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Januar 2005 |
Frank Willmann für satt.org |
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Der Goldene SchlagstockDie Fußball-WM 2006 in Deutschland wirft ihre Schatten voraus. Im Zuge eines übertriebenen Sicherheitsdenkens wird hierzulande immer eindringlicher gegen scheinbar gewaltbereite Fans vorgegangen. Das Bündnis aktiver Fußballfans (BAFF) erhellt das Dunkel der Fußball-Fan-Diskriminierung hierzulande. Selbstherrliches Auftreten der Polizei, Schikanen durch Ordner, Willkürakte beim Stadionzutritt, liebestolle Frechheiten bei Personenkontrollen, "Gästekäfige" im Stadion, all das gehört zum Alltag des fahrenden Fanvolks. Das Bündnis Aktiver Fußball-Fans ist ein seit 1993 bestehender vereinsübergreifender Zusammenschluß von über 200 Einzelmitgliedern und vielen Faninstitutionen. BAFF ist Teil des europäischen Netzwerks FARE (Football Against Racism in Europe), deren Fangruppen u. a. die "Mondiali Antirazzisti" in Italien oder die englische Video-Aktion "Show Racism the Red Card" organisieren. Vor kurzem hat BAFF ein Buch herausgebracht, in dem von den "100 schönsten Schikanen gegen Fußballfans" berichtet wird. Über zwei Jahre sammelte BAFF dafür teils erschreckende Erfahrungsberichte der Fans. Frank Willmann sprach mit BAFF-Sprecher Matthias Bettag über das harte Leben der Fußballfans. Frank Willmann: Wie steht es um die Reisefreiheit für Fußballfans? Matthias Bettag: Fans, die von der Polizei in der Datei "Gewalttäter Sport" erfasst werden, was sehr willkürlich und ohne Kenntnis des Erfassten geschehen kann, werden zu bestimmten Anlässen mit einer "Gefährder-Ansprache" vor Vergehen gewarnt und manchmal mit Meldeauflagen von einer Reise abgehalten. Vor allem bei Auslandsreisen kann unter Umständen eine Einreise verweigert werden, wenn an der Grenze der Vermerk "Gewalttäter Sport" festgestellt wird. Dies hat schon normale Urlaubsreisen ohne fußballerischen Kontext verhindert. Bochum durfte es diese Saison in Lüttich erleben, Bremen bei Anderlecht: Leute ohne Karten werden in Gewahrsam genommen, Auswärtsfans werden geschlossen in einen abgesperrten Bereich gebracht, Pkws müssen abgestellt werden um mit der Bahn weiterzufahren, weil die Sicherheit der Fahrzeuge nicht garantiert werden kann. Gibt es überhaupt noch Hooligans? Matthias Bettag: Die deutsche Hooliganszene ist im Ligaalltag fast nicht mehr existent. Die Fanszene in den Kurven hat sich seit Anfang der 90er Jahre stark gewandelt. "Klassische" Hooligan-Ausschreitungen, also verabredete und/oder gezielt gesuchte Randale und Schlägereien, finden so nicht mehr im Rahmen eines Profifußballspiels statt. Stattdessen werden andere Formen der Gewalt, zum Beispiel Sachbeschädigung im Suff oder Widerstand gegen die Staatsgewalt, häufig als Hooliganismus bezeichnet. "Hooliganismus" dient vor allem als Totschlagargument für die Rechtfertigung von Repressionen und präventiv verschärften Sicherheitsmaßnahmen. Übriggeblieben vom "Hooliganismus" ist eher die Kleidermode und mancher Sprachgebrauch. Was ist ein Ultra? Matthias Bettag: Ultras geben alles für ihren Club, sind der "harte Kern" der Fankurve. Sie legen viel Wert auf eine eigene, selbstbestimmte Fankultur. Kern des Ultragedankens ist die ultimative Unterstützung der Mannschaft und damit verbunden, die eigene Präsentation als Teil des Ereignisses. Zeit, Geld und Mühe werden nicht gescheut, um immer mit dabei zu sein. Was ist ein Schuhproblem? Matthias Bettag: Ein "Schuhproblem" entsteht, wenn aus Sicherheitsgründen am Stadion-Eingang die Lederstiefel (mit Stahlkappen) abzugeben sind. Dies passiert vornehmlich in der kalten Jahreszeit und gilt als Ursprung des Ausspruchs "Du kriegst wohl kalte Füße", den sich die nur noch mit Socken besohlten Fans dann auf der Tribüne anhören dürfen. Was sind gefährliche Gegenstände im Stadion, bzw. was wurde schon alles als gefährlich eingestuft? Matthias Bettag: Thermoskannen, Akkubatterien, Feuerzeuge, Handys und Kameras und andere typische Wurfgegenstände, Fahnenstangen, Transparente