladon), Simon McBurney (Sir Francis Chichester), 112 Min., Kinostart: 29. März 2018
Ich informiere mich vor der Sichtung von Filmen nicht detailliert über diese, sondern bewahre mir die Möglichkeit, überrascht zu werden. Angenommen, ein Film hat einen Titel wie The Mercy, der einem keine konkreten Aussagen über den Film liefert, ist vom Regisseur James Marsh, dessen letzten beiden Filme Shadow Dancer und The Theory of Everything mich beide einigermaßen begeisterten. Und die Hauptdarsteller sind Colin Firth, Rachel Weisz und David Thewlis. Da kann man doch mal ohne weiteres zur Vorführung gehen, ohne zu wissen, ob es sich jetzt um einen Western, einen Animations- oder einen Horrorfilm handelt.
England 1968. Der Erfinder Donald Crowhurst (Colin Firth) hat eine kleine, mittlerweile nur noch aus ihm selbst bestehende Firma mit Namen Electron Utilisation, mit Hilfe seines halbwüchsigen Sohns versucht er gerade seine Entwicklung, eine Art frühe GPS-Navigation für Seemänner an den Mann zu bringen. Doch der Vertrieb lässt zu wünschen übrig. Da kommt er auf die geniale Vermarktungsidee, den Wert seiner Erfindung dadurch zu »beweisen«, dass er als bloßer Hobbysegler ohne weitreichende Erfahrung bei einem Weltumseglungswettbewerb teilnimmt. Und 5000 Pfund Preisgeld gibt es noch obendrauf.
Er hat ein halbes Jahr zur Vorbereitung und will einen bisher nur als Modell existierenden »Trimaran« (ebenfalls eine Erfindung von Crowhurst) benutzen. Er findet zwar einen Sponsor (Ken Stott) und einen befreundeten Unterstützer (David Thewlis), muss aber sein Haus verpfänden und eine Menge auf eine Karte setzen.
Und dann häufen sich die Probleme bei Herstellung des Schiffs, während die ersten Segler bereits unterwegs sind (man durfte vom 1. Juni bis zum 31. Oktober starten, wobei ein später Start aus Witterungsgründen nicht unbedingt von Vorteil war).
© Studiocanal GmbH / Dean Rogers
Dass es sich bei der Geschichte um eine wahre handelt, hatte ich noch gar nicht erwähnt, doch beim Betrachten des Films hätte mich das aufhorchen lassen. Hat es aber lange Zeit nicht. Und so habe ich mich an dieser seltsamen Komödie erfreut, weil sowohl die wahnwitzige Idee des Aushilfs-Düsentriebs als auch die zu großem Teil gesunden Menschenverstand vermissen lassende Art, wie er darauf reagiert, auf mich sehr erheiternd wirkte.
Firth selbst erklärt im Presseheft, dass man, selbst wenn man »noch nie etwas unternommen hat, was auch nur ansatzweise so extrem ist wie das, was Donald Crowhurst gemacht hat«, um nachzuvollziehen, »so weit über die menschlichen Fähigkeiten und Möglichkeiten hinauszugehen«.
© Studiocanal GmbH / Dean Rogers
Schon bevor Donald (hatte ich erwähnt, dass ich Donaldist bin?) in See sticht, agiert er mit der sturen Borniertheit des bekannten Erpels oder der von Homer Simpson, wenn er sich mal in eine Schnapsidee verstiegen hat. Während die Frist zu verstreichen droht (auf den Hinweis »The calendar does not negotiate« antwortet sein Bootsbauer (!) »In my experience neither does the sea...«) scheint seine Finanzierung zusammenzubrechen, aber er beharrt auf seinen Plan und erhöht einfach das Risiko seiner »Wette« - wie Namensvetter Duck in der gleichnamigen Geschichte oder Homer in unzähligen Episoden.
Dieses und jenes am Boot wurde nicht rechtzeitig geliefert, er nimmt sich einfach vor, dies während der Fahrt zu korrigieren, und als Zuschauer erinnert man sich an Robert Redford in All is lost oder fragt sich, wie er den zunehmenden Vorsprung der Konkurrenten noch so einholen will, dass man dies in einer Filmhandlung (historische Vorlage hin oder her) als Zuschauer »schluckt«.
© Studiocanal GmbH / Dean Rogers
Zu seiner Ausrüstung gehören ein Bücherregal und drei Kisten Bier, wichtig ist auch eine Schleppleine, die hinter dem Boot durchs Meer gezogen wird. Für den Fall, dass er sich »ungeschickt« verhalten sollte und wieder zurück an Bord kommen muss. Schon in Erwartung der zu erwartenden Probleme habe ich mich sehr amüsiert.
Eigentümlich an der Dramaturgie des Films ist, dass es immer wieder zwischendurch Szenen gibt, die seine Frau (Rachel Weisz) zeigen, die zuhause mit den Kindern ihre eigenen Probleme hat, mit denen er sie quasi allein ließ (Geld vom Sozialamt holen etc.).
Eine meiner Lieblingsszenen ist eine Parallelmontage zu Weihnachten, die die üblichen Aktivitäten der Familie zeigt, während er auf die See schaut und er auf seiner Mundharmonika Silent Night trällert (die zahlreichen möglichen Verweise auf Donald-Comics unterdrücke ich jetzt mal).
© Studiocanal GmbH / Dean Rogers
Meine Alarmglocken schellten nicht einmal, als ich bemerkte, dass das Schiff doch nicht, wie ich vage annahm, auf den Namen »The Mercy« getauft wurde, oder Donald angesichts des zunehmenden Vorsprungs der anderen Segler (über die er hin und wieder über Funk informiert wird), damit beginnt, fiktive Reisedaten durchzugeben. Denn wenn er gnadenlos scheitert, funktioniert auch weder seine Werbekampagne noch die Zusammenarbeit mit einem Journalisten, der die Aufholjagd dokumentiert.
Schließlich legt er auch noch verbotenerweise an Land an und pilgert durch Argentinien, weil er ein Lock im Schiffsrumpf flicken muss. Die dortige Polizei hält ihn zunächst für einen Schmuggler, sieht dann aber ein, dass er nur ein verwirrter Engländer ist...
Wie die Geschichte ausgeht (immerhin reduziert sich die Anzahl seiner Konkurrenten), kann ich hier natürlich nicht erzählen, aber mir hat der Film weitaus besser gefallen, als ich unter streng objektiven Gesichtspunkten erklären könnte. James Marsh hat für mich einfach eine ganz besondere Begabung, aus jeder eigentlich schnell erzählten Geschichte etwas ganz besonderes herauszuholen.
Ich liebe Verlierertypen und das »Scheitern als Chance«. Und Überraschungen!