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Januar 2004
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Christina Mohr
für satt.org | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
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Talking bout my Generation
Eigene Erfahrung: 35 zu werden ist erstmal ein Schock. Bis eben hatte man sich noch für relativ jung gehalten und fand "Anfang dreißig" zu sein eigentlich eine prima Zeit. Aber nun ist es offenkundig: wir sind nicht mehr jung. Ganz und gar nicht. Richtig alt natürlich auch noch nicht, aber keinesfalls mehr "jung" in dem Sinne, wie mit 19, als man tatsächlich nach dem Kalender jung war und nicht nur nach der subjektiven Einschätzung. Und dazu ist 35 noch mal ein bedeutungsschwererer Schritt, als 30 zu sein (vgl. auch die Besprechung des Kursbuchs 154: Die Dreißigjährigen). Wir stehen immer noch irgendwie zwischendrin, viele Optionen stehen noch offen, aber mindestens ebenso viele stehen schon nicht mehr zur Debatte. Während wir noch zögerlich auf dem Gang herumstehen, überholt uns die Generation Golf von rechts. Dass "wir" 35jährigen uns so schwer damit tun, Entscheidungen zu fällen, Verantwortung zu übernehmen und uns überhaupt irgendwie festzulegen, liegt für Volker Marquardt, Autor des Buches "Das Wissen der 35-jährigen" darin begründet, dass uns unsere Eltern in dem (Irr-)Glauben erzogen haben, wir seien die einzigartig Besten und wir bräuchten uns nicht zu früh auf einen Beruf oder einen Lebensweg festzulegen, da uns alle nur denkbaren Möglichkeiten offenstünden. Tja, ich weiß nicht, ob alle Eltern der heute 35-jährigen ihren Sprößlingen solche Vorschußlorbeeren mitgegeben haben, aber klar ist, dass es wohl noch nie eine Generation gab, die so sehr an ihrer Jugend hängt und alt wird, ohne erwachsen gewesen zu sein. Wir wollen uns – noch – nicht entscheiden: nicht für oder gegen ein Kind, nicht für oder gegen eine Karriere, Hochzeit, Weltreise, Eigentumswohnung, Lebensversicherung … hat doch alles noch Zeit! Lieber erstmal das Ausgehprogramm für das kommende Wochenende planen, wie schon seit zwanzig Jahren! Dabei vergessen wir schnell, dass die statistische Hälfte unseres Lebens vorbei ist und sich viele Weichenstellungen von selbst erledigen werden, wenn wir nicht schnell selbst eingreifen. Volker Marquardts Buch greift alle diese Probleme und Dilemmata, die die große Zahl der um 1968 geborenen (wir sind viele! Marquardt nennt im Buch Zahlen!) umtreiben, kann aber – als selbst 35-jähriger – keine Lösungen anbieten. Er versucht, Unterschiede zur Generation Golf ausfindig zu machen: die Golfer sind konservativer, spielen eher das Erwachsensein mit; "wir" beharren auf unserer unkonventionellen Lebensweise und bewahren ein Stück Jugendkultur, egal auf welcher Stufe der Karriereleiter wir uns befinden. Da aber die von Florian Illies erfundene Generation Golf (Jahrgänge 1965 – 1975), Katja Kullmanns Generation Ally und die heute 35-jährigen ja auch eine Schnittmenge bilden, sind die Unterschiede denn auch nicht wirklich gravierend. Uns alle verbindet eine starke Markenfixierung, Marken – bevorzugt diejenigen, die schon in unserer Kindheit existierten – bilden die Eckpfeiler und Orientierungspunkte in unserem Leben. Der Anblick einer Niveadose ruft Geborgenheitsgefühle hervor, die Umbenennung von Raider in Twix hat starke Persönlichkeitskränkungen erzeugt und eine Carhartt-Hose macht uns hip und stylemäßig unantastbar. Ob es wirklich so ist, dass Markennamen und Gebrauchsartikel unsere Generation definieren, kann ich wegen Befangenheit nicht beurteilen. Tatsache ist, dass kein Zeitschriftenartikel und kein sonstiger Bericht über "uns" ohne die Nennung von Schauma, Benetton, VW Golf oder Nike auskommt. Nicht nur deshalb hat man bei der Lektüre von Marquardts Buch das Gefühl, alles schon mal irgendwo gelesen oder gehört zu haben. Er stellt keine neuen Erkenntnisse zur Diskussion, das Buch ist vielmehr eine Zusammenfassung aller Punkte, die für 35-jährige von Bedeutung sind: TV-Serien wie Sex and the City, die Neue Deutsche Welle, der Unterschied von schwarz-weiß- zum Farbfernsehen. Freunde als die neue Familie, Patchworklebenslauf anstelle 40-jähriger Dienstjubiläen, Umzug aus dem WG-Zimmer in eine Wohnung in KiTa-Nähe. Um dem Buch auch lexikalische Bedeutung zu verleihen, sind in den Text Kästchen montiert, die in alphabetischer Reihenfolge Begriffe von Adhokratie bis Zappen als generationsrelevant erklären. Manche werden bei den Begriffen Angst oder Lebensabschnittspartner heftig nicken, das Wort Singleneid dürfte nicht allen etwas sagen. Was bei Illies, Kullmann und auch Marquardt immer wieder durchscheint, ist, dass uns selbst der Jugendkult irgendwie peinlich zu sein scheint. Wir haben nach Alternativen zum spießigen Erwachsenendasein gesucht, keine gefunden und leben deshalb erstmal so weiter, wie wir mit 20 in unserer Studi-WG begonnen haben. Wir ahnen, dass wir nicht ewig in Turnschuhen und mit Kleinmädchenzöpfen herumlaufen können (aber warum eigentlich nicht?), aber vielleicht fällt uns ja doch noch mal ein, wie man auf coole Weise Karriere, Kinder und Älterwerden auf die Reihe bekommt. Uns fehlen nur die Rolemodels. Anders als unsere Eltern zu werden, haben wir auf jeden Fall geschafft: als unsere Eltern 35 wurden, waren wir schon 10 und aus dem Gröbsten raus. Das Buch ist ein ideales Geschenk für diejenigen, die ihren 35sten Geburtstag noch feiern dürfen – warum solltet Ihr keine Depressionen bekommen? – aber gewiß kein "Handbuch fürs Überleben", wie der Untertitel verspricht. Eher eine Fibel für den 35-jährigen Umschüler mit mehr Wiedererkennungsmomenten, als uns lieb sein könnte.
Kleiner Tipp für den Verlag: schaut doch für eine neue Auflage noch mal schnell nach der Rechtschreibung! Meine Kollegen spielen Moor- statt Mohrhuhnjagd und Brad Pitts Frau Jennifer heißt Aniston, nicht Ariston. | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
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