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25. Juni 2022
Thomas Vorwerk
für satt.org


  Lightyear (Angus MacLane)


Lightyear
(Angus MacLane)

Originaltitel: Lightyear, USA 2022, Buch: Jason Headley, Angus MacLane, basieend auf Figuren erschaffen von John Lasseter, Pete Docter, Andrew Stanton, Joe Ranft, Kamera: Jeremy Lasky, Ian Megibben, Schnitt: Anthony J. Greenberg, Musik: Michael Giacchino, Production Design: Tim Evatt, Art Direction Paul Conrad, Matt Nolte, Garrett Taylor, mit den Originalstimmen von Chris Evans (Buzz Lightyear), Uzo Aduba (Alisha Hawthorne), Keke Palmer (Izzy Hawthorne), Peter Sohn (SOX), Taika Waititi (Mo Morrison), Dale Soules (Darby Steel), James Brolin (James Brolin), Mary McDonald-Lewis (I.V.A.N.), Isiah Whitlock Jr. (Commander Burnside), Angus MacLane (ERIC / DERIC & Zyclops), Bill Hader (Featheringhamstan), Efren Ramirez (Airman Díaz), Keira Hairston (Young Izzy), 100 Min., Kinostart: 16. Juni 2022

Die Erklärung für diesen Film ist unglaublich elegant. Im Jahr 1995 bekam ein Junge namens Andy eine Spielzeugfigur namens Buzz Lightyear. Die kannte Andy aus seinem Lieblingsfilm.

»This is this movie.«

Zu Beginn von Lightyear spielt man mit einigen Zitaten, die man aus Toy Story kennt und die Buzz natürlich auch in seinem Weltraumabenteuer von sich gegeben hat. Aber ziemlich schnell soll Lightyear auf eigenen Füßen stehen und die Filmhandlung ist auch vergleichsweise episch, denn nach dem Einstiegsabenteuer, das nicht ganz so verläuft, wie es sich der selbstsichere, fast ein wenig arrogante »Space Ranger« vorgestellt hatte, beginnt Captain Lightyear eine Mission, in der er quasi wie Kathryn Janeway und Tom Paris (oder Chuck Yeager) in Personalunion fungiert: Um eine auf dem ungastlichen Planeten T'Kari Prime gestrandete Raumkolonie nach Hause zu bringen, muss er den noch nicht ausgereiften »Hyperdrive« perfektionieren. Dummerweise funktioniert dies nach Regeln, die Regisseur Angus MacLane (Co-Regie bei Finding Dory) mit seinen Erfahrungen bei Pixar-Filmen vergleicht: »Every time you make a film, at least four years go by. Then you come up for air and you realize the world has gone on without you.«

Lightyear (Angus MacLane)

© 2022 Disney Pixar. Alle Rechte vorbehalten.

Entsprechend vergehen bei jedem (gescheiterten) Testflug, der für Buzz vier Minuten dauert, vier Jahre auf T'Kani Prime, dem von gefährlichen »vines« und »bugs« besiedelten Höllenplanet. Und aus der Elite-Astronautin Hawthorne, die zu Beginn an der Seite von Buzz kämpfte, wird eine Großmutter, während Buzz deutlich jünger wirkt als die Spielzeugfigur aus dem Jahrzehnte überdauernden Franchise, als die wir ihn kennen. Dieser Buzz hat nicht nur einen anderen Synchronsprecher (auch, wenn Chris Evans Tim Allen durchaus nacheifert), sondern deutlich detaillierteres Rendering (viel Staub und Verschleiß) und einen Crew Cut, wie ihn Pixar in seinen Frühzeiten niemals hätte realisieren können (eine clevere Kerntugend von Toy Story war ja, dass die Welt der Spielzeugfiguren fast etwas antiseptisch wirkte und man die menschlichen Figuren anfänglich fast etwas versteckte, weil sie noch nicht dem Realismus-Anspruch der Computeranimatoren genügen konnten). Irgendwie musste ich zwischendurch öfters an den jungen Tom Cruise denken.

Und der Charakter-Hintergrund der Buzz-Figur, der in den Toy Story-Filmen oft wirkte, als stamme er aus einer gänzlich anderen Welt als seine Spielzeug-Kollegen, wird hier von der Story unterfüttert. Das Prinzip des Films wird somit auch wie folgt umschrieben: »nostalgia for the past while rapidly jumping into the future«. Entsprechend ist Lightyear ein Film, dessen Look sich ganz an Klassikern der Science-Fiction-Geschichte orientiert, während seine Figuren geprägt sind von der heute obligaten Diversität: die Ethnien der handelnden Figuren sind fast so vielfältig wie beim Filmteam im Nachspann, aber während dort auch die alten Pixar-Pioniere wieder in wichtigen Rollen auftauchen, ist der Kernbösewicht des Films konsequenterweise ein alter weißer Mann.

In China soll es auch Probleme damit geben, dass Alisha Hawthorne, als sie Buzz nach dessem ersten Testflug einen Verlobungsring zeigt, ganz selbstverständlich eine Frau an ihrer Seite hat, aber ein heutiges Publikum nimmt solche »modernen Veränderungen« kaum mehr wahr, nur die ewig gestrigen und komplett verbohrten können sich an solchen Details noch aufhängen.

