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Februar 2003
Frank Willmann
für satt.org




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Von der Lust am Scheitern
Ein Erfahrungsbericht von Jörn Luther
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Die Nummer Vier im Osten - Eisern Union!

Der 1. FC Union Berlin spielt die zweite Saison in der 2. Bundesliga. Anlass genug, die Köpenicker Balltreter, etwas unter die Lupe zu nehmen. Bei Union befragt man am besten einen Fan.



1. FC Union BerlinUnion hat ganz besondere Fans, die in den vergangenen Jahren ihren Verein mehrfach durch spektakuläre Aktionen vor dem Kollaps bewahrten. Ich traf den Unioner Tino Czerwinski in der Fankneipe Abseitsfalle in der Hämmerlingstrasse in Köpenick. Tino ist Moderator des monatlich hier stattfindenden Fantreffens und einer der fünf Sprecher der Union-Fanclub-Organisation (U.F.O.).

Und? Zufrieden mit der zweiten Saison in der Bundesliga?

Klar. Endlich ist Zeit für etwas Besinnung. Besinnung haben Unionfans derzeit nötig. Eine turbulente Hinrunde ging gerade zu Ende, zehn Spiele in Folge ohne Sieg und in den letzten Tagen die Debatte um die dringend nötigen Gehaltskürzungen. Unter dem Strich steht der 1.FC Union trotz aller Probleme noch immer deutlich vor den Abstiegsrängen und hat hart daran gearbeitet, dass man auch lizenztechnisch eher nicht zu den Problemkindern der Liga gehören wird.

Was hat sich im zweiten Jahr des Profifußballs verändert beim Kultklub zu Cöpenick, was ist geblieben?

Viel hat sich eigentlich nicht verändert - statt Makel ja eher ein Merkmal eines anerkannten Kultvereines.
Geblieben ist z. B. eine eingeschworene Fangemeinde, ist das Neben- und Miteinander von langhaarigen Menschen im Parka und kahlgeschorenen Glatzköpfen in Bomberjacke, vereint im lautstarken Eisern-Union-Gebrüll! Noch immer ist weder Platz für Reichskriegsflaggen noch für flatternde DDR-Fahnen im bröckelnden und von der Stadt über Jahre im Stich gelassenen "Stadion an der Alten Försterei" (kurz AF genannt)! Geblieben ist bei den Unionern der Kampf um den Erhalt ihrer Heimat, eben diesem Standort inmitten der Wuhlheide. Geblieben ist auch der innere Wunsch so manchen Unionfans, sich nicht ständig angepasst und "politisch korrekt" zu verhalten - der Satz vom "Ruhig immer mal etwas böööse sein" machte dieses Jahr mehrfach die Runde. Das dies von grünberockten Vertretern der Staatsmacht mitunter dramatisch fehlinterpretiert wurde, ist scheinbar auch ein Teil von Union. Leider!

Ist Union ein typischer Ostverein?

Union ist trotz aller Bemühungen seitens der Vereinsführung immer noch eher ein "Ostverein", allerdings einer, wo Leute aus allen Gegenden herzlich willkommen sind. Aber Union ist nicht nur einfach ein Ostverein, Union ist nach Rostock und Cottbus inzwischen immerhin die Nummer DREI im Osten. Eigentlich ja die Nummer VIER, wenn man Hertha mal geographisch (Babelsberg ist dann viel eher ein "Westverein") oder von der Zusammensetzung der Zuschauer her betrachtet. Lauter Autonummern aus dem Berliner Umland rund um das, abwertend Oly genannte Hertha-Stadion. Als Augenzeugen für diese Tatsache taugen die Unioner allerdings nicht, denn Unioner gehen nicht in's Oly! Was sollen sie dort auch? Zusehen, wie die zuvor lautstark propagierten Ziele à la Champions-League und Meisterschaft regelmäßig von überbezahlten Profis in den märkischen Sand gesetzt werden? Zusehen, auch ohne Videowand, kann man im heimischen Stadion sowieso wesentlich besser, schließlich ist die AF das einzige echte Fußballstadion der Hauptstadt. Okay, wenn der eigene Verein wie im Vorjahr im Pokalfinale steht, dann pilgern die Unioner auch schon mal zum Auswärtsspiel innerhalb Berlins. Oder wenn anno 2003 die Rolling Stones dort aufspielen. Aber sonst? Nee, "nur zu Hertha geh`n wa nich" singen sie stattdessen lautstark in ihrem Ballhaus des Ostens.