wegen der Brandgefahr, Lederjacken und Stiefel, und so weiter. Im Stadion verbotene Pyrotechnik, zum Beispiel Bengalos, also Leuchtfackeln, oder Rauchpulver verursachen bei sachgerechter Handhabung keine Verletzungen. Durch Verbote werden Bengalos natürlich nicht, wie es sein sollte, am ausgestreckten Arm kontrolliert abgebrannt, sondern angezündet und weggeworfen. Erst dadurch entsteht wirklich eine Gefährdung. Rauchpulver unter dem Dach gezündet, so dass der Qualm nicht abziehen kann, ist nicht nur für das Publikum mit Atemwegserkrankungen gefährlich. Vorkommnisse, dass Bengalos in den letzten Jahren einen Fußballfan verletzt haben, sind uns aber nicht bekannt. Was hat es mit dem Vorwurf des Rassismus bei vielen Fans auf sich? Matthias Bettag: Die Gründung von BAFF ist auf ein immer stärkeres Auftreten rechtsradikaler und rassistischer Vorkommnisse in deutschen Fanszenen Anfang der neunziger Jahre zurückzuführen. Noch immer ist, vor allem unterschwelliger und "unbewusster" Rassismus weit verbreitet, allerdings mindestens ebenso in der Presse, bei Vereinsangestellten und Funktionären. Ähnlich ist es übrigens mit der Schwulenfeindlichkeit. Man meint es nicht persönlich, und oft überhaupt nicht politisch, aber die "schwuler, schwuler XY"-Gesänge und die "schwarze Perle" sind häufig normaler Wortgebrauch. Ebenso wie Diskussionen um eingewanderte Spieler – "Klose ist ja eigentlich ein Pole" – oder Schmähungen gegen schwarze Nationalspieler: "Keiner ist so schwarz wie Asamoah"). Sind Fußballfans eher konservative Geister? Matthias Bettag: Eine Einstellung in den oft relativ jugendlichen Ultraszenen ist im positiven Sinne konservativ. Es werden "traditionelle" Werte bewahrt, eine Entwicklung zur Familien-Freizeitspass-Sitzplatzarena mit mannigfaltigen Konsummöglichkeiten wird abgelehnt, Vereinsfarben und –logos aus Marketingzwecken zu verändern gilt als Ausverkauf gegenüber Sponsoren und "Erfolgsfans" und als Verrat am Verein. Gleichzeitig haben die Ultras viel verändert, es ist weitaus bunter, kreativer und sangesfreudiger geworden in den deutschen Fankurven. Welches ist die schönste Schikane, die euch zugetragen wurde? Matthias Bettag: Meine "Lieblingsschikane" ist die, wo ein Freiburger als "Rätselführer" – kein Schreibfehler! So stand es im Bescheid – wegen "Provokation und schwerwiegendem Verstoß gegen die Hausordnung" mit Stadionverbot bestraft wurde. Grund war, dass er beim Derby ein Transparent mit "Hass nach Karlsruhe" hochhielt: Nicht sehr höflich, aber auch nicht ungewöhnlich, es waren auch keine SS-Runen oder andere Andeutungen verwendet worden. Wann und wo fand das schlimmste Auswärtsspiel statt? Matthias Bettag: Schwer zu sagen, das Buch enthält ja nur eine Auswahl eingeschickter Ereignisse. Letztlich die, wo die Polizei durch aggressives und provokatives Auftreten – "Gewaltprävention" – Eskalationen verursacht und Verletzten nicht geholfen wird. Ebenso die dokumentierten Fälle, wo Ordner ihre Macht missbrauchen und Fans angreifen. In manchen Sicherheitsfirmen finden sich noch Leute, die früher Hooligans waren und nun "auf der anderen Seite" weiteragieren. Was hat es mit der Verleihung des goldenen Schlagstocks auf sich? Matthias Bettag: BAFF verleiht den goldenen Schlagstock an jeweils die Polizei und die Ordner einer Stadt. Einsendungen von Fans und Abstimmungen im Internet fließen bei der Entscheidung der Jury ein. Mit dem goldenen Schlagstock wird auf unzumutbare Zustände für Fußballfans oder besonders schikanöse Maßnahmen in der "Gewinnerstadt" hingewiesen. Im letzten Jahr gewann bei den Ordnern Rostock und bei der Polizei Frankfurt am Main. In welcher Stadt geht die Polizei gegenwärtig am härtesten gegen Fans vor? Matthias Bettag: Der nächste goldene Schlagstock wird erst wieder Ende 2004 vergeben. Selbst Außenseiter können noch im Kampf um die Spitze eingreifen. Was ist von der EG-Hooligan zu halten? Matthias Bettag: Die kommt über 15 Jahre zu spät. Zumindest was den Ligaalltag angeht, ist der Name nicht passend zum observierten Publikum. Allerdings kann man