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September 2004
Marc Degens
für satt.org




Flipper:
Scared Stiff von Bally

Flipper: Scared Stiff von Bally

Standort:
Weiße Taube, Wiener Str. 15, 10999 Berlin-Kreuzberg
(Angabe ohne Gewähr)

Zuerst veröffentlicht in taz berlin, 12. August 2004

Kredit 2: Scared Stiff in der Weißen Taube
Kredit 1: The Lord of the Rings in der Nogat-Klause

Flipperkugel

Die Welt
ist eine Kugel


Kredit 2:
"Scared Stiff"
in der Weißen Taube



Kreuzberg 36 ist einer der dichtesten Flipperlandstriche Berlins. Im Kuchenkaiser steht der schnörkellose, mittelpunktfixierte, am letzten Wochenende leider defekte "Attack from Mars"-Flipper, der Trinkteufel hat "Monopoly" zu bieten, ein für ein unbeschwertes Intermezzo wie geschaffenes Stern-Gerät, im Franken wartet "Rollercoaster Tycoon" auf seine Erforschung … doch die Krone der Schöpfung ist in der Weißen Taube in der Wiener Straße aufgestellt: Ballys "Scared Stiff". Es ist der temperamentvollste, atemberaubendste und abwechlungsreichste Flipper aller Zeiten – neben "Monster Bash". Elvira, die Zierde zahlreicher entzückender Horrorramschfilme, die Herrscherin der Dunkelheit, die bestrickendste und vollbusigste Ikone der Haarsprayindustrie präsentiert diesen 1996 Maschine gewordenen Traum: I-I-I-I-I-I’m warning you, denn Scared Stiff macht tatsächlich süchtig!

Flipper: Scared Stiff von BallySechs erquickende Missionen (Tales of Terror), mehrere leicht zu erspielende Multibälle, eine im Aufsatz eingelassene, bedienbare Spinne für Extrapunkte und -eigenschaften … es ist ein Mordsspaß. Und wenn kein Fußballspiel auf der Großbildleinwand gezeigt wird und keine grölenden Wüstlinge den Tischkicker umringen, dann ist die Weiße Taube tatsächlich ein ehrwürdiger Standort für diese makellose Apparatur. Mit einem Halbliterkrug Memminger vom Faß für zwei Euro siebzig in der Hand kann man die erhitzte Spielerseele kühlen und entspannt Land und Leute studieren. In den Abendstunden bevölkern Gäste mit undurchsichtigen Backenbärten, wild gekämmten und geschnürten Gesichtshaaren und epischen Hautritzereien die Kneipe. Die Musik ist laut, aber nicht zu laut, die Luft angefüllt mit Zigarettenrauch, und große Hundeleiber schwimmen stumm wie Haie durch das Beinmeer der Gäste. Mit Wohlwollen betrachtet man das Plastikrelief einer riesigen Jägermeisterpulle unter der Decke. Vor kurzem wurde renoviert, das heißt zentimeterdicke Krusten Punk- und Rockkonzertankündigungen von den Wänden entfernt, Schicht um Schicht, verschont blieben allein ein Holyfield gegen Tyson-, ein Perceptol- (11.4.2002) und ein U.K.Subs-Poster. Ungewöhnlich ist die Tafel, die für den Innovationspreis Berlin/Brandenburg 2004 wirbt, und harmlos das auf dem Grund des sarggroßen Fischbeckens ruhende, lebensgroße, wahrscheinlich künstliche Menschenskelett. Arg wird es erst, wenn ein Fußball ins Spiel kommt, sei es virtuell auf den Bildschirmen und Leinwänden oder leibhaftig in der Holztischarena. Dann verwandeln sich die friedfertigen Tabak- und Biervertilger in ballvernarrte Frank’N’Furters. Die Bedienung kommt mit dem Zapfen nicht mehr nach, und die im Herrenklo aufgehängten Kicker-Bundesligaposter verlieren ihren Reiz, ja, sogar das lustige Pissoirspiel, bei dem man mit dem eigenen Urinstrahl eine winzige Kugel in ein Miniaturtor befördern muß … der sogenannte Harnball. Nun wird es höchste Eisenbahn, sich wieder auf den Flipper und das zauberhafte Kugelspiel zu konzentrieren. Mit dem ersten Ball sollte man mit der Spinne die Kistenmultiballverlängerung ergattern, das erfordert ein wachsames Auge und ein wenig Übung. Ist das geschafft, kann man den Ball einlochen (linke Rampe, dann linke Lane). Mit dem zweiten Ball holt man sich bei der Spinne die Coffin-Multiballverlängerung, dann wieder einlochen. Wer sich an diesen Fahrplan hält, wird spätestens beim dritten Ball sein blaues Wunder erleben: Terror from the Crate, The Stiff in the coffin, endlose Multibälle, viele viele Punkte, leuchtende Extrabälle … wake me up when you’re done!