Einige Worte zu den Fans?

Geblieben ist der Anteil der Unionfans am Erhalt des Kult-Charakters ihres Klubs. So wird die altehrwürdige, mechanische (!) Anzeigetafel von einem Unioner bedient (die linke Seite viel zu selten!), das wohl ligabeste Programmheft wird, wie auch die Ankündigungsplakate, von Unionfans komplett gestaltet, das monatliche Fantreffen ist wie der Sprecherturm (der gar kein Turm mehr ist) ebenfalls fest in der Hand der Unionfans! Kultig eben! Gelegentlich hat der gemeine (oder böööse) Unionfan so seine Probleme mit einigen Aktionen der Vereinsführung bzw. der Marketingabteilung. Er reibt sich daran, wenn sein Verein nur "Union Berlin" oder gar "Eisern Union" statt 1. FC Union Berlin genannt wird, und er beklagt das Fehlen der gelben Farbe im Vereins-Emblem, welches aus marketingstrategischen Überlegungen gelegentlich fortgelassen wird. Noch mehr aber empfindet er Abscheu und tiefe Wut über so manche unseriöse und bösartige Berichterstattung in den Medien. Ein Journalist der hauptstädtischen Gafron-Postille schrieb in letzter Zeit allzu gern vom 1. FC Untergang, vom Chaosclub Union und von offenem Aufbegehren gegen Union-Präsident Bertram. Da geht dem Unioner schon mal das imaginäre Messer in der Tasche auf - und so straft er das Zentralorgan der Niedermacher inzwischen mehrheitlich mit Kaufboykott. Aufregung gab es auch bei so mancher offiziellen und nicht immer gelungenen Aktion des Vereines, um die magische und visionäre Mitgliedszahl von 10.000 zu erreichen. Da singt dann z. B. schon mal ein "Ost-Barde" namens Achim Mentzel von "Stimmung in der Alten Försterei" und der Platz neben dem Trainer wird bei e-bay zur elektronischen Versteigerung angeboten. Noch dazu wo im besagten Song Mentzels der Name des Traditionsstadions nicht einmal richtig genannt wurde. Da sind Unioner halt empfindlich. Und dazu lieben sie die schräge Nina Hagen und deren, aus voller Kehle mitgesungene, Union-Hymne "Wir aus dem Osten" auch zu sehr.

Hat sich in den letzten Monaten denn gar nichts verändert?

Oh doch! Der Trainer-General Wassiliev vom Balkan musste mehr oder weniger sofort seine Tasche packen, nachdem er ankündigte, nach Saisonende nicht weiter bei Union tätig sein zu wollen. Sein Landsmann und Co-Trainer Tischanski konnte anschließend wohl nicht raus aus den hinterlassenen Fußstapfen und so übernahm nun ein Urgestein der Bundesliga, Mirko Votava, die Stelle des Cheftrainers. Eine elementare Änderung also!

Was bleibt sonst von der 1. Halbserie in Erinnerung?

Das tragische Ausscheiden im DFB-Pokal tat weh, auch wenn der große Hauptstadtclub bereits eine Runde zuvor am Tabellenletzten der dritten Liga scheiterte. Geschmerzt hat so manche Niederlage und so mancher Gummiknüppel. Erfreut dagegen hat man sich daran, dass Mitglieder, Fans und Präsidium nun ultimativ an einem Strang in der Stadionfrage ziehen, dass die magische 20-Punkte-Grenze doch noch überschritten wurde und das solides Finanzgebaren zu einem der Aushängeschilder bei Union wurde. Ausgerechnet bei Union!
Und da die einstigen Hauptstadt-Gegner aus Hohenschönhausen und Charlottenburg inzwischen bedeutungslos wurden und weder in den Zeitungen noch in den Gedanken der Unioner eine Rolle spielen, war somit Platz für die "Heulsusen" aus Mainz, welche doch tatsächlich noch heute der Meinung sind, Union hätte ihnen im letzten Spiel der letzten Saison den Aufstieg versaut. Durch "blanken Hass" auf den Rängen, aufgestachelt durch diverse Berliner Zeitungen. Daraus entstand neben der Aktion ProAF (für den Erhalt des Stadions An der Alten Försterei) auch die fast zynische Aktion "Mein Freund ist Mainzer". Unioner brauchen dies scheinbar, denn immer wollen sie auch ein klein wenig böööse sein!

Na dann - Eisern Union!