an Fußballfans ausprobieren, was mit anderen Gesellschaftsgruppen noch nicht so einfach geht: Fans als Testobjekte für zentrale Datenabgleiche, Videoüberwachung, Gesichtserkennung, Chipbasierte Lokalisationen, z.B. mit RFID-Technologie auf Eintrittskarten, temporäres Aussetzen von Grundrechten, etcetera. Was sind die ZIS-Datei? Wie kann man sich dagegen wehren? Matthias Bettag: Die Zentrale Informationsstelle Sporteinsätze ZIS verwaltet die Datei Gewalttäter Sport GWS. Dort kann jeder erfasst werden, "wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigten, dass sich diese Personen zukünftig im Zusammenhang mit Sportveranstaltungen an Straftaten von erheblicher Bedeutung beteiligen werden" – Zitat ZIS-Webseite. Dies auszulegen obliegt den Polizisten vor Ort, der nicht nur das Stadion sondern auch den Weg dahin oder den Treffpunkt der Fangruppen beinhaltet. Ebenso erfolgt ein Eintrag in der Datei, wenn "im Zusammenhang mit Sportveranstaltungen [ …] ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren", Zitat ZIS-Webseite, eingeleitet wird. Die Einstellung des Verfahrens hat aber keine Löschung des Eintrags in der GWS zur Folge! Ein Betroffener wird nicht über die Erfassung in der GWS informiert. Wer Auskunft darüber ersucht, muß das schriftlich bei der ZIS tun. Antrag und Informationen sind unter www.profans.de zu finden. Nach einer gewissen Frist ohne weitere Vorkommnisse werden verjährte Einträge wieder aus der GWS gelöscht. Eine Löschung wegen zu Unrecht erfolgter Einträge, zum Beispiel wegen Einstellung oder erwiesener Unschuld eines Ermittlungsverfahrens, ist mühsam und aufwendig. Uns ist kein Fall bekannt, der dies erfolgreich durchsetzen konnte. Welcher Verein hat die brutalste Ordnertruppe? Matthias Bettag: Ich kann die Entscheidung nicht vorwegnehmen. Ordner, die mit Mundschutz, Sturmhauben und Lederhandschuhen antreten, sind aber favorisiert. Was ist so schön an einem Stehplatz? Matthias Bettag: Man kann sich dort freier bewegen, zum Beispiel in der Halbzeit oder vor dem Spiel andere Bereiche und Bekannte aufsuchen als am Sitzplatz, den man während des Spiels innehat. Eine Kommunikation mit mehr als nur den direkten Nachbarn ist möglich. Singen kann man viel besser im Stehen und schimpfen und pöbeln natürlich auch. Zudem ist ein Stehplatz günstiger und verspricht aus allen oben genannten Gründen die beste Stimmung im Stadion. Sitzen ist eh fürn Arsch. Was tun die Fans gegen wachsende Gängelung durch die Sicherheitsorgane der BRD? Matthias Bettag: Neben der Fanorganisation BAFF ist vor einigen Jahren auch die Faninitiative "Pro-Fans", entstanden. Dort sind viele Fan und Ultraszenen über Vereinsrivalitäten hinweg gemeinsam tätig, um für bessere Bedingungen einzutreten. Mit bundesweiten Protestaktionen, zum Beispiel Transparente in den Fankurven, und der Dokumentation von Vorfällen will man sich in der Öffentlichkeit Gehör verschaffen. BAFF thematisiert das Thema in diversen Veranstaltungen, Büchern und durch Diskussionen. Fanvertreter gehen in Diskussionsrunden mit Fanprojekten, Funktionären und Sicherheitsverantwortlichen, welche auf lokaler Ebene häufiger als auf überregionaler Ebene stattfinden. Manchmal aber entlädt sich die Wut oder der Frust auch weniger konstruktiv, die pauschalen Repressionen gegen Fangruppen riskieren eine Radikalisierung und Frustration der Fanszenen. Was fordert Baff? Matthias Bettag: BAFF fordert den Erhalt und die Förderung selbstbestimmter Fankultur. BAFF kämpft gegen Rassismus und Sexismus und fordert eine klare Haltung der Vereine und Verbände, zum Beispiel durch an manchen Orten bereits verabschiedeten Satzungsinhalte und Vereinszwecke, gegenüber der eigenen Verantwortlichkeit. BAFF fordert fanfreundliche Stadien mit ausreichend bezahlbaren Stehplätzen für die Fanlager beider Vereine. BAFF versteht Fußball als ein gesellschaftliches Ereignis und nicht als den Besitz der TV-Rechteinhaber oder Sponsoren und schon gar nicht als Sicherheitsrisiko. Mehr unter www.aktive-fans.de |
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