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2. Januar 2025
Thomas Vorwerk
für satt.org


  Nosferatu (Robert Eggers)


Nosferatu - Der Untote
(Robert Eggers)

Originaltitel: Nosferatu, USA / UK / Ungarn 2024, Buch: Robert Eggers, Lit. Vorlage: Bram Stoker, Film. Vorlage: Henrik Galeen, Kamera: Jarin Blaschke, Schnitt: Louise Ford, Musik: Robin Carolan, Kostüme: Linda Muir, Production Design: Craig Lathrop, Supervising Art Director: Paul Ghirardani, Set Decoration: Beatrice Brentnerova, mit Lily Rose-Depp (Ellen Hutter), Nicolas Hoult (Thomas Hutter), Bill Skarsgård (Count Orlok), Aaron Taylor-Johnson (Friedrich Harding), Willem Dafoe (Prof Albin Eberhart von Franz), Simon McBurney (Knock), Emma Corrin (Anna Harding), Ralph Ineson (Dr. Wilhelm Sievers), Gregory Gudgeon (Hartmann), Adéla Hesová (Clara), Milena Konstantinova (Louise), Claudiu Trandafir (Innkeeper), Katerina Bila (Virgin on Horseback), Ella Bernstein (Voice of Clara), Meredith (Voice of Louise), 132 Min., Kinostart: 2. Januar 2025

Ich gehe ja nicht immer konform mit dem, was gerade abgefeiert wird, aber in diesem Fall hat mich das Feedback zum US-Start zu Weihnachten wirklich überrascht. Dass das der erfolgreichste Kinostart eines Films von Robert Eggers ist: geschenkt, aber 7,8 von 10 auf imdb und 86% auf Rotten Tomatoes? Ich verfolge solche Dinge nicht, aber das erscheint mir unangebracht hoch.

Ich hatte von Robert Eggers zuvor nur The Lighthouse gesehen, und weiß deshalb, dass der Regisseur so eine Art Béla Tarr für die US-amerikanischen Kino-Freaks ist. Mit der dort gezeigten Intensität plus Schwarzweiß (mit Betonung auf Schwarz) kann man überfordert sein, und viele Menschen, die nicht wissen, wie man auf etwas reagieren sollte, halten sich dann an gesellschaftliche Trends, weil sie nicht das Rückgrat haben, eine eigene Meinung zu bilden (überspitzte Formulierung, aber in Filmkritiker-Kreisen konnte ich das schon öfters beobachten). Jarin Blaschke (Eggers' Dauer-Kollaborateur) wurde dafür sogar für den Kamera-Oscar nominiert.

Versteht mich nicht falsch, ich mochte The Lighthouse ja bis zu einem gewissen Punkt, aber das lag nicht zu geringem Anteil auch an dem Humor, mit dem Robert Pattinson und Willem Dafoe sich da auf die Pelle rückten und durchdrehten. Ein bisschen wie The Shining mit Laurel und Hardy nicht in einem eingeschneiten Hotel, sondern halt einem Leuchtturm. (In Sachen »Laurel und Hardy 2.0« empfehle ich auch immer gern Adam and Paul vom verlässlich großartigen Lenny Abrahamson.)

Angedeuteten Humor gibt es auch bei Nosferatu: der arg abgefeierte Willem Dafoe (ich begleite seine Filmkarriere seit Streets of Fire vor ziemlich exakt vierzig Jahren) fiel mir vor allem durch seine ulkige Pfeife auf, aber in dem größtenteils in Deutschland spielenden Film, der laut imdb die Sprachen Englisch, Deutsch, Rumänisch und Russisch benutzt brachte er den größten Lacher, als er seine Spießgesellen zu einem »Schnopps« einlud. Meines Erachtens abgesehen von einem »Meine Herren!« das dritte ansatzweise deutsche Wort im Film...

Nosferatu (Robert Eggers)

© 2024 Focus Features LLC. All rights reserved.

Wenn man Film studiert, und das nicht nur, um später als »Inselärztin« zu reüssieren (Grüße!), gehören auch gelegentliche Stummfilmbesuche einfach dazu, und ich habe dabei neben Henny Porten und Kammer-Filmen auch mindestens vier Murnau-Filme im Berliner Arsenal gesehen (Der letzte Mann, Tabu und (mehrfach) Sunrise sind die anderen drei. Außerdem habe ich ja Englisch studiert, und Bram Stokers Dracula auch zweimal gelesen.

