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Januar 2006 |
Robert Mießner
für satt.org |
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Konservatismus
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Diedrich Diederichsen (3. v.l., sitzend neben F.M. Einheit, Nachdenkliche Wehrpflichtige) (Foto © Schwabroh) |
In den letzten Jahren findet sich sein Name in der taz wie der FAZ, in der Jungle World wie in Theater heute. Für den Berliner Tagesspiegel hat er von 2000 bis 2004 die Kolumne Musikzimmer geschrieben. Wer nachlesen will, was Whitney Houston mit Robert Wyatt und Archie Shepp gemeinsam hat, wer wissen will, wie Sonic Youth Teenager-Wahnsinn und Künstler-Extremismus verbinden und welche Bedeutung Algier für den Free Jazz hat, kann dies jetzt noch einmal in Buchform tun. Und dabei Antworten auf hunderte Fragen zusätzlich finden. Antworten, die absichtlich zu neuen Fragen führen. satt.org nahm die Veröffentlichung zum Anlass, den Vielbeschäftigten und Diskussionsfreudigen in Berlin-Schöneberg zu treffen. Fernab der Neuen Mitte, neben Hochschule der Künste und türkischen Gebrauchtwarenhändlern, sprach Diedrich Diedrichsen über Restauration und Revivals, Politik und Pop.
***Herr Diederichsen, dass restaurative Zeiten angebrochen sind, merkt man, wenn bekämpft werden muss, was längst für besiegt gehalten wurde. Gilt ihre Diagnose von 2003 Anfang 2006 immer noch?
Sie hat sich eher noch verschärft. Wobei diese Metapher von Kämpfen und Siegen vielleicht gar nicht so geeignet ist, die Situation zu beschreiben. Wenn aber noch einmal diskutiert und klargestellt werden muss, was längst einmal klar war, dann ist Restauration schon das richtige Wort für die Gegenwart. Natürlich ist Kritik selbst kritisierbar, aber nicht die ihr zugrundeliegende Grundsatzentscheidung. Vieles an kritischer Öffentlichkeit in Deutschland seit 1968 ist unerträglich bis lächerlich und muss infrage gestellt werden. Aber der Rückgriff auf den Zustand davor, auf Familie, Religion und Vaterland, ist indiskutabel. Interessant ist, dass auch in der Auseinandersetzung mit den Fehlern der Gesellschaftskritik Zustände rekonstruiert oder restauriert werden, die schon überholt waren. In letzter Zeit höre ich mich selber sehr oft den Satz sagen: "Das ist das, wogegen Punk erfunden wurde." Es kommt eben nicht nur das Schlechte der Fünfziger, sondern auch das Schlechte der Siebziger Jahre wieder. Was nicht nur die Konservativen betrifft. Die kritische Öffentlichkeit bewegt sich gleichermaßen unter Niveau.
Der SPIEGEL entdeckt seit Wochen den bis dato übersehenen Charme der Adenauer-Zeit.
Was dabei noch wesentlich schlimmer ist als eine als solche gekennzeichnete Serie über die Adenauer-Jahre, das ist die stillschweigende Einführung der Adenauer-Jahre in den Rest der Zeitschrift. Wenn in der aktuellen Ausgabe gefeiert wird, dass jetzt das private Bürgertum wieder die Kulturförderung übernimmt. Das ist nicht mal ein Rückgriff auf die fünfziger Jahre, in denen gerade das nicht der Fall war, sondern im Grunde schon auf die Zeit vor 1871. Das Modell Hamburg, was da beschrieben wird: Eine Stadt, die jetzt mittels Eigeniniative der Reichen für ein lebendiges Kulturleben sorgen soll. Was dann nur noch zu widerwärtig Repräsentativem führt. Das finde ich noch unerträglicher als die Feier der Fünfziger Jahre in dieser Serie.
In einem zitty-Interview sagten Sie kürzlich: "Ist das nicht ein elendes Projekt: Endlich so sein wie der Kapitalismus immer schon war? Ich sage dazu: Todestrieb." Können Sie das noch näher erläutern?
Todestrieb heißt erst mal, dass man in die Indifferenz, die Auflösung strebt. Der Wunsch nach Harmonie, nach Linderung der Leiden, nach dem Punkt, an dem man mit den Verhältnissen identisch wird und sich nicht mehr wehrt. Dass die Krankheit nicht mehr bekämpft, sondern sich ihr an den Hals geworfen wird, das ist die Idee des Todestriebs. Der Witz dabei ist, dass sich der Todestrieb ja nicht den Tod, sondern wie alle Triebe Glück wünscht, das aber in einem todesähnlichen Zustand sucht. Das ist der Erfolg des Konservatismus, seine psychologische Logik.
Was vermag unter diesen Umständen Musik? Sie unterbricht das Alltagsbewusstsein, schreiben Sie in Musikzimmer. An anderer Stelle ist die Rede von "Subversion in der Warenwelt". Kann sie allein subversiv eingreifen?
Nein. Alle kulturellen Positionen brauchen etwas, worauf sie zeigen können. Wir müssen zwei Dinge unterscheiden. Einmal das, was Musik von selber als Klang tut. Um andere zu mobilisieren, beim Rezipienten eine bestimmte Vorstellung zu erzeugen, muss Musik sich in Verbindung setzen, braucht sie einen sozialen Rahmen. Wo der fehlt, da lässt sich nichts machen. Da kann noch soviel verfeinert werden, da kann man ein Alternative-Revival nach dem nächsten durchführen – es bringt nichts, weil es einfach auf nichts mehr zeigt. Außer auf sich selbst oder die Rockgeschichte.
