The Man who killed
Don Quixote
(Terry Gilliam)
Spanien / Frankreich / Belgien / Portugal 2018, Buch: Terry Gilliam, Tony Grisoni, Kamera: Nicola Pecorini, Schnitt: Teresa Font, Musik: Roque Baños, Kostüme: Lena Mossum, Szenenbild: Benjamin Fernández, Ausstattung: Edou Hidallgo, mit Adam Driver (Toby), Jonathan Pryce (Don Quixote), Stellan Skarsgård (Der Boss), Olga Kurylenko (Jacqui), Joana Ribeiro (Angelica), Óscar Jaenada (Der Zigeuner), Jason Watkins (Rupert), Sergi López (Der Bauer), Rossy De Palma (Die Bauersfrau), Hovik Keuchkeran (Raúl), Jordi Mollá (Alexei Mishkin), 133 Min., Kinostart: 27. September 2018
Wortwörtlich Jahrzehnte hat Terry Gilliam an diesem Film gearbeitet. Vor 15 Jahren berichtete bereits der Dokumentarfilm Lost in La Mancha davon, wie Stürme und schwere Krankheiten die Dreharbeiten (damals noch mit Johnny Depp und Jean Rochefort) zunichte machten, doch Gilliam kämpfte weiter gegen seine künstlerischen Windmühlen und verlor dabei ziemlich deutlich seinen kreativen Focus. Filme wie Brothers Grimm oder The Zero Theorem sind weit entfernt von den Frühwerken des einzigen US-amerikanischen Mitglieds der ansonsten britischen Komikergruppe Monty Python's Flying Circus, aus deren frühen Kinoarbeiten sich die Gilliam-Regiekarriere entwickelte.
Brazil, The Fisher King, hier und da eine Extravaganz wie Time Bandits oder The Adventures of Baron Munchhausen - selbst noch bei Twelve Monkeys, Gilliams vermutlich kommerziellstem Film, wurde man von einer visuellen Bravourleistung (damals größtenteils noch ohne den ganzen Computerfirlefanz) überwältigt und erlebte dabei eigentlich immer wieder Variationen des selben Kampfes: Ein Mann kämpft gegen eine Welt, bei der man sich als Zuschauer oft genauso unsicher ist wie der zentrale (Anti-)Held, ob sie so existiert. Die Gefahr, als Gilliam-Hauptfigur »weggesperrt« zu werden (durchaus auch in ein mental institute), war immer gegenwärtig. Oft ging es um mehrere Figuren, die unterschiedlich stark den Bezug zur Realität verloren haben (Jeff Bridges und Robin Williams, die druggies in Fear and Loathing in Las Vegas), und für den Zuschauer war es immer sehr interessant, diesen nicht immer glasklaren Entwirrungsvorgang mitzuerleben. Okay, wenn man Bruce Willis selbst in einer dystopischen Zukunft erlebt hat, fällt es einem vergleichsweise leichter als Madeleine Stowe, ihm zu glauben, dass er ein Zeitreisender sei. Aber wenn in Brazil oder The Fisher King zentrale mythologisch wirkende überlebensgroße Gegner auftauchen, darf man auch mal am Geisteszustand der Figuren, die diesen Kampf aufnehmen, zweifeln.
Foto: Diego Lopez Calvin © 2018 Concorde Filmverleih GmbH
Den Munchhausen-Film habe ich aus unerfindlichen Gründen noch immer nicht gesehen (obwohl das für einen Sarah-Polley-Fan eigentlich Pflicht sein müsste), aber ganz wie dort scheint Gilliam auch in Cervantes' frühen Romanklassiker seine ganz persönliche Lieblingsgeschichte wiederzuerkennen, und die drumherum drapierte Rahmengeschichte könnte vor zwanzig Jahren vielleicht auch ungemein spannend gewesen sein können. Doch die Entstehungsgeschichte dieses Films ist von Rückschlägen, Frustrationen und Kompromissen gezeichnet, und ähnlich wie in The Imaginarium of Dr. Parnussus (während der Dreharbeiten starb Hauptdarsteller Heath Ledger, der dann von prominenten Kollegen gedoublet wurde, was Gilliam zum Teil der Geschichte machte) merkt man dies dem Produkt auch an.
