Faszinierend!
Star Trek und die Wissenschaften
In dieser "bis dato umfassendste[n] Textsammlung deutschsprachiger Star Trek-Forschung" werden die Ergebnisse einer zweisemestrigen interdisziplinären Ringvorlesung, einer Tagung und eines Hauptseminars dokumentiert, die unter der Leitung von Prof. Hans J. Wulff und der
Arbeitsgemeinschaft zur Erforschung von Populärkultur am Beispiel von Star Trek um die Jahrtausendwende an der Christian-Albrechts-Universität in Kiel stattfanden.
Die Aufteilung in zwei Bände unterliegt strukturellen Gründen die jeweiligen wissenschaftlichen Disziplinen betreffend, wenn sich auch der erste Band mit seinen Themen Physik und Politikwissenschaft viel stärker auf Schwerpunkte konzentriert, während der zweite größtenteils geisteswissenschaftliche Band heterogener erscheint - und dadurch auch interessanter …
Im ersten Band werden zunächst aus Star Trek bekannte Technologien wie das Beamen oder das Warp-Triebwerk daraufhin untersucht, ob sie physikalisch zumindest möglich wären. Selbst einem physikalischen Laien wie mir ist dabei natürlich bewusst, daß es zu diesen Themen bereits unterschiedlichste Analysen gab - und es überrascht wenig, daß auch die hier versammelten Ergebnisse sich nicht in allen Punkten einig sind. Ob Heisenberg-Kompensatoren und Trägheitsdämpfer auf der Enterprise jedoch wirklich vonnöten sind oder die Produzenten sich zu früh eine Hintertür gegenüber der durch Star Trek motivierten Forschung ausdachten, wird größtenteils wirklich nur die Hardcore-Technikfreaks interessieren.
Auch zum Holodeck, dem Thema meines einzigen (geistes-) wissenschaftlichen Forschungsbeitrags im Bereich Star Trek, kann ich in der Arbeit von Jens Schröter allenfalls mir zuvor unbekanntes erfahren, was Ray Bradbury, Stanislaw Lem und Ivan Sutherland lange Zeit vor dem Star Trek-Holodeck zu dem Thema beitragen konnten. Und auch im in der Vorgehensweise nicht immer überzeugenden Linguistik-Beitrag von Maria Barbara Lange geht es mehr darum, bereits vorhandene Forschungskenntnisse auf das Star Trek-Universum anzuwenden, statt ausgehend vom reichhaltigen Material, das die TV-Serien und Kinofilme hergeben, neue Erkenntnisse zu extrapolieren. Als Film- und Literaturwissenschaftler (und - last but not least - Donaldist!) kann ich dieser Herangehensweise nicht immer viel abgewinnen.
Während jedoch alle Beiträge des zweibändigen Werkes mir zumindest eine unterhaltsame Lektüre verschafften, gab es eine Arbeit, deren Lektüre ich nach einer Seite abbrach, weil die akademische Borniertheit, mit der man zunächst einmal darauf hinweisen mußte, daß Psychologie und Politikwissenschaft die "Königswissenschaften" unter den Sozialwissenschaften sein, mir böse aufstieß - etwa wie aufgewärmtes Gagh!
Ein wahrer König unter den im Band versammelten Politikwissenschaftlern mit Trekkie-Geist scheint mir hingegen Arend Wellmann, der in seinem kurzen und präzisen Beitrag etwa auf die geniale Idee kommt, den Dominion War mal aus der Sicht des Dominions zu untersuchen - eine Perspektive, die man bei Deep Space Nine vergebens sucht - und die die ach so friedfertige Föderation in einem schlechten Licht dastehen lässt. Dieser Teil der Arbeit hat mich so sehr fasziniert, daß ich sogar darüber hinwegsehe, daß Wellmann bei seinen Bemühungen, ein Kantsches Diktum mit einer der Erwerbsregeln der Ferengi zu untermauern, behauptet, die 34. Erwerbsregel laute: "Frieden ist gut für's Geschäft". Zumindest in der Originalfassung besagt aber Rule of Acquisition # 34: "War is good for business", was Wellmanns Argumentation ziemlich aushebelt.
Zugegebenermaßen wird aber in der selben Folge, in der Regel 34 zitiert wird ("Destiny"), auch Regel 35 ("Peace is good for business") erwähnt. In seinem Bemühen, unangenehmes Beweismittel zu unterschlagen, kam Herrn Wellmann wohl eine der guten alten Freudschen Fehlleistungen in den Weg - die andere "Königswissenschaft" will halt auch zu ihrem Recht kommen …
Ebenfalls so faszinierend, wie der Buchtitel es vorschreibt, sind die Überlegungen von Holger Götz zum Thema "Speziezismus", insbesondere das Prinzip der Abwärtskompatibilität, wie man es auch in Western wie The Searchers findet, zeigt sich bei Star Trek mehrfach: Halbklingonen wie B'Elanna und Worf haben es schwer in der Föderation, während das Halbblut Sela sich in der harten romulanischen Intrigenpolitik bestens durchsetzen kann - wenn das mal kein "Beweis" ist, daß die Menschen in dieser fiktiven Welt "besser" sind als Klingonen oder Romulaner (ebenso wie im Western die Amerikaner). Schade, daß diese Untersuchung nicht auch das Verhältnis zwischen Erdlingen und Vulkaniern betrachtet, gerade mit T'Pol in der neuen Enterprise-Serie (die damals noch nicht bekannt war) gibt es da neben dem bekannten Halbvulkanier Spock eine interessante Figur - und ich persönlich würde auch noch die Halbvulkanierin Soleta aus Peter Davids New Frontier-Romanen darauf untersuchen.
