Midsommar
(Ari Aster)
USA / Schweden 2019, Buch: Ari Aster, Kamera: Pawel Pogorzelski, Schnitt: Lucian Johnston, Musik: Bobby Krlic, Kostüme: Andrea Flesch, Szenenbild: Henrik Svensson, mit Florence Pugh (Dani), Jack Reynor (Christian), Will Poulter (Mark), William Jackson Harper (Josh), Vilhelm Blomgren (Pelle), Ellora Torchia (Connie), Gunnel Fred (Siv), Archie Madekwe (Simon), Hampus Hallberg (Ingemar), Isabelle Grill (Maja), Lars Väringer (Sten), Henrik Norlén (Ulf), Anders Beckman (Arne), Julia Ragnarsson (Inga), Anki Larsson (Irma), Anna Åström (Karin), 147 Min., Kinostart: 26. September 2019
Hereditary wurde zum Teil abgefeiert, als hätte man geschnitten Brot neu erfunden. Ich stand dem Film eher skeptisch gegenüber, wusste aber, dass man von diesem Regisseur noch was zu erwarten hat.
Midsommar hat mir persönlich besser gefallen. Dafür gibt es zwei direkte Gründe, von denen einer eher gegen den Film sprechen sollte. Und außerdem ist mir noch etwas eingefallen, was mich als Nicht-Fan von Hereditary eher negativ beeinflussen sollte, es aber nicht tut.
Die reinweg positive Veränderung von Hereditary zu Midsommar ist für mich, dass Midsommar eine Menge Humor hat, während Hereditary seine im Kern eher lachhafte Gruselgeschichte allzu bierernst durchzieht.
© Gabor Kotschy / Courtesy of A24 Pictures
Der Humor funktioniert für mich quasi noch besser, weil Midsommar sich sehr genau an bestimmte Grundregeln bestimmte Horrorfilme hält: eine Gruppe junger Erwachsener bricht gemeinsam auf in eine Gegend fernab der (normalen) Zivilisation. In diesem Fall nach Schweden, wo man außergewöhnliche Riten zur Mittsommerwende beobachten will. Und / oder sich zudröhnen will. In diesem Fall wird das Backwood-Genre mal anders aufgezogen, weil es sich nicht in dunklen Wälder, sondern auf sonnigen Wiesen abspielt (Nachtszenen gibt es keine, allenfalls in einigen Gebäude ist es etwas abgedunkelt). Und man sich nicht durch Inzucht-mutierte Hinterwäldler bedroht wird, sondern von einer altertümlichen Kommune offenherzig empfangen wird. Blonde Schönheiten in unschuldig-weißen Kleidern, das neue Umfeld wirkt eher besonders fragil, weil in einer heilen Welt verankert, ein bisschen wie die Amish.
© Courtesy of A24 Pictures
Was dabei ein echter Pluspunkt ist: Regisseur und Autor Ari/Aster spielt trotz einer komplett anderen Atmosphäre mit den selben plot devices, die zwar im Horrorkino zuhause sind, aber auch im realen Leben vorkommen, weshalb das Ganze zunächst auf zwei Ebenen spielt. Wie in Hereditary gibt es auch hier ein Trauma innerhalb der Familie und bei einer Figur ist man sich nicht sicher, ob sie vielleicht vor allem eine psychologische Therapie bräuchte, statt sich in seltsamen Umständen wiederzufinden, die sehr bedrohlich wirken.
Diese Unsicherheit innerhalb der Narration ist ein alter Hut (siehe etwa Henry James' The Turning of the Screw oder Shirley Jacksons The Haunting of Hill House), überträgt sich aber gut auf den Zuschauer, der zwar angesichts des Genres annimmt, dass die Bedrohung durchaus existiert, aber auch immer wieder Indizien dafür bekommt, dass vielleicht nicht alles so abläuft, wie wir es auf der Leinwand erleben.
© Gabor Kotschy / Courtesy of A24 Pictures
Gerade in den letzten Jahren spielt man gern mit dieser Metaebene, die im Horrorfilm seit den politisch unterfütterten Gemetzeln der späten 1960er und frühen 1970er (Vietnam und reale Gewalt wurden verarbeitet) oft eher versteckt ins Spiel kam, heutzutage aber bei einem Publikum, das über die Geschichte des Genres dazugelernt hat, oft geradezu gefordert wird. The Babadook oder A Monster Calls (kein Horrorfilm per se) gehören zu solchen Filmen, aber nahezu jeder Horrorfilm mit ein klein wenig Ambitionen spielt mit solchen Themen.
Wenn man als Zuschauer verstehen kann, warum die Protagonisten die drohende Gefahr nicht wahrzunehmen scheine, weil man sich nicht ganz sicher ist, ob es diese Gefahr existiert, wird man stärker in die Geschichte hineingezogen. Hier ist es aber so, dass man relativ schnell kapiert, dass die Gefahr existent ist - und die US-Touristen nehmen selbst offensichtlich improvisierte Ausreden nicht als solche wahr, was den Zuschauer in die Rolle des Mitwissenden drängt, was hier durchaus unterhaltsam ausfällt (mein liebstes Opfer ist übrigens Will Poulter, der hier quasi die Strafe bekommt für seine Rolle als fieser Rassisten-Cop in Detroit).
© Courtesy of A24 Pictures
Wenn man früh im Film eine traditionelle Bildgeschichte sieht, die offenbar ganz ähnlich durchgezogen wird bei den nur alle neunzig Jahre stattfindenden Ritualen, kommt es zu meiner Lieblingsszene: Draußen wird eine prächtige Festtafel aufgebaut und bei einer Einstellung sieht man, dass im Glas des einen Touristen eine geringfügig andere Flüssigkeit dargeboten wird. Dass Aster für sein US-amerikanisches Publikum den Gag gefühlt drei Mal erklärt, bis noch der letzte es kapiert, das nehme ich Aster aber übel.
Schon in Hereditary ging es oft um sehr subtile, aber kraftvolle Szenen - und mit großen roten Pinsel umgesetzte Effektszenen. Auch in Midsommar springt Aster zwischen subtil und garstig hin und her, was ein wenig das Potential des Films zersetzt. Aber als etwas makabrer Fun-Horror mit unterschwelliger Trennungsgeschichte (offenbar Asters Inspiration: man mag es niemandem wünschen, zur Exfreundin eines Horrorfilmers zu werden) ist Midsommar eine trotz zweieinhalb Stunden Lauflänge kurzweilige Unterhaltung.