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26. Februar 2020 | Friederike Kapp (Sune - Best Man) & Thomas Vorwerk (restliche Kritiken) für satt.org | ||||||||||||
Alle Terminangaben sind sorgfältig abgetippt, aber ohne Gewähr. Die Filme werden immer unter dem Titel aufgeführt, unter dem man sie im offiziellen Berlinale-Katalog findet. |
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Dt. Titel: Die Wölfe, Mexiko / USA 2019, Buch: Samuel Kishi Leopo, Sofía Gómez Córdoba, Luis Briones, Kamera: Octavio Arauz, Schnitt: Yordi Capó, Carlos Espinoza Beníz, Samuel Kishi Leopo, Musik: Kenji Kishi Leopo, Production Design: Hania Robledo, mit Martha Reyes Arias (Lucía), Maximiliano Najár Márquez (Max), Leonardo Najár Márquez (Leo), Cici Lau (Mrs. Chan), Johnson T. Lau (Mr. Chan), 95 Min., empfohlen ab 9 Jahren
[Rezension von Thomas Vorwerk]
Der Regisseur, der 2014 bereits seinen Debütfilm Somos mari pepa bei der Generation vorstellte, hat sich für Los Lobos an die eigene Kindheit erinnert. Als er fünf war, hat sich seine Mutter vom Vater getrennt und ihn und seinen dreijährigen Bruder kurzerhand geschnappt und ist mit leichtem Gepäck über die Grenze in die USA gewandert. Ohne echte Englischkenntnisse und unter dem Vorwand, man wolle Disneyland besuchen.
Im Film erkennt man diese Kernidee leicht wieder, die größten Unterschiede sind vielleicht, dass die Brüder hier 8 und 5 sind (vermutlich, weil sie die zusätzliche »Reife« brauchten, um die Schauspielanweisungen zu erfüllen) und sich tatsächlich an den Traum klammern, nach den schweren Zeiten zu Beginn irgendwann Disneyland zu sehen.
Auch ein anderes Kernelement, an das sich Leopo noch aus seiner Kindheit erinnert, wurde übernommen: ein alter Kassettenrecorder, den die Mutter benutzt, um Kernregeln und die ersten Englischlektionen für ihre Kinder aufzusprechen, die größtenteils allein in einer heruntergekommenen Wohnung den Tag verbringen, ehe die Mutter abends von ihrem Niedriglohnjob zurückkommt.
Die wichtigste Regel ist es, nicht die Wohnung zu verlassen, und man erlebt mit, wie es den Jungs immer schwerer fällt, diese Regel einzuhalten, wenn sie draußen gleichaltrige Burschen beim Fußball sehen, die sie zum Mitmachen animieren.
© Octavio Auroz
Irgendwann kommt es zu den ersten zaghaften Verstößen gegen diese Regel, und das bringt auch Unheil mit sich, aber keine Mutter, die diesen Film sieht, könnte Max und Leo böse sein, die sich gefühlt Wochen oder Monate lang alle Mühe geben, ihr farbloses Verließ zu einem Ort der Fantasie zu machen, bei dem auch der angenommene Name der kleinen eingeschworenene Gruppe von drei sich liebenden Familienmitgliedern eine Rolle spielt.
Die zwei kleinen Wölfe sieht man in kleinen Animationssequenzen, die ganz manchen Kritzeleien an den Zimmerwänden nachempfunden sind.
Auch in diesem Film gibt es ein wenig glaubhaftes Happy-End, dass ich aber ausnahmsweise durchgehen lasse, weil Kinder diese Hoffnung benötigen und stilistisch Anfang, Mitte und Ende des Films trotzdem gut zusammenpassen.
Die in Los Lobos wie ein Mantra vorgetragene Botschaft »We want to go Disney!« wird einen noch lange nach dem Film begleiten. Wenn die Kinderdarsteller in einem Alter sind, wo sie zuvorderst Kinder und noch nicht wirklich »Darsteller« sind, entwickeln sie oft einen Charme, der über die Kunst des Filmemachens schnell hinausgeht.
