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31. Dezember 2018
Thomas Vorwerk
für satt.org


  Shoplifters - Familienbande (Hirokazu Kore-Eda)


Shoplifters -
Familienbande
(Hirokazu Kore-Eda)

Originaltitel: Manbiki kazoku, Japan 2018, Buch, Schnitt: Hirokazu Kore-Eda, Kamera: Ryûto Kondô, Musik: Haruomi Hosono, Production Design: Keiko Mitsumatsu, mit Lily Franky (Osamu), Sakura Andô (Nobuyo), Mayu Matsuoka (Aki), Kilin Kiki (Hatsue), Kairi Jyo (Shota), Miyu Sasaki (Juri), 121 Min., Kinostart: 27. Dezember 2018

Kore-Eda hat gerade in den letzten Jahren das Sujet der Familie für sich entdeckt. Nicht in der Tradition Ozus, sondern auf moderne Weise, mit neuen Formen und Herausforderungen der Familieneinheit. Das sieht man schon an seinen Filmtiteln wie Like Father, Like Son oder Unsere kleine Schwester. Schon in meinem Lieblingsfilm von Kore-Eda, Nobody Knows von 2004 (laut Presseheft auch als »Die Kofferkinder« vertrieben), wurden alternative »Familienbande« beschrieben. Zwar ging es damals um blutsverwandte Halbgeschwister, doch die junge Kinderschar musste sich ohne die Mutter im Alleingang durchschlagen.

Die halblegale Notlage findet man auch bei den Shoplifters wieder. Durch Unterstützung des öffentlichen Nahverkehrs habe ich die ersten Minuten des Films verpasst, doch meine Sitznachbarin, die mich fix über die erste Szene informierte, gab mir gegenüber nach dem Film zu, dass sie den zentralen Handlungsmoment des Filmanfangs quasi »übersehen« hatte. Ob die »Rettung« eines jungen Mädchen so subtil nebenbei oder sogar elliptisch erzählt wurde, kann ich somit so gar nicht entscheiden, doch man bekam bei dieser Familie sehr schnell mit, dass alle Nase lang Geheimnisse unter der Oberfläche brodeln oder dies und das nicht ausgesprochen wird.

Shoplifters - Familienbande (Hirokazu Kore-Eda)

© Wild Bunch Germany 2018

Familienoberhaupt Osami (Lily Franky) kann den Knaben Shota nicht ohne weiteres dazu bringen, ihn »Papa« zu nennen, die Großmutter Hatsue (Kilin Kiki) wird seltsam behandelt, ihre Enkelin Aki (Mayu Matsuoka) arbeitet unter falschem Namen in einer Art Peepshow, eine ganze Ecke später erfahren wir, dass auch die vermeintliche Familienmutter Nobuyo (Sakura Andô) ihren Lebenspartner in einem ähnlichen Etablissement kennengelernt hat.

Shoplifters - Familienbande (Hirokazu Kore-Eda)

© Wild Bunch Germany 2018

Den neuesten Familienzugang, die gerettete / gekidnappte kleine Juri (oder Yuri?), gefällt es in der ungewohnten Gesellschaft dennoch sehr gut, als man sie mal zurückbringen will zu ihren Eltern, bekommt man nur mit, wie diese sich lauthals streiten - und entscheidet sich trotz der gefährlichen Situation, ein fremdes Kind als das eigene auszugeben, quasi zu Gunsten des Kindes, das im Verlauf des Films sein Erscheinungsbild ändert, einen neuen Vornamen annimmt und im familienweiten Nebenjob des Ladendiebstahls geschult wird.

Wie wenig diese Familie tatsächlich blutsverwandt ist, erfährt man erst in den letzten zwanzig Minuten, doch die »Familienbande«, die diese seltsame Gruppe gegen alle Probleme zusammenrücken lässt, werden durch andere Gemeinsamkeiten ersetzt. Etwa die fast deckungsgleichen Narben, die Juri und Nobujo durch unsachgemäße Nutzung eines Bügeleisens erfahren haben - oder eine lange verborgene Namensgleichheit zweier Figuren, die noch deutlicher die beiden Familienmitglieder zusammenschweißt.

Shoplifters - Familienbande (Hirokazu Kore-Eda)

© Wild Bunch Germany 2018

Ziemlich putzig finde ich übrigens im Presseheft den besonderen Hinweis auf die Filmmusik »des Komponisten Hosono Haruomi, die dem brüchigen Glück der Familie Shibata eine fast fröhliche Leichtigkeit verleihen«. Was mir vor allem bei der Filmmusik auffiel war, dass ich etwa zwei oder drei Musikeinsätze an ganz dezidiert ausgewählten Momenten wahrgenommen habe (zum Beispiel bei der ersten in Sonnenlicht spielenden Szene). Meines Erachtens gab es im Nachspann eher mehr Musik als im eigentlichen Film (was aber auch clever war). Hihi!

Shoplifters - Familienbande (Hirokazu Kore-Eda)

© Wild Bunch Germany 2018

Die letzten zwanzig Minuten des Films haben mich auf Anhieb nicht komplett verzückt (muss ich noch mal genauer drüber nachdenken), aber vieles zuvor ist großartig genug. Etwa die hübsch eingesetzten Ellipsen (Orangenszene, »Scheinwerferlicht«) oder diverse tolle Einzelszenen wie das Vater-Sohn-Gespräch über Brüste, die Unterschicht-Mentalität bei illegalen Handlungen (mit einem »Pst!« und einem entwaffnenden Lächeln wird alles akzeptiert), Akis kleine Lovestory oder solch ein Detail wie die »Kleie-Croutons«, die Juri schon von ihrer Großmutter kennt. Großes Kino der kleinen Momente!