Toy Story 4
(Josh Cooley)
»Deutscher« Titel: A Toy Story - Alles hört auf kein Kommando!, USA 2019, Buch: Andrew Stanton, Stephany Folsom, »Kamera«: Patrick Lin, Jean-Claude Kalache (Lighting), Schnitt: Axel Geddes, Musik: Randy Newman, Production Design: Bob Pauley, Art Direction: Craig Foster, Laura Phillips, mit den Originalstimmen von Tom Hanks (Woody), Tim Allen (Buzz Lightyear), Annie Potts (Bo Peep), Tony Hale (Forky), Keegan-Michael Key (Ducky), Jordan Peele (Bunny), Madeleine McGraw (Bonnie), Christina Hendricks (Gabby Gabby), Keanu Reeves (Duke Caboom), Joan Cusack (Jessie), Kristen Schaal (Trixie), Ally Maki (Giggle McDimples), Jay Hernandez (Bonnie's Dad), Lori Alan (Bonnie's Mom), Bonnie Hunt (Dolly), Emily Davis (Billy / Goat / Gruff), Wallace Shawn (Rex), John Ratzenberger (Hamm), Blake Clark (Slinky Dog), June Squibb (Margaret the Store Owner), Carl Weathers (Combat Carls), Lila Sage Bromley (Harmony), Don Rickles (Mr. Potato Head [Archivaufnahmen]), Estelle Harris (Mrs. Potato Head), Laurie Metcalf (Andy's Mom), Mel Brooks (Melephant Brooks), Carol Burnett (Chairol Burnett), Betty White (Bitey White), Carl Reiner (Carl Reineroceros), Bill Hader (Axel the Carnie), Patricia Arquette (Harmony's Mom), Timothy Dalton (Mr. Pricklepants), Flea (Caboom TV Announcer), Jeff Garlin (Buttercup), 100 Min., Kinostart: 15. August 2019
Ich glaube, ich könnte ohne Probleme meine durchschnittlichen Anzahl an Zeichen (inkl. Leerzeichen) für eine Filmkritik damit füllen, wie idiotisch in den »deutschen« Titel für Toy Story 4 finde.
Ein Blick zurück: 1995, im letzten Jahrtausend, als erster computeranimierter Film in Spielfilmlänge, kam Toy Story in die Kinos. Damals war der Begriff »Pressevorführung« noch kein Begriff für mich, den Film verleibte ich als NTSC-Laserdisc (Collector's Edition, nothing less!) meiner Sammlung ein. Und Tim Allen, Wallace Shawn und Randy Newman befanden sich auf dem jeweiligen Höhepunkt ihrer Karrieren.
Die Probleme, die Westernspielzeug Woody seitdem durchlitt, sind gar nicht so unterschiedlich von dem, was weltweit in Kinder- wie auch anderen Zimmern geschah: Wer Toy Story als Kind im Kino sah, ist mittlerweile wie Woodys ursprünglicher Besitzer Andy, im College-Alter (oder sogar drüber hinweg).
Zwischendurch folgten die Fortsetzungen Toy Story 2 und Toy Story 3, und ich war beide Male positiv überrascht darüber, wie man die filmische Qualität hielt, wenn nicht sogar steigerte.
Zu jedem Zeitpunkt hätte man annehmen können, dass der jeweils aktuellste Toy-Story-Film auch der letzte sein würde - auch, wenn man ähnlich wie bei Cars oder Frozen ganz sicher bei Disney nicht riskieren wollte, das sich quasi wie von selbst verkaufende Merchandise in Vergessenheit geraten zu lassen.
Toy Story 4 erzählt abermals eine neue, andere Geschichte (u.a. mit neuen Figuren), die sich dennoch ganz auf die altbekannten Hauptfiguren stützt, insbesondere auf Woody, der im Kinderzimmer von Bonnie längst nicht mehr den Popularitätsrang wie zu Andy-Zeiten innehält. Bonnie spielt halt anders und hat andere Interessen.
© 2019 Disney / Pixar. All rights reserved.
Dies wird besonders deutlich, als Bonnie im Kindergarten aus einem Göffel und Pfeifenreinigern ein eigenes Spielzeug bastelt, in das sie ganz vernarrt ist. Das Problem: Forky, rein evolutionär eine Art Frankensteins Monster, das durch seine »Schöpfung« als Spielzeug ein eigenes Bewusstsein entwickelt, sieht sich gar nicht als Spielzeug, sondern strebt zum nächsten Mülleimer, wo er seines Erachtens hingehört. Da Woody und seine KollegInnen sich bei aller Eigenständigkeit und Individualität als Servicekräfte sehen, die Bonnie glücklich machen wollen - und Bonnie will Forky mit einer Vehemenz, wie es Woody es nur noch aus der Kindheit Andys kennt. Also entwickelt sich ein Kampf zwischen den Wünschen von Bonnie und Forky, bei dem insbesondere Spielzeuge wie Woody aktiv werden (»Woody was right. We all should have been safeguarding the utensil!«).
Dieser Grundkonflikt reicht aber noch nicht für den Film, den abermals werden Orte erkundet, an denen ein Spielzeug auf seinem Lebensweg landen kann. Dabei treffen wir erneut auf Bo Peep (dt.: Porzellinchen), die mittlerweile eine feministische Verwandlung durchmachte. Und ein neuer Gegenspieler agiert wie ein Leichenschänder oder Kannibale, wobei man aber eine Geschichte wie in Richard Matheson I am Legend, in Warm Bodies oder bei den X-Men erzählt: eine vermeintliche Gefahr offenbart sich als eine neue evolutionäre Stufe, mit der sich der Rest der Welt entweder arrangieren muss - oder es führt zu einem finalen Konflikt.
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Natürlich formuliere ich das etwas überspitzt, Toy Story 4 ist trotz allem ein Film für die ganze Familie, den ganzen Metatext über künstliche Intelligenz und verzweifeltes Cyber-Recycling nehmen die rasenden Meter allenfalls unterschwellig war.
Auch, wenn Toy Story 4 es nicht ganz mit der bisherigen »Trilogie« aufnehmen kann, hat der Film es nicht verdient, in Deutschland gedowngradet zu werden. »A Toy Story« klingt wie »A Star Wars Story«, und bei diesem anderen Disneyprodukt ist die »Hierarchie« zwischen unterschiedlich »wichtigen« Filmen unübersehbar. Noch schlimmer wird diese Titelveränderung durch den deutschen Zusatztitel, der nur eingeschränkt dem Film gerecht wird, und einfach turbulent und witzig klingen soll (ich muss an dieser Stelle betonen: »soll«!). Auf dem Plakat heißt es »Hier spielen doch alle verrückt!«, als ginge es nicht mehr um Emotionen, sondern nur noch um ein Gag-Feuerwerk.
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Zum Teil erkennt man zwar diese Tendenzen, insbesondere bei den Trailern und Teasern, die sich stark auf die Schießbuden-Kuscheltiere Ducky und Bunny konzentrieren - doch die Emotion ist immer noch die treibende erzählerische Kraft im vierten Film. Es kann nur sein, dass sie mal ironisch gebrochen wird, wenn etwa in einem hochemotionalen Moment, wo zwei Hände zueinanderfinden und sich trösten und verbinden ... eine dieser Hände halt ein recycleter Pfeifenreiniger ist.
Zwar verfolgt Toy Story 4 ähnliche, aus meiner Sicht gefährliche Trends wie Avengers drölf, wo die Story all over the place verteilt wird, sich in unzähligen Nebenfiguren verliert und eher an 22 Short Films about Springfield erinnert - aber Toy Story 4 ist auch für Späteinsteiger oder Spätgeborene verständlich konzipiert, worauf man bei diesen Avengers-Serienfilmen immer deutlicher verzichtet. Und deshalb mag ich Toy Story 4, wo ich mich gegen Avengers: Endgame sperre - selbst wenn ich irgendwann der letzte Comicfan der westlichen Welt bin, der sich diesem Hype widersetzt.
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Und solange man so viel Sorgfalt und Liebe in den nächsten Toy-Story-Film und all seine teilweise absurden Figuren legt, werde ich mir auch noch mit 85 Jahren Toy Story 10 anschauen. Und ich hoffe, dass man dann auch in Deutschland zur Nummerierung zurückfindet, denn nach »a toy story« kann höchstens noch »another toy story« folgen - und spätestens dann wird vielleicht jemand der Verantwortlichen begreifen, dass man sich in eine Sackgasse manövriert hat, statt den Glauben an die Qualitätsstandards von Pixar aufrechtzuerhalten.