Leopo arbeitet im Film auch mit »dokumentarischen« Mitteln, die er in seine autobiographische Fiktion einarbeitet. Neben den Kindern sind dies das asiatische Paar Mr. und Mrs. Chan, die im Wohnkomplex in der Nachbarschaft wohnen und ungeachtet ihrer freundlichen Art gleichzeitig auch die ausbeuterischen und zunächst gleichgültigen Vermieter in der Geschichte sind (immerhin ist dieser Mieteralptraum immer noch erschwinglicher als einige andere besichtigte Behausungen). Die Chans brauchen eine gewisse Zeit, aber zum Ende des Films hin sind sie einem fast so ans Herz gewachsen wie die beiden Jungs. Und gleichzeitig stehen sie noch exemplarisch für die von Migranten durchwachsene Bevölkerung von Albuquerque.
Übrigens: zu Beginn des Films gibt es eine Einblendung »Albuquerque EUA« die nicht untertitelt wird und mich lange Zeit verwirrte. Ich dachte erst, es könne sich um das Äquivalent eines ZOB (Zentraler Omnibusbahnhof) handeln, doch schließlich erwies sich, dass die die mexikanische Abk. für die USA ist. Es ist anzunehmen und zu hoffen, dass die meisten US-Zuschauer dies sofort wissen.
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Dt. Titel: Sune - Bester Mann, Schweden 2019, Buch: Jon Holmberg, Kamera: Erik Persson, Schnitt: Fredrik Alneng, Musik: Joel Danell, Andreas Tengblad, Sound Design: Erik Guldager, Ton: Jesper Miller, Production Design: Ellen Oseng, Kostüme: Sara Pertmann, Maske: Johanna Eliason, Regieassistenz: Bamse Ulfung, mit Elis Gerdt (Sune), Baxter Renman (Håkan), Tea Stjärne (Anna), Fredrik Hallgren (Rudolf), Sissela Benn (Karin), Lily Wahlsteen (Sophie), Tomas von Brömssen (Morfar), Marika Lindström (Inger), Jonatan Rodriguez (Matte), Christoffer Nordenrot, Maria Nohra (Polizisten), 88 Min., empfohlen ab 8 Jahren
[Rezension von Friederike Kapp]
Sune (Elis Gerdt) hat wieder ein Problem: Er kann sich nicht entscheiden. Einerseits will er an dem bevorstehenden Klassenausflug teilnehmen, schon um seine Freundin Sophie (Lily Wahlsteen) nicht zu enttäuschen. Andererseits liebt er seinen Großvater (Jonatan Rodriguez), der an genau demselben Wochenende heiraten und Sune als Trauzeugen dabei haben will. Erst einmal sagt er einfach überall zu, aber das funktioniert natürlich nicht.
So quält sich der arme Kerl, ewig hin- und hergerissen, von Zusage zu Dementi und von Dementi zu Zusage. Da auch die Erwachsenen, insbesondere Sunes Vater Rudolf (Fredrik Hallgren), Konflikte lieber meiden als offen Farbe zu bekennen, gewinnen Notlügen und Heimlichkeiten die Oberhand, die Geschehnisse laufen mit zunehmender Geschwindigkeit aus dem Ruder.
Die Irrungen der Beteiligten münden in einen erstklassigen Roadmovie - ein Sommernachtsalbtraum auf Rädern. Zwischendurch erscheint unvermittelt immer wieder Sunes Ich aus der Zukunft in einem überholenden Auto mit einer leider unvollständigen Botschaft, eine wildgewordene minderjährige Allegorie.
Der Regisseur und Drehbuchautor Jon Holmberg setzt auf die bewährte Mischung aus Situationskomik, Rasanz und einem Schuss Außerwirklichem, die auch den 2019 in der Sektion Generation Kplus gezeigten Film Sune vs. Sune auszeichnet.
Auch in Sune Äì Bester Mann (seltsame Übersetzung; »best man« ist auf Deutsch der Trauzeuge) werden die Nöte des Protagonisten nicht diskreditiert, sondern komisch erhöht. Genau diese Fallhöhe wiederum unterstreicht die Komik.
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Dt. Titel: Nie wieder Nintendo, Phillipinen 2019, Buch: Valerie Castillo Martinez, Kamera: Ante Cheng, Schnitt: Cyril Aris, Musik: Zeke Khaseli, Yudhi Arfani, Production Design: Whammy Alcazaren, Thesa Tang, mit Kim Chloe Oquendo (Mimaw), Noel Comia Jr (Paolo), John Vincent Servilla (Kachi), Jiggler Sementilla (Guillermo aka Gilligan), Elijah Alejo (Shiara), Cayden Williams (Jimbo), Jude Servilla (Badong), Agot Isidro (Patricia), Nikki Valdez (Maribel), Angelina Canapi (Shirley), Ramon Bautista (Kuya Johnny), Lou Veloso (Mang Pido), 99 Mon., empfohlen ab 10 Jahren
[Rezension von Thomas Vorwerk]
Vermutlich ist es etwas gemein, aber das Detail, was mich an Death of Nintendo besonders berührt hat, hat mit dem Film an sich erstmal gar nichts zu tun.
Bei der Berlinale ist es wie bei einer großen Familie: man ist ungeheuer stolz darauf, was die einzelnen Familiengleider alles so erreicht haben. Gerade bei den Vorab-Pressevorführungen bietet man gern Zusatzinfos für die Presse, und unbedingt dabei sind immer die Fakten, welche Filme eines Regisseurs schon früher einmal bei der Berlinale liefen. Da gibt es die Teilnehmer beim Talent Campus (böse Zungen nenen sie »Ex-Talente«, die im Folgejahr ein Teil eines Episodenfilms für das Forum abliefern, vielleicht drei Jahre später ihr Debüt in der Generation präsentieren ... und irgendwann sind sie dann tatsächlich im Wettbewerb gelandet - und scheinbar bekommt man allein über die Berlinale-Auftritt den Kurzabriss einer Karriere geliefert. (Man darf hierbei nicht vergessen, dass unzählige mittlerweile etablierte Regisseure mal mit Kurzfilmen bei der Berlinale ihre Karriere starteten - und die kommen natürlich auch größtenteils immer wieder gerne zurück an den Ort, wo sie schon wie royalty behandelt wurden, als vielleicht selbst der eigene Onkel noch kaum etwas von der Filmkarriere mitbekommen hatte.
Lange Vorrede, bei Raya Martin, dem Regisseur von Death of Nintendo, gibt es durchaus Gründe, warum manden Künstler womöglich schon kennen kann. Aber meine Hochachtung vor den Kollegen in einer Generation-PV geht nicht so weit, dass ich wie die Präsentatorin des Films behaupten würde, dass Martin »viele von ihnen kennen« weil, so der implizierte Kausalzusammenhang, er mal 2014 ein Werk im »Forum Expanded« hatte. Ich muss sagen, diesen tief innewohnenden Respekt vor den Kritikern, die fast jeden Film kennen und auch noch die Catering-Betriebe aus den letzten drei Produktionen zuordnen können, fand ich immens putzig...
Death of Nintendo ist so ein Film, der ein wenig darunter leidet, wenn man sich als Zuschauer nicht so in den Philippinen oder Manila auskennt.
Im Kern ist der Film ein coming-of-age, das über das Aufkommen der Nintendo-Videospiele auch ein globales Wiedererkennen ermöglicht. Gleichzeitig geht es aber u.a. um gewisse Geiestererscheinungen kurz vor Ostern, Beschneidungsriten und einen Vulkanausbruch, der im Bewusstsein eines typischen deutschen Kinogängers vermutlich keine chronologisch leicht einzuordnende Zäsur verursacht hat.
Man merkt zwar, wie viel Mühe sich Raya und seine Drehbuchautorin Valerie Castillo Martinez geben, diese Elemente miteinander zu verbinden, aber man ist schnell selbst überfordert, den Details der Geschichte zu folgen. Und zehnjährige Kinobesucher haben es vermutlich nur deshalb leichter, weil sie Dinge, die sie nicht verstehen, selbst aus dem täglichen Leben kennen, und sie so leichter ignorieren können.
Im Grunde ist Death to Nintendo ein wenig wie Stand by Me, nur mit einem Mädchen in einer zentralen Position im Quartett von Kindern. Und statt einer Leiche gibt es halt den Vulkan. Und eine verhalten beschriebene Szene von einem »Wettwichsen«.
Der Kerngeschichte kann man aber ohne Probleme folgen, weil sie so universell ist: Tomboy Mimaw bemerkt, dass sie etwas für Paolo, einen ihrer »Kumpel« empfindet. Dummerweise ist der aber in Shiara verschossen - aus rein oberflächlichen Gründen. Und so hilft Mimaw Paolo, um ihm nahe zu sein, bekommt dabei ihr Herz angeknackst und lernt etwas daraus. Und dazu gesellen sich Erdbeben, die dafür sorgen, dass man nicht immer Nintendo daddeln kann, wenn man es gern hätte - und jene Friedhofexkursion, bei der ich nur so vage die Kernaussage begriffen habe (eine Berlinale ohne Übermüdung ist keine richtige Berlinale).
Mein Lieblingszitat aus dem Film: »My little pet is getting all grown up. (Sie riecht kurz an ihm) You already got BO!« - Körpergeruch als Grund zur euphorischen Freude hat man nicht soo oft im Kino...
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USA 1952, Dt. Titel: Wildes Blut, Buch: Silvia Richards, Kamera: Russell Harlan, Schnitt: Terry Morse, Musik: Heinz Roemheld, Kostüme: Valentina, Marie Hermann, Bill Edwards, Ausstattung: Dan Hall, mit Jennifer Jones (Ruby Corey), Charlton Heston (Boake Tackman), Karl Malden (Jim Gentry), Tom Tully (Jud Corey), Bernard Phillips (Dr. Saul Manfred), James Anderson (Jewel Corey), Josephine Hutchinson (Letitia Gentry), Phyllis Avery (Tracy McAuliffe), Herbert Heyes (Judge Tackman), Myra Marsh (Ma Corey), Charles Cane (Cullen McAuliffe), Sam Flint (Neil Fallgren), Frank Wilcox (Clyde Pratt), 82 Min.
[Rezension von Thomas Vorwerk]
Die Experten, die für den Katalog zur Retrospektive zuständig sind, betonen, dass Vidors Hallelujah von 1929 Ruby Gentry besonders ähnlich sei (inkl. übernommener Dialoge und des finalen Settings), aber schon durch Jennifer Jones und das love triangle kommt man eigentlich nicht umhin, an Duel in the Sun aka »Lust in the Dust« zu denken.
Wo Vidor kurz nach dem Krieg nicht seine Hauptdarstellerin als Sensation anbieten kann, sondern mit seinem steamy Melo-Western in prächtigen Farben und mit Joseph Cotten und Gregory Peck etwas schier nie so gesehenes präsentiert, wirkt Ruby Gentry in vielerlei Hinsicht wie ein ... was ist das hübschere Wort für »Abklatsch«?
Schwarzweiß statt in Farbe, deutlich kürzer und mit Charlton Heston und Karl Malden als den Herren, die um die Gunst von Jennifer Jones kämpfen... da kann man Jennifer Jones noch so oft aufreizend ausleuchten und die Reaktion von Betrachtern quasi-riskant umreißen (»Don't let it shake you, Doc, it's just anatomy!«), es ist einfach nicht im Ansatz dasselbe.
Aber immerhin wird hier auch eine ganz andere Geschichte erzählt, ungeachtet des Umstands, dass Heston die selbe Art von Lustmolch spielt. Eine Zeitlang wirkt Ruby Gentry beinahe »moralischer« (nach damaligen Standards) in seinen Aussagen, weil Jones sich zwar leidenschaftlich hingibt, aber für eine Ehe kämpft, doch gerade die zweite Hälfte des Films leidet sehr darunter, dass nach dem alten Mantra »a woman scorned« Ruby unbedingt zu einer seltsamen Art von Bösewicht werden muss, was zwar durch die Ablehnung und Verschwörung eines ganzen Ortes fast gerechtfertigt wirkt, doch alles ist so over-the-top gezeichnet und endet dann auch noch mit einer schwer ernstzunehmenden Schießerei in einem Sumpf (Vidor wollte offensichtlich die allzu naheliegenden Vergleiche entkräften).
Nun hat Duel in the Sun auch einige narrative Probleme, aber die pure cineastische Leidenschaft, die aus diesem Film nahezu tropft, hat nicht nur Martin Scorsese in seinen Bann gezogen. Und der Film funktioniert selbst heute noch, ungeachtet, dass für ein modernes Publikum einiges sicher seltsam wirken würde. Bei Ruby Gentry fehlt ein wenig dieser Drive, der einen mitreißt. Der film an sich ist aber (auch, wenn man sich zu sehr in Vergleichen verliert) durchaus interessant.
Selbst so eine Figur wie der seltsame Erzähler Dr. Saul Manfred (Bernard Phillips), der gleich zu Beginn ein Setting aufbaut wie bei einem morality play (»Ruby Gentry was born on the wrong side of the tracks and the people of Braddock never let her forget it.«), mit deutlichen Hinweisen darauf, dass der Erzähler bereits die gesamte Geschichte kennt... Dieser Arzt geht Ruby genau so auf den Leim wie die anderen Kerle und wirkt dabei fast noch bemitleidenswerter.
