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24. Juli 2019
Thomas Vorwerk
für satt.org


  Leid und Herrlichkeit (Pedro Almodóvar)


Leid und Herrlichkeit
(Pedro Almodóvar)

Originaltitel: Dolor y gloria, Spanien 2019, Buch: Pedro Almodóvar, Kamera: José Luis Alcaine, Schnitt: Teresa Font, Musik: Alberto Iglesias, Szenenbild: Antxon Goméz, Art Director: Clara Notari, mit Antonio Banderas (Salvador Mallo), Asier Etxeandia (Alberto Crespo), Leonardo Sbaraglia (Federico), Nora Navas (Mercedes), Penélope Cruz (Jacinta, in jungen Jahren), Cecilia Roth (Zulema), Asier Flores (Salvador als Kind), Julieta Serrano (Jacinta, in späten Jahren), César Vicente (Eduardo), Susi Sánchez (Fromme Frau), Raúl Arévalo (Venancio), Pedro Casablanc (Dr. Galindo), Julian Lopéz (Leiter der Kinemathek), Rosalía (Rosita), 113 Min., Kinostart: 25. Juli 2019

Ich achte manchmal gern besonders aufmerksam auf den Beginn eines Films, hier etwa fast klassische Titel innerhalb eines weißen Kastens (der sich später als weiße Leinwand offenbaren wird), umgeben von Farbflüssigkeiten wie in den Edgar-Allan-Poe-Verfilmungen von Roger Corman, nur hier größtenteils (wenn nicht komplett) digital erzeugt. Da entsteht gleich ein bunter Strom, ein Sog, bei dem man noch nicht weiß, ob es gruselig wie in La piel que habito wird oder bunt wie in --- na gut, eigentlich allen Almodóvar-Filmen.

Antonio Banderas und Penélope Cruz spielen in diesem Film mit, die von ihnen gespielten Figuren haben auch einige gemeinsame Szenen, aber man sieht die beiden nie gleichzeitig auf der Leinwand, weil Penélope (in einer eher kleineren Rolle) die Mutter des kleinen Salvador (Asier Flores) spielt, der dann viel später von Banderas gespielt wird, der seine Mutter Jacinta (jetzt Julieta Serrano) wiedertrifft. Die Beziehung zwischen Mutter und Sohn ist wichtig, aber Salvador Mallo ist vor allem ein in die Jahre gekommener Regisseur, der die restaurierte Fassung eines Films von 1987 in einer Cinemathek vorstellen soll und darüber über seine Vergangenheit nachdenkt, wobei diese Flashbacks und Erzählungsfetzen immer wieder mit der Gegenwart in Verbindung gebracht werden.

Leid und Herrlichkeit (Pedro Almodóvar)

© Studiocanal / El Deseo / Manolo Pavón

Ich bin nicht der ultimative Experte für Almodóvar, aber einen so autobiographisch ausgefütterten Film wie diesen habe ich noch keinen von ihm gesehen. Er selbst sieht Dolor y gloria als dritten Teil einer thematischen Trilogie nach La ley del deseo (ein prägendes Werk von... genau, 1987!) und La mala educación. Almodóvar: »Alle drei Filme haben einen Filmregisseur als Protagonisten und in jedem Teil stellen Begierde und filmisches Erzählen die Grundpfeiler der Erzählung da.« Naja, auf diesen gemeinsamen Nenner muss man erst ein mal kommen.

Die in den 1960ern, 1980ern und heutzutage spielende Geschichte (wobei man von den Achtzigern nichts sieht, diese Phase aber dennoch sehr präsent ist) ist sehr liebevoll zusammengesetzt, hat aber einen unverkennbaren Tatsch von Selbstbeweihräucherung. Auch wenn es im Film keine Figur namens Federico gegeben hätte, müsste man an Otto e mezzo denken, nur wenn das hier rein zählerisch 20½ wäre.

Leid und Herrlichkeit (Pedro Almodóvar)

© Studiocanal / El Deseo / Manolo Pavón

Zwei zentrale Motive der vergangenen Jahrzehnte drängen sich in den trüben Alltag der keuchenden Hülle eines Regisseurs: die Sucht und das Begehren, und Almodóvar findet einige hübsche Bilder: Als Junge lebte Salvador in einer buchstäblichen Höhle (unterirdische Behausung), die aber durch ein vergittertes Fenster zum Himmel lichtdurchflutet ist - und extra weiß angestrichen wird.

Eine weiße Leinwand spielt auch eine wichtige Rolle im Theaterstück »Die Sucht«, das Salvador einst in den 80ern schrieb (»Der Text ist ein Geständnis, ich will nicht erkannt werden«) und nun seinem einstigen besten Freund, dem Schauspieler aus dem Film von 1987, geschenkt hat. Auch um den drei Jahrzehnte herrschenden Streit beizulegen. Eine weitere Leinwand spielt eine Rolle im Leben des Kunstliebhabers Salvador, und hierbei handelt es sich um ein Palimpsest im besten Sinne, das auch als Symbol für die Filmhandlung herhält, wenn man auf diese Art drauf schauen möchte.

Leid und Herrlichkeit (Pedro Almodóvar)

© Studiocanal / El Deseo / Manolo Pavón

Das Leid, oder streng genommen der Schmerz spielt eine viel größere Rolle als irgendwelche positiven Gegenbewegungen. Selbst das vielbeschworene Begehren (Almodóvars Produktionsfirma heißt nach seinem 87er-Film »El deseo«) wird hier zum Teil nur im Nachhinein rekonstruiert, nach dem Motto »damals, als ich noch nicht realisiert hatte, dass ich auf Männer stehe«.

Im Kino von Salvadors Jugend roch es immer nach »Pisse, Jasmin und Sommerwind«, in Dolor y gloria kann man diese Kopfnoten nicht mal mehr erahnen. Ein schwergängiges Alterswerk, bei dem sogar das alter ego des Regisseurs wegen eine Rückenleidens kaum mal in Bewegung ist. Auch der Zugriff auf digital erstellte Bilder dünkt nicht von einem Bestreben, auf der Höhe der Zeit zu bleiben, sondern wirkt wie ein halbherziges Zugeständnis, das nicht zum Sujet passt. Wie der Hinweis, dass manches zu absurd sei, um es zu googlen - nur um den Film dann mit mindestens zwei unglaubwürdigen, sehr erdacht wirkenden Zufällen zu seiner Vollendung zu führen. »Ich weiß, dass es die digitale Welt gibt, aber ich stelle sie nur aus, um sie lächerlich wirken zu lassen« - Ganz wie Kollege Jarmusch.

Leid und Herrlichkeit (Pedro Almodóvar)

© Studiocanal / El Deseo / Manolo Pavón

Dolor y gloria gehört zwar zur besseren Hälfte seiner Filme des neuen Jahrtausends (und da waren immerhin einige leicht fehlgeleitete Meisterwerke dabei), aber diese melancholische Gequältheit, diese zelebrierte Einsamkeit, sie mag durchaus irgendwas tief drin im einst so kraftvollen Regisseur spiegeln, der im September seinen 70. Geburtstag feiert - aber sie verzaubert einen auf dem Kinosessel nur in den besten Momenten ... in den schwächeren kann man auch mal mit dem Schlaf kämpfen.

Ich glaube, ich habe noch nie eine Kritik zu einem »Film des Monats« mit so harten Worten beendet, aber wenn der Pedro dolor will, bekommt er dolor - und eine kleine Prise gloria.