Da ich erklärtermaßen auch längst zu den alten weißen Männern gehöre (man muss sich nur die bunte Schar von Herz- und Blutdruck-Tabletten anschauen, die ich jeden Tag zu mir nehmen darf), gehe ich in der Nostalgie für SciFi-Klassiker natürlich auf. Der bereits bekannte Gegenspieler von Buzz, Zurg (sein Design wurde etwas überarbeitet, weil er bedrohlicher wirken muss), wirkt wie eine Mischung aus Darth Vader und dem bösen Roboter aus dem Disney-Rohrkrepierer The Black Hole, die garstige Flora und vor allem Fauna auf T'Kari Prime verbindet die Alien-Filme und Starship Troopers, mit vielleicht einem kleinen Schuss Ralph Wrecks. Und besonders beim Technik-Design hat man sich sehr bei Ridley Scott, Stanley Kubrick, George Lucas und James Cameron (bzw. deren Production Designern) bedient. Dies mit viel Respekt, aber auch einer tongue-in-cheek-Mentalität. So hat der Bordcomputer wie einst »Mother« zwar eine weibliche Stimme, aber »I.V.A.N.« ist nicht nur wie H.A.L. ein Akronym, sondern (so eine Wortspielerei ist ein Muss!) auch »Navi« rückwärts, ob man dabei nun ans eigene Navigationssystem im Auto denkt oder an Avatar.

Lightyear (Angus MacLane)

© 2022 Disney Pixar. Alle Rechte vorbehalten.

Wer will, kann sogar beim putzigen Katzen-Roboter SOX an Datas Haustier Spot oder Ellen Ripleys zeitweisen Begleiter Jones denken, aber hier kommt auch die jahrelange Erfahrung der Merchandise-Abteilung wieder durch. Pixar haut ja nicht nur alle sechs Jahre oder so einen jeweils neuen Cars- und Toy Story-Film heraus, um Bettwäsche zu verkaufen, natürlich bietet sich SOX dafür an, für reale Andys und deren kleine Schwestern die Kinderzimmer zu bevölkern. Selbst ich würde mir als Alternative zur winkenden asiatischen Glückskatze einen batteriebetriebenen Stubentiger gefallen lassen, der wie einst Linda Blair den Kopf 360 Grad rotieren lässt und dabei »meowmeowmeowmeow« macht.

Kurz etwas zur eigentümlichen Dramaturgie des Films. Zu Beginn ist der Film geprägt von Anknüpfungspunkten an die früheren Filme mit seinem Titelstar. Vor allem gibt es leicht wiedererkennbare Zitate (»No sign of intelligent life«, »You're mocking me, aren't you?«), ehe der Film dann auf eigenen Beinen steht und sich quasi selbstständig macht. Hierbei sind die Ansprüche nicht ganz so hoch wie in der Frühzeit von Pixar, als die unzähligen Querverweise auf andere Filme nicht genug gewesen wären, sondern man sich mindestens noch einen nie dagewesenen Twist für die Zeitreise-Ansätze von Lightyear ausgedacht hätte. Stattdessen zelebriert man anhand des etwas eigentümlichen Teams vom Filmplakat abgedroschene Tugenden wie Freundschaft und Zusammenarbeit, wobei man wieder mit dem Balanceakt kämpfen muss, dass Buzz dazulernen muss im Verlauf des Films - aber eben auch nicht zu viel, denn die selben Lektionen kriegt er ja in den Toy-Story-Filmen noch mal verklickert. (Auch wenn es ja ganz streng genommen zwei verschiedene Figuren sind, denn die Spielzeugfigur ist eben nicht der Actionheld, dem sie nachempfunden wurde.)

Aber über solche Details wird hier nun wirklich nicht philosophiert. Offenbar ist dem Spielzeug-Buzz in seinen Abenteuern nicht einmal die komplette Handlung seiner Abenteuer im Weltall bekannt. Aber wer hat Zeit, sich darüber das Hirn zu zermartern? Ich nicht, und Regisseur Angus MacLane auch nicht. Jede Befreiung vom Korsett der später stattfindenden Buzz-Vorgeschichte ist willkommen.

Lightyear (Angus MacLane)

© 2022 Disney Pixar. Alle Rechte vorbehalten.

Lightyear ist ein Film mit eigener Ästhetik, mit eigener (simpler) Philosophie und für ein neues Publikum. Das wird für einige Fans, die seit Jahren jeden neuen Toy-Story-Film freudig erwarten, aber auch argwöhnisch unter die Lupe nehmen, eine Enttäuschung sein, aber wenn man sich an der gelieferten Spannung und dem neu ausgerichteten Humor (Buzz kann als Held seines eigenen Films keine bornierte Witzfigur mit »goldenem Herzen« sein) gütlich tut, kann man auch anderthalb Stunden lang mit ein paar Abstrichen einfach gut unterhalten werden.

Im Grunde wird in diesem Film deutlich mehr richtig gemacht als komplett vermurkst. Aber es geht ja auch um einen Action-Sci-Fi-Streifen aus vergangenen Tagen, dafür ist man der damaligen Zeit eigentlich schon zu weit voraus. Aber mir reicht es ja auch, wenn ich meinem Sitznachbarn, der mich zu meinem ersten Bezahlkino-Besuch seit ein paar Arsenal-Ausflügen während der Bo-Widerberg-Retro 2019 einlud, während einer hochdramatischen Effektszene zuflüstern konnte »Not a flying toy!«

Lightyear (Angus MacLane)

© 2022 Disney Pixar. Alle Rechte vorbehalten.

Und außerdem führte mich Lightyear zurück in eine Zeit, als ich selbst nicht viel älter war als Andy, der Junge aus Toy Story: als ich mit 12 Jahren den ab 16 freigegebenen Alien sah, aus dem (und dem Cameron-Sequel) für meine Begriffe in Lightyear am meisten liebevoll recyclet wurde. Allein dafür hätte ich vor den aktuellen inflationären Zeiten gern den Ticketpreis berappt.