Im New Frontier- Roman-spin off gibt es mit Burgoyne 172 auch eine Figur, die in den letzten zwei Arbeiten in Band 1, um Geschlechterrollen und -varianz ein Wörtchen mitzureden hätte. Das Frauentrio um die beiden Herausgeberinnen scheint mir etwas zu sehr daran interessiert, in den Kapitelüberschriften nette Gags einzubauen, unterschlägt aber (wie üblich) die Rolle von Rachel Garrett als erstem weiblichen Captain in der Sternenflotte (5 bzw. 27 Jahre vor Janeway) oder verpasst es auch, darauf zu sprechen zu kommen, daß die Rolle des Lieutenant Hawk in ST8: First Contact ursprünglich als homosexuell konzipiert war. Die Autoren sind eben zuallererst Wissenschaftler und keine reinrassigen Trekkies, man muß ihnen verzeihen …
Im zweiten Band geht es um so unterschiedliche Themen wie "Ausprägung und Funktion des Klingonischen" (teilweise etwas infantil, wenn z.B. aus dem MAD-Magazin zitiert wird), "Raumschiffe als Organisationspunkte unendlicher Weiten" (es dürfte jedermann aufgefallen sein, daß der Weltraum bei Star Trek erschreckend zweidimensional erscheint …), und natürlich darf auch der fast obligatorische Text über Data nicht fehlen (diesem wohl am stärksten beackerten Spezialgebiet kann der Autor leider nicht viel neues zufügen).
Der zweifelhafteste Beitrag im zweiten Band kommt erstaunlicherweise als letztes, "Die Star Trek-Fanwelt als Sinnwelt" soll erforscht werden, und der Autor hat dafür Interviews mit Fans gemacht, um unterschiedliche Formen des Fan-Daseins herauszukristallisieren. Das hört sich erstmal ganz interessant an, doch irgendwie finde ich es dann doch eher enttäuschend, daß es sich bei den Interviewpartnern um zwei 16jährige aus Halle handelt. Angelika kam über ihr Interesse an William Riker zu Star Trek und tauscht sich mit anderen Fans über Brieffreundschaften und Fanclubs aus, der körperbehinderte Mirko ist weniger an Fanzusammenkünften als an der Technik von Star Trek interessiert. Auch wenn man in den beiden typische Ausprägungen des Fanseins wieder erkennen kann, fragt man sich, ob der zuständige Wissenschaftler nicht mehr Gesprächspartner finden konnte, die womöglich aufgrund ihres Alters auch längerfristige Auskünfte zum Leben als Trekkie hätten machen können - die Beschränkung auf Minderjährige erinnerte mich ein wenig an die langjährige Angewohnheit deutscher Fernsehanstalten, Star Trek fast ausschließlich im Kinderprogramm zu senden …
Zu den Höhepunkten im zweiten Band gehört eine Betrachtung über das Arbeitsgebiet der Archäologie und wie es in Star Trek dargestellt wird - natürlich hat Captain's Holiday mehr mit Indiana Jones als mit harter Wissenschaft zu tun. In diesem Text gelingt es ausnahmsweise, sogar ein Interesse an der ausgehenden Wissenschaft zu erzeugen - bei den physikalischen oder sozialwissenschaftlichen Ausführungen bestand diese Gefahr nicht einmal in Ansätzen.
Die Arbeit, die ich aber als allererste gelesen habe, weil bereits der Titel mir am interessantesten erschien, ist "Play it again, Quark! Formen und Funktionen filmischer Zitate in Star Trek" von Paul M. Hahlbohm. Weniger als die zu erwartenden Ausführungen über Intertextualität und wiedererkennbare Genre-Schemata überzeugte mich bei dieser Arbeit, daß der Autor mir tatsächlich noch Anspielungen zeigen konnte, die bisher meiner Aufmerksamkeit entgangen waren - wodurch in meiner Eigenschaft als Trekkie der größte Erkenntnisgewinn gegeben war. Wie konnte es mir nur entgangen sein, daß beispielsweise die Enterprise am Ende von A Fistful of Datas (Regie: Patrick Stewart) in einen Sonnenuntergang entschwindet, daß eine Montagesequenz in Far Beyond the Stars (Regie: Avery Brooks) ziemlich genau eine berühmte Kamerafahrt in Hitchcocks Vertigo nachahmt oder daß der Rollenname Dr. Hippocrates Noah gleich in zweifacher Hinsicht eine Anspielung ist.
Ingrid Webers nach der Folge Ship in a Bottle benannter kurzer Text war besonders charmant, denn sie interessiert sich nicht nur für Star Trek, sondern macht neben Prof. Moriarty die Trek-Parodie Galaxy Quest zu ihrem Forschungsobjekt - und dies ebenso wissenschaftlich wie amüsant!
Kurz erwähnt werden sollte auch noch (für die Wissenschaftler) die fast zwanzigseitige Bibliographie und (für Trekkies) der Episode Guide, der bis zum Ende von Voyager reicht und Original- und deutsche Titel, das Herstellungsjahr und den jeweiligen Regisseur auflistet.
Ob sich die Anschaffung für Trekkies oder auch "echte" Wissenschaftler lohnt, ist allerdings fraglich. Man kann nur hoffen, daß zumindest in den universitären Bibliotheken Exemplare von Faszinierend! auftauchen, dann können sich Interessierte ganz gezielt die für sie relevanten Texte herauskopieren. Ich persönlich finde das vergleichbare Buch zur Fernsehserie The Simpsons zwar unwissenschaftlicher, aber definitiv unterhaltsamer - und selbst bei Sachbüchern ist das für mich ein nicht unwesentlicher Punkt.