Punk, mittlerweile selber Tradition geworden, erfreut sich seit Jahren wieder größeren Interesses. "Mit den Punk-Revivals sollte es langsam genug sein" meinten sie 2004. Die Revivals gehen fröhlich weiter und sind mittlerweile in den frühen Achtzigern angelangt. The Fall und Gang Of Four sind plötzlich keine Exotenbands mehr, sondern Anreger und Idole. Sehen Sie darin nur den Aufguss alter Ideen oder das Symptom eines neuen Unbehagens?
Unterschiedlich, würde ich sagen. Das hängt einfach davon ab, wie es gemacht wird. Ich fand ja zum Beispiel vor ein paar Jahren den Rückgriff auf Gang Of Four bei The Rapture durchaus ganz ansprechend. Weil sie die Geste der Bezugnahme zum ästhetischen Gegenstand gemacht haben. Ich habe nichts gegen Revivals, die sich über ihren Status als solche Gedanken machen. Nur der Versuch, bestimmte Sounds und Songs so zu präsentieren, als seien sie gerade heute entstanden, sorgt bei mir zumeist für Langeweile. Das Revival von The Fall verdankt sich nicht einer Sehnsucht nach den Achtziger Jahren, die realen Umstände des Jahrzehnts werden ausgeblendet, sondern ist Begeisterung für die Schönheit, die jedes Objekt gewinnt, wenn es aus seiner Umgebung herausgelöst wird, frei wird. Das ist einmal ganz interessant, vor allem wenn das Objekt so extrem gegenwartsvollgesogen war wie die frühen Fall. Aber Ähnliches ist schon oft passiert: Etwa Mitte der Achtziger, als Psychedelic Punk wiederentdeckt wurde. Das geschah auch aus purer Unkenntnis der Verhältnisse, in denen Psychedelic und Garage Punk ursprünglich stattgefunden hat. Bei gleichzeitig genauer Kenntnis der Musik. Ein komisches Missverhältnis, das wir jetzt wieder antreffen.
Viele Musikstile der letzten fünfzig, sechzig Jahre sind ohne politisch-utopisches Element nicht denkbar. Folk, Jazz, Free Jazz, Punk. So unterschiedlich sie klingen, Leute wie Woody Guthrie, Charles Mingus, Test Department und Billy Bragg hatten und haben ihre Seite der Barrikade bewusst gewählt. Ist das mit dem "Ende der Geschichte" verloren gegangen? Hat die Musik das Nein-Sagen endgültig verlernt?
In den Neunzigern schon. Wer endgültig fehlt, das sind solche großen Integrationsfiguren wie eben Charles Mingus oder Woody Guthrie. Schon Billy Bragg war uns in den Achtzigern übrigens schon zu sozialdemokratisch. Um ehrlich zu sein, habe ich mir ihn damals eher bei den Jusos vorstellen können. Da fand ich dann Sachen wie Black Flag wesentlich interessanter. Auf einer Undergroundebene findet die Negation natürlich nach wie vor statt, aber sie wird nicht gehört, weil sie in keine größeren kulturellen Bewegungen integriert ist. Das war aber schon bei Test Department in den Achtzigern so.
Dient die Kritik, dient das Nein-Sagen sogar dem System? Werden die Verhältnisse dadurch im Endeffekt stabilisiert?
Das Phänomen gibt es sicherlich. Aber dieses Problem haben wir zur Zeit nicht.
In der Einleitung zu Musikzimmer schreiben Sie: "Wenn Pop nicht mehr half, konnte vielleicht die Avantgarde helfen". Aber auch sie kann irgendwann goutierbar und folgenlos werden. Hilft dann der Rückgriff auf rebellische Traditionen in der Musik? Archie Shepp spielt mittlerweile Blues und Bebop, Jello Biafra hat Anfang der Neunziger mit Mojo Nixon eine Country-Platte aufgenommen, Billy Bragg gemeinsam mit Wilco Woody Guthrie interpretiert.
Das passiert für mich aber in einem gänzlich anderen Rahmen als Pop oder Avantgarde. Ein Bezug zu der realen Unruhe unter den Leuten wird da weniger hergestellt. Da wird eher im geschützen Bereich von Kunst und Geschichte gearbeitet.
Sie unterscheiden sehr deutlich zwischen Pop und Rock und sagen in dem Zusammenhang: "Es lebe das sekundäre Leben. Es gibt auch kein anderes". Ist es nicht der Trick von Popmusik, das authentische Leben zu feiern beziehungsweise zu fordern?
Das gerade ist die spezifische Ideologie nicht von Pop, sondern von Rock. Der Glaube an das Primäre und an das Natürliche, was dann nur zu Machismo und Homophobie führen kann. Die Unterscheidung kommt aus den Erfahrungen der Achtziger Jahre, aus der Zeit nach Punk. Damals war endgültig klar, dass Rockmusik sich durch das dumme Versprechen von Authentizität für den Müllhaufen der Geschichte qualifiziert hat: Wie kann man kulturell etwas herstellen wollen, das politisch und ökonomisch verhindert wird? Pop nannte dagegen die künstlichen und industriellen Phänomene, die viel mehr über die Wirklichkeit zu sagen hatten und auch als Gegenstand von Experiment und Dekonstruktion interessanter wurden. Wobei Rock dann in den späten Achtzigern, im Vorfeld von Grunge, für kurze Zeit nochmals interessant wurde. Es ist auch nicht so, dass Rock in den Fünfzigern oder Sechzigern keine Berechtigung gehabