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5. Februar 2020
Thomas Vorwerk
für satt.org


  Sorry we missed you (Ken Loach)


Sorry we
missed you
(Ken Loach)

Großbritannien / Frankreich / Belgien 2018, Buch: Paul Laverty, Kamera: Robbie Ryan, Schnitt: Jonathan Morris, Musik: George Fenton, Kostüme: Jo Slater, Szenenbild: Fergus Clegg, mit Kris Hitchen (Ricky), Debbie Honeywood (Abby), Rhys Stone (Seb / Sebastian), Katie Proctor (Liza Jane), Ross Brewster (Maloney), Carlie Richmond (Henry), Julian Ions (Freddie), Sheila Dunkerly (Rosie), Maxie Peters (Robert), Christopher John Slater (Ben), Heather Wood (Mollie), Alberto Dumba (Harpoon), Natalia Stonebanks (Roz), Jordan Collard (Dogde), Dave Turner (Magpie), Stephen Clegg (Policeman), Darren Jones (Council Worker), Nikki Marshall (Traffic Warden), 100 Min., Kinostart: 30. Januar 2020

»Sorry we missed you« ist die Standardfloskel auf Benachrichtigungsschreiben von Paketzustellern / Kurierfahrern.

Ken Loach als einer der bekanntesten Regisseure mit Faible für die Arbeiterschicht beschreibt in seinem neuen Film Missstände in diesem Berufszweig, der durch zunehmende Onlinebestellungen immer stärker unter einem Konkurrenzdruck leidet, der scheinbar zu 100% an die scheinselbstständigen Arbeiter weitergegeben wird.

Ricky Turner (Kris Hitchen) ist einer dieser neuerdings »selbstständigen« Paketzusteller, der seine neue Zukunft erst einmal trotz Überschuldung mit einem 1000-Pfund-Kredit für einen Transporter beginnt. Schlimmer noch, er verkauft dafür auch den PKW, den seine Frau eigentlich für ihren Job als Pflegerin braucht. Diese fehlgeleitete Einschätzung von Prioritäten kommt einem schon ganz zu Beginn des Films wenig hilfreich vor.

Sorry we missed you (Ken Loach)

© Sixteen Films

Zwar beschreibt Loach viele kleine Details, mit denen die Paketzusteller sich immer stärker abhängig machen von dem Vorarbeiter und der Firma, für die sie tätig sind, aber da der Hauptfokus des Films auf den Problemen einer kleinen Familie liegt, die auch ohne diese Betätigung bereits ausreichend Probleme hätten, gerät der Film zu einem Sozialdrama mit Shakespeare'schen Ausmaßen. Was für meine Belange etwas über das Ziel hinausschießt...

Auch das Thema der »Ausbeutung von Arbeitskraft auf Kosten der Menschen und Menschlichkeit« wird hier schnell geradezu abgewälzt auf den Vorarbeiter, der zwar vermeintlich immer den Druck erklärt, der auf ihm selbst durch die Globalisierung und dem Konkurrenz lastet, doch er wird dabei immer deutlicher zu einer Art Zwischenschurke, der scheinbar mehr am finanziellen wie zwischenmenschlichen Niedergang der Familie Turner schuld ist als das vermeintliche Familienoberhaupt mit seinen oft wirklich schlechten Entscheidungen, die sich zusammen mit hinterhältigen Missverständnissen zu immer größeren Problemen ausweiten. Wie gesagt, Shakespeare...

Sorry we missed you (Ken Loach)

© Sixteen Films

So werden nebenbei auch die Probleme der Frau als Vertreterin des ebenfalls unterbezahlten Pflegepersonals geschildert, wobei man auch exemplarisch die damit Hand in Hand gehende menschliche Verrohung schildert. Abby (Debbie Honeywood) könnte eine Vorbildpflegerin sein, wenn sie mehr Zeit für ihre einzelnen Pflegefälle hätte und das System nicht stärker auf Effizienz und Ökonomie ausgerichtet wäre als auf Humanität und Menschenwürde.

Dann gibt es noch den Sohn Sebastian, im rebellischen Alter, der jahrelang miterlebt hat, wie die Ehe seiner Eltern an den äußeren Umständen zu scheitern droht und der deshalb aus diesen Richtlinien ausbrechen will. Leider mit Schuleschwänzen und illegaler Graffiti-Kunst als kreativem Ausdrucksmittel.

Sorry we missed you (Ken Loach)

© Sixteen Films

Das Herz des Films liegt in den guten Absichten, die sich am Familienkonstrukt abwetzen. Wenn Ricky seine Tochter Liza Jane auf eine Pakettour mitnimmt, sieht man kurzfristig fast eine heile Familienutopie - doch dann kommt der Hinweis darauf, dass er damit mal wieder gegen einige der oft unsinnig wirkenden Regeln seines Jobs verstößt.

Loach und Rafferty haben es mit dem langsamen, fast unvermeidbar geschilderten Untergang etwas übertrieben, und wenn dann eine fast ultimative Erniedrigung Rickys von langer Hand vom Drehbuch herbeigeführt wird, so fällt es mir etwas schwer, dies den Filmemachern zu verzeihen. Ein gemeiner Vergleich: Ein Film wie Rosetta von den Dardenne-Brüdern führt einen als Zuschauer auch bis nach »ganz unten«, aber man fühlt sich dabei nicht so hinterhältig manipuliert, wie ein emotionales Schlachtvieh, das am Nasenring behutsam immer weiter zum Abbatoir geführt wird.

Sorry we missed you (Ken Loach)

© Sixteen Films

Trotz meiner Vorbehalte aber ein Film, der im Werk Loachs innerhalb der letzten zwei Jahrzehnte gar nicht mal unangenehm heraussticht. Vielleicht ist die kleine Familie im Kern auch einfach zu sympathisch, so dass man ihr dieses schnöde Schicksal nicht angedeihen will.

Eines der absurdesten Details des Films ist übrigens der Name der Transportfirma: »Parcels delivered fast«... wem sich der Gag nicht sofort erschließt, der macht ein Akronym draus, das einem seltsam bekannt vorkommt...