Und so wie Ruby ihre Rache an den Ortsbewohnern genießt, wirkt auch die Art und Weise, wie Saul Manfred die Geschichte erzählt, in der er selbst nur eine winzige Rolle spielt, ein bisschen wie eine unterdrückte Rache, bei der aber der Film an jner Stelle, wo Rubys Geschichte quasi auserzählt ist, den Erzähler fallen lässt wie eine heiße Kartoffel.
Welche Beziehung Manfred zu jener veränderten Ruby hat, die schon zu Beginn des Films kurz vorgeführt wird, wird ebensowenig erklärt wie das Wissen, das er über einige Szenen zu haben scheint, bei denen er nicht dabei war und über die ihm auch keine der involvierten Figuren eine detaillierte Auskunft erteilt haben wird.
Ich bin ja manchmal seltsam und sehe das Scheitern manchmal als faszinierender als den Erfolg, aber Dr. Saul Manfred ist so eine Figur, über die ich gerne eine Seminararbeit schreiben würde, wenn ich noch studieren würde. Und auch, wenn Ruby Gentry mich als Ganzes nicht überzeugt, ist das ein Film, den man sich gut ansehen kann, weil er einfach in so vielen Details hoch interessant ist. Selbst der offensichtliche Studio-Sumpf mit seinen Schwächen ist etwas, an dem man seine Augen weiden kann - selbst, wenn man das Gesehene nie richtig ernst nehmen kann.
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Dt. Titel: Streuner und Banditen, USA 2020, Buch: Alexandre Rockwell, Kamera: Lasse Tollbøll, Schnitt: Alan Wu, Music Supervisor: Aldolpho Rollo, mit Lana Rockwell (Billie), Nico Rockwell (Nico), Karyn Parson (Eve), Will Patton (Dad), Jabari Watkins (Malik), ML Josepher (Beaux), 91 Mon., empfohlen ab 13 Jahren
[Rezension von Thomas Vorwerk]
»Die unsteten Gemüts- und Beziehungszustände ihrer Eltern bieten Nico und Billie keinen Schutz. Gemeinsam mit dem Jungen Malik begeben sich die Geschwister auf eine von cineastischen Motiven inspirierte Reise voller intensiver Momente der Freiheit.«
Es ist schon eine selten besungene Kunst, wie für das Berlinale-Programm jeder Film auf zwei Sätze zusammengefasst wird, die sehr häufig so wirken, als könne man ein zukünftiges Meisterwerk verpassen...
Alexandre Rockwell (sein bekanntester Film ist vermutlich Four Rooms) nahm seine Frau Karyn Parsons und die zwei gemeinsamen Kinder und hatte bereits gut die Hälfte seiner Besetzung beisammen. Mit in den besten Momenten old-school-mäßig aussehenden grobkörnigen Schwarzweißbildern (die aber nachträglich aus herkömmlichen Material generiert wurden, was man an manchen Stellen des Films sehr gut erkennen kann) erzählt er elliptisch-improvisiert von zwei Geschwistern die zwischen ihren labilen und dem Alkohol zusprechenden Eltern hin und hergeschickt werden, bis sich ein potentieller Stiefvater als noch schädlicher erweist.
In den besten Momenten erinnert dies an The Florida Project, nur dass Rockwell weder die kindliche Lebensfreude noch die menschlichen Abgründe mit der selben Intensität zu fassen bekommt.
Auch der Einsatz von Farbpassagen wirkt zu selbstgefällig arty-farty, und dann ist da noch das Filmende...
Was hier und da an Potential gegeben war, wird durch das von »cineastischen motiven inspirierte« mit seinem überhöhten Konflikt und dem absurden, drangehängt wirkenden Abschluss, tüchtig kaputt gemacht.
Hier einige (wild zusammengeschüttelte) Dialogfragmente, die den Film ganz gut zusammenfassen: »You're drunk, Dad!« »Get me a cold beer!« »I'll kill you!« »It's gonna be alright, it's gonna be better...« »My old man beat the shit out of me when I got out of line, but I forgave him.«
'Nuff said!