Aus irgendwelchen Gründen mixt Eggers in seinem Drehbuch Einflüsse aus Murnaus Nosferatu, eine Symphonie des Grauens, bekanntlich eine Art »Raubkopie« von Dracula, und dem Original-Roman, wobei er nicht verleugnen kann, dass er wohl auch mal Francis Ford Coppolas Filmversion gesehen hat (an die wird man hier und da erinnert.

Das finde ich seltsam, aber sich hier und da die Rosinen rauspicken, um die eigene Fassung zum »Best of« zu machen, ist ja nicht die schlechteste Herangehensweise. Aber dieses »Best of« scheitert dann daran, dass Eggers einfach zu viele Dinge auf einmal versucht. Er hat einige tolle Ideen, die zum Teil auch gut kombiniert werden, aber das Endresultat erinnert mehr an einen anderen klassischen Universal-Monsterfilm. Eben weil Eggers wie einst Peter Bogdanovich halt den »flinken Leichenfledderer« mimt und sich sein eigenes Monster zusammenbastelt.

Nosferatu (Robert Eggers)

Foto: Aidan Monaghan © 2024 Focus Features LLC.

Eggers' Nosferatu ist eine Hommage an Murnaus Vorbild, ein Horrorfilm, im Ansatz eine psychologische Studie ... und dann kombiniert er noch an Shakespeare gemahnende Dialoge mit künstlerisch hochwertigem Schauspiel. Um nochmal auf Frankenstein zurückzukommen: Stellt euch vor, Shakespeare sollte daraus ein Theaterstück machen, und er hat nicht die Produktionsgelder für das Laboratorium und die Windmühle. Stattdessen monologisiert Victor Frankenstein über seine hochwissenschaftlichen Vorhaben und die Grenzen zwischen Leben und Tod bzw. Sterblichem und Gottheit. Klingt jetzt nicht komplett uninteressant (vor allem, wenn's im klingonischen Original wäre), aber wenn man zu viel gleichzeitig machen will, wird manchmal keine der Ambitionen erfüllt...

So zumindest meine Einschätzung, offenbar hat es ja auch wem gefallen.

Ich habe das Ganze nicht als Rosinen-Schmankerl erlebt, sondern hatte dauernd irgendwas auszusetzen. Der Vampir erinnerte mich hier und da an Darth Vader, die drei Wölfe waren die absolute Lachnummer, der »Schatten über der Stadt« war auch mau animiert, ein unruhiges Pferd war einzig auf der Tonspur unruhig, und selbst bei einer durchdachten, aber irgendwie vorhersehbaren »Verbesserung« der Geschichte, die dem Ganzen mehr abgründige Tiefe verleihen sollte, schrieb ich - komplett pietätlos - »Heul leiser, Friedrich« auf meinen Notizblock.

Nosferatu (Robert Eggers)

© 2024 Focus Features LLC. All rights reserved.

Worüber sich viel unterhalten werden, ist der Auftritt von Lily Rose-Depp. Ich habe von der bereits zehn Jahre währenden Filmkarriere der jungen Frau mit prominenten Eltern zuvor nichts mitbekommen (bin aber auch kein Chanel-Experte), doch sie kleckert hier nicht, sie klotzt. Der sexuelle Aspekt der Beziehung zwischen ihr und dem Grafen Orlok (vergleiche auch Coppola) wird hier mit einer Besitznamem durch einen Dämon / Teufel kombiniert, und sie darf epileptische Anfälle haben, Blut, Rotz und Wasser heulen und à la Shakespeare parlieren - in unterschiedlichen Kombinationen.

Das mag für manche Kinogehende bereits den Ticketpreis wert sein, I was merely slightly amused.

Nosferatu (Robert Eggers)

© 2024 Focus Features LLC. All rights reserved.

Vielleicht hätte Eggers sich deutlich vom Vorbild entfernen sollen, um auch mich einzufangen. Mehr Szenen zwischen Willem Dafoe und der Frau Depp hätten sicher geholfen (Milchbubi Nicolas Holt war ziemlich uninteressant. Das mit Abstand beste Zitat aus dem Film ist (trotz meiner Jammerei, dass Shakespeare nicht überall passt) ganz klar dies.

»I am but a tourist to the occult. You are a native.«

Ach ja, eines soll noch erwähnt werden: für mich der beste Schauspieler im Film war ganz klar Simon McBurney (der war schon »king of the rodent faces«, als sich keiner um Adam Driver und Timothée Chalamet kümmerte), der als Knock einen Renfield gab, der Tom Waits vergessen lässt...