Encanto
(Jared Bush
& Byron Howard)
Originaltitel: Encanto, USA 2021, Co-Regie: Charise Castro Smith, Buch: Jared Bush, Charise Castro Smith, Directors of Cinematography: Alessandro Jacomini (lighting), Nathan Warner (layout), Schnitt: Paul Machliss, Songs: Lin-Manuel Miranda, Musik: Germaine Franco, Kostüme: Odile Dicks-Mireaux, Art Direction: Camille Andre (characters), Mehrdad Isvandi (environments), mit den Originalstimmen von Stephanie Beatriz (Mirabel Madrigal), María Cecilia Botero (Abuela Alma Madrigal), John Leguizamo (Bruno Madrigal), Diane Guerrero (Isabela Madrigal), Jessica Darrow (Luisa Madrigal), Ravi Cabot-Conyers (Antonio Madrigal), Angie Cepeda (Julieta Madrigal), Wilmer Valderrama (Augustín Madrigal), Carolina Gaitan (Pepa Madrigal), Mauro Castillo (Félix Madrigal), Adassa (Dolores Madrigal), Rhenzy Feliz (Camilo Madrigal), Alan Tudyk (Pico the Toucan), Maluma (Mariano), 99 Min., Kinostart: 24. November 2021
Encanto, der 60. Animationsfilm von Disney (bei einer bestimmten Zählart), begint ähnlich wie jüngst Eternals: Als Zuschauer lernt man erstmal ca. zehn neue Figuren kennen, die sich jeweils durch unterschiedliche »Gaben« unterscheiden. Zum Teil könnte man auch von Superkräften sprechen, aber ich will meine Lesenden nicht unnötig verwirren. Es ist aber schon auffällig, dass der Gestaltwanderer, die Superstarke und eine Heilerin auch hier mit zum (Familien-)Team gehören.
Deutliche Unterschiede zu Eternals sind folgende Punkte: die Familie Madrigal kämpft nicht gegen irgendwelche Monstren, und das Kennenlernen wird stark davon geprägt, dass Hauptfigur Mirabel (Originalstimme: Stephanie Beatriz, vom Typ her etwa eine Mischung aus Blossom und Mariah Carey) gleich zum Einstieg nebenbei einen Song über ihre Familienmitglieder anstimmt. Eine andere Art von »action« also, die mir aber weitaus besser gefällt.
Encanto (der Titel ist quasi die mexikanische Variation eines bereits existierenden Disney-Realfilms, Enchanted) ist mal wieder ein Diversitäts-Film, wobei eine mexikanische Familie einen Grenzfluss überschreitet und eine neue Heimat findet. Anfänglich wirkt das stark wie eine Bezugnahme auf die USA, aber es geht wohl eher um ein Fantasieland, das nicht genau benannt wird (vielleicht ist man auch nur in einer anderen Provinz oder so von Mexiko gelandet - ich muss zugeben, aber habe auch nicht im Detail untersucht, inwiefern Flora und Fauna bei der Definition des Spielortes helfen würden.
Die Vorgeschichte der Familie spielt eine große Rolle für die Handlung, weil die Matriarchin Alma (in der Gegenwart durchweg Abuela genannt, was vermutlich Großmutter bedeutet) nach der Flucht mit drei Neugeborenen im Schlepptau ihren Mann verliert (traumatisch, aber auch sehr vage) und man gemeinsam mit einem neuen Haus quasi auch einen Neustart für die Familie erhält, wobei die an die Nachkommen verteilten Gaben der Familie im Kreis einer dörflichen Siedlung eine Sonderstellung bescheren. Man könnte auch sagen, hier hat man es mal wieder mit einer Königsfamilie zu tun, die aber auf den üblichen Rattenschwanz an all den Komplikationen um Disney-Prinzessinnen keinen Wert legt.
© 2021 Disney. Alle Rechte vorbehalten.
Wie es heutzutage fast schon Standard ist, ist auch Mirabel keineswegs auf der Suche nach ihrem »Prinzen« (keine der männlichen Figuren des Films wirkt stärker als die weiblichen Familienmitglieder), sondern hat ganz andere Probleme. Denn sie erhielt keine besondere Kraft an dem einer Konfirmation ähnelnden Tag ihres Heranwachsens - und wie das zum Teil die Reaktionen ihrer Familie beeinflusst, versäuert ihr ansonsten eigentlich unbeschwertes Leben.
»a magical gift to make your family proud«
Als sie dann auch noch Visionen erhascht, dass das Familienhaus (Kosename »casita«) von einer dunklen Zukunft bedroht sein könnte, versucht sie mehr über die Familie herauszubekommen, vor allem über ihren irgendwann verschwundenen Onkel Bruno (Song: »We don't talk about Bruno - No No No«). Und die eigentümliche Handlung des Films dreht sich um ihre geheime halbmagische heriditäre Detektivarbeit - wobei sie eigentlich keinen Schimmer hat, auf welche Art sie wonach suchen soll...
© 2021 Disney. Alle Rechte vorbehalten.
Nach und nach erfahren wir also mehr über die Familie. Über das Dilemma der superstarken Luisa und die kleine Fehde zwischen Mirabel und ihrer anderen Schwester Isabela (die Familienschönheit, die Blumen wachsen lässt). Für ein bisschen zusätzlichen Konflikt sorgt eine geplante Verlobung, die Mirabel durcheinander bringt. Und die Perfektion der abuela ist ein Problem, das man erst noch als solches erkennen muss.
Encanto spielt mit den hehren Familienwerten, wie man es aus vielen Disney-Filmen kennt, aber ähnlich wie bei Frozen II verbirgt sich die Handlung hinter lauter Geheimnissen. Das ist zwar besser als ein Film, bei dem man von Anfang an weiß, wie der Hase laufen wird, birgt aber auch ein paar narrative Probleme, weil ohne klar erkennbare Richtung manchmal auch die Spannung auf der Strecke bleiben kann. Mit viel Gesang, Humor und auch ein paar dramatischen Szenen weiß man das hier größtenteils zu kaschieren, aber nicht alle im Publikum werden sich auf das Handlungskonstrukt, das einer telenovela ähnelt, ohne weiteres einlassen (ein kleiner Höhepunkt des Films ist die Stelle, wo man sich über solche lateinamerikanischen Seifenopern mit oft rasant wechselnden love interests auch noch lustig macht).
© 2021 Disney. Alle Rechte vorbehalten.
Das Wunderbarste am Film (und eine wirkliche Ergänzung zur Disney-Historie) ist aber das verzauberte Haus, das seinen Bewohnern das Leben erleichtert. Gerade frisch eingekauft? Stell die Tüten auf die Küchentheke, die Fliesen sortieren alles weg. Kinder toben durchs Treppenhaus? Zack, verwandeln sich die Treppenstufen in eine Rutschbahn, und die Gören sind beschäftigt und man kann sie besser im Blick behalten. Sogar normalerweise teures Trainingsequipment wie ein Laufband wird bei diesem Haus einfach mitgeliefert. Besonders schön fand ich auch, wie sich eine Wand zur Garderobe (vor allem für Hüte, für Mäntel ist es zu warm) umgestaltet. Seit dem Teppich in Aladdin und dem Pixar-Maskottchen Luxo jr. hat man nicht mehr so innovativ einen eigentlich unbewegten, seelenlosen Gegenstand zu einer veritablen Filmfigur gemacht.
© 2021 Disney. Alle Rechte vorbehalten.