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Niederlande / Spanien / Frankreich 2019, Buch: Mees Peijnenburg, Kamera: Jasper Wolf, Schnitt: Imre Reutelinsperger, Musik: Ella van der Woude, Juho Nurmela, Sound Design: Tijn Hazen, Kostüme: Minke Lunter, Production Design: Elza Kroonenberg, mit Jonas Smulders (Lorenzo), Tamar van Waning (Chloe), Bilal Wahib (Yousef), Joren Seldeslachts (Ivan), 85 Min.
[Rezension von Thomas Vorwerk]
Auch bei Paradise Drifters war ich ein bisschen übernächtigt (kommt in den besten Familien vor), aber manche Aspekte der Handlung habe ich auch nach Rücksprache mit anderen Zuschauern nicht ganz klären können, insbesondere das Schicksal der dritten Hauptfigur im Film, die offenbar suizidale Tendenzen hat, diesen auch irgendwann »folgt« und gleich zwei unaufgelöste Szenen hat, die man als Selbstmordversuche deutet - und später taucht sie auch nicht wieder auf. Diesen Part des Films versuche ich mal auszublenden, auch wenn es vielleicht superwichtig ist.
Paradise Drifters is a fragmented portrayal of Lorenzo, Yousef and Chloe, three homeless young adults. What starts off as a journey in search of money and opportunity turns out to be a longing for human connection, security and mutual affection.
Soweit das Presseheft, dass mich auch über die (narrative) Faszination des Regisseurs für Heimkinder und die plötzlich im Film auftauchenden fremden Spielorte aufklärt.
Aus unterschiedlichen Gründen versuchen Chloe und Lorenzo in Barcelona bzw. Marseille Geld zu verdienen. Jeweils auf illegale Weise und mit möglichen, wenn nicht sogar zu erwartenden Folgen für ihr weiteres Leben.
© Jasper Wolf / Pupkin
Die Reise nach Südeuropa (noch zu dritt) beginnt voller Misstrauen, keiner öffnet sich, jedes kleinste Detail kann eher gegen dich verwendet werden. Ein bisschen wie 303, nur mit Elend und Verzweiflung statt Harmonie und Romantik.
Bei der Berlinale, insbesondere in der Generation, ist man ja ganz stolz darauf, dass man gerade die jungen Zuschauer auch mal fordert statt ihnen immer nur eine heile Welt à la Lassie, Bibi & Tina etc. vorzuspielen. Bei Paradise Drifters kann ich mich immerhin noch so weit in meine Jugend zurückversetzen, um zu begreiefn, was diesen Film für ein 14plus-Publikum trotz seiner fragmentarischen Art und seiner harten Themen interessant macht (immerhin gibt es eine Art love story). Aber ähnlich wie bei dem allerseits abgefeierten Victoria fällt es mir sehr schwer, die Motivationen der schwer zugänglichen jungen Erwachsenen nachzuvollziehen - und deshalb zieht mich ihre Geschichte auch nicht wirklich in den Bann.
Spoileralarm: Ich liefere jetzt mal die Handlungsinfos nach, die ich weiter vorne weggelassen habe: Lorenzo will seinem Bruder helfen, der demnächst aus dem Gefängnis kommt und Probleme bekommen wird. Wie setzt er das um? Indem er selbst kriminell wird und das Geld seinem Bruder geben will. Und Chloe ist ungewollt schwanger geworden (alle Details kann ich hier auch nicht ausplaudern) und will jetzt ihr Baby verkaufen. Diese beiden Figuren werden sich gegenseitig unterstützen und auch dabei zueinander finden, aber was da noch so nebenbei an Handlungssträngen abläuft (der Bruder taucht auf und Lorenzo setzt das Geld anders ein), ist nun wirklich nicht das, wofür ich bei einer Berlinale auch nur den verminderten Ticketpreis bei der Generation hinblättern möchte...
Isso.
Post scriptum
Scheinbar handelt es sich bei der Bildauswahl um die gesamten Motive, die für die sechs Filme zur Verfügung gestellt wurden. Das war auch mal ganz anders. Es hat aber eine gewisse poetische Note, dass die beiden Bilder wichtige Bestandteile meines Berlinale-Erlebnisses 2020 prägnant zusammenfassen: Wundern, Langweilen und Schreien (wenn bei mir auch mehr innerlich).
Demnächst in Cinemania 209:
Rezensionen zu aktuellen Kinostarts, bisher sicher: Emma. (Autumn de Wilde) und Waterproof (Daniela König).
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