Bei Adam Driver (Paterson, Inside Llewyn Davis, Aushilfs-Darth-Vader etc.) in der Hauptrolle könnte man durchaus für Momente denken, dass sich die lange Entstehungszeit gelohnt habe, damit dieser Darsteller in die Rolle hineinwachsen konnte (aus heutiger Sicht wäre die immer selbstparodistischere Witzfigur Johnny Depp fast nicht mehr denkbar), und die Unterstützung durch Gilliam-Kollaborateur Jonathan Pryce (Brazil, Brothers Grimm) kann casting-technisch wohl auch mit Jean Rochefort mithalten.
Foto: Diego Lopez Calvin © 2018 Concorde Filmverleih GmbH
Driver spielt den aufstrebenden Regisseur Toby, der Casting-Probleme während seiner neuesten Produktion hat (woher kommt mir das nur bekannt vor), Pryce seinen etwas verwirrten besten Kandidaten für die Hauptrolle, der sich einbildet (?), Don Quixote zu sein und Toby irgendwie mit hineinzieht in seine ambivalente Illusion und den ziemlich selbstherrlichen und arroganten Regisseur dabei in die Rolle des Bauern Sancho Pansa hineindrückt. Nebenbei geht es noch um eine Art mittelalterlichen Gangsterboss, ein zu rettendes Fräulein und eine junge Wirtstochter, und wie bei Gilliam üblich, verwischen und vermengen sich die Realitäten etwas.
Während die eigentliche Handlung (man zieht von A nach B, überwindet Gefahren etc.) recht komplex ist, funzt diesmal die zwiegesichtige Ambivalenz nicht so richtig. Vielleicht habe ich die Terry-Gilliam-Geschichte schon zu oft gesehen, vielleicht hat er sie auch schon zu oft gedreht, aber eine Prägnanz, ein echtes Interesse am Schicksal der Protagonisten will nicht entstehen. Man sitzt als Zaungast dabei, registriert, was so passiert, leidet ein wenig mit mit Gilliam, der mit wenig Budget durchaus einiges zaubert - aber das heutige Kino hat sich so verändert, dass The Man who killed Don Quixote weder mit alten Ausstattungsfesten noch mit modernen Bildwelten mithalten kann. Vieles wirkt anachronistisch und ein wenig angestaubt.
Foto: Diego Lopez Calvin © 2018 Concorde Filmverleih GmbH
Am deutlichsten sieht man das beim Frauenbild. Ich muss zugeben, dass ich darüber früher weniger nachgedacht habe. Mercedes Ruehl und Amanda Plummer in The Fisher King sind ein gutes Beispiel. Sie liefern darstellerische Kabinettstückchen, sind hübsches (und etwas sonderliches) Beiwerk, aber man hat nicht wirklich das Gefühl, dass sich der Regisseur für die weiblichen Figuren so sehr interessiert wie für die männlichen. Sie vervollständigen nur das Umfeld der Hauptrollen, geben den Figuren zusätzliche Motivationen, wandern aber ab in die Kulissen, sobald es wirklich zur Sache geht, um dann gegen Ende des Abenteuers wieder auftauchen zu dürfen. So wie die Prinzessinnen in mittelenglischen Romanzen, für die man(n) zwar gegen Drachen oder ähnliches kämpft, die sich aber fast gänzlich auf den Aspekt der »Belohnung« reduzieren lassen (es gibt natürlich Ausnahmen, aber die bestätigen die Regel nur).
Hier ist es die junge Wirtstochter Angelica, die bereits von Tobys früherem Film »zerstört« wurde (»YOU! ... and your film destroyed good people! ... destroyed my beautiful daughter!«), wobei aber auffällt, dass alle moralischen Werturteile (insbesondere über den Lebenswandel von Frauen) hier von Männern gefällt werden. Und man auf irgendwelche »Widerworte« auch kaum reagiert. Toby als Protagonist des Films schiebt vermeintliche Reue vor (»I fucked up things for you, didn't I?«), aber die alternative weibliche Sichtweise (»Don't flatter yourself! Do you think I wanted to do laundry my whole life?«) wird nicht nur von den männlichen Filmfiguren nicht akzeptiert, es wirkt auch, als entspräche das »offizielle Statement des Films« der veralteten patriarchalen Weltauffassung, die vermeintlich »feministischen« Aussagen (warum soll eine Frau nicht ihre weiblichen »Waffen« benutzen, um ihre Lebensträume zu verwirklichen?) werden immer wieder durch den Kontrast zu uralten Moralvorstellungen »kritisch hinterfragt«, es wirkt letztendlich so, als seien in der Filmwelt auch die Frauen so »verwirrt« wie die verschiedenen Don-Quixote-Variationen.
Die eifrig vorangetriebene Filmhandlung funktioniert trotz mancher leichter quixotischer Brechung jedenfalls weiterhin nach dem »Rettungsprinzip«: Frauen müssen gerettet werden - zur Not vor sich selbst und ihren irrsinnigen Ideen!
Foto: Diego Lopez Calvin © 2018 Concorde Filmverleih GmbH
Man kann das Ende des Films zwar auch feministisch deuten, wenn sich die Frauen allzu bereitwillig in die Opferrollen fügen oder etwa Angelica sich im vermeintlichen »Happy End« der männlichen Fantasie beugt (Frauen sind intelligent genug, sich das ihnen aufgedrängte Rollenmodell zueigen zu machen), doch innerhalb des Films wird diese Interpretation nur vage angedeutet, es fällt viel deutlicher auf, dass in der Filmwelt jeder Mann mit nur ein bisschen Macht sich die Frauen zueigen macht, ob Gangster, Vater oder lüsterner Filmschaffender, ob Mittelalter oder Gegenwart. Hierbei wirkt Gilliams Film keineswegs, als sei dies ein (vergleichsweise) topaktuelles Statement zur Harvey-Weinstein-Affäre, denn beispielsweise ein sich durch den Film ziehender Running Gag, dass Toby sich den Namen einer ausgenutzten Untergebenen nicht merken kann, führt keinesfalls dazu, dass man die Situation aus ihrer Sicht sieht (und inmitten ihres Rollenklischees durchlebt diese semi-namenlose Figur eine Art Karriere), die weibliche Figur an sich, die innerhalb des Films ein wichtiges Statement setzen könnte, wird auf den Status eines Treppenwitzes reduziert.
Ein bisschen wirkt es so, als hätte man im Drehbuch durchaus einige nicht ganz so engstirnige Ideen einfließen lassen (womöglich der Verdienst des Co-Autors Tony Grisoni?), doch spätestens in der Montagephase wurden diese Elemente so unterbetont, dass sie faktisch für ein Großteil des Publikums ausgemerzt und nicht mehr wiedererkennbar wurden. Und »in dubio pro reo« kann man angesichts des Gesamtbildes, dass hier über die Geschlechterrollen entsteht, meines Erachtens nicht gelten lassen.
Hier und da blitzt zwar die *alte* Genialität Gilliams auf (wenn Filmfiguren etwa konstatieren »We don't need this« und Untertitel nonchalant von der Leinwand schieben), aber der Umstand, dass sich der Film trotz gewisser Budget-Einschränkungen gut in des Gesamtwerk Gilliams einfügt (was man von seinen letzten paar Filmen nicht behaupten konnte), reicht schlichtweg nicht aus, um hier von einer Rückkehr zur alten Form sprechen zu können. Dafür ist der Film auch einfach zu lapidar runtererzählt und ohne Message oder Pointe, die man nicht in einem anderen Gilliam-Film schon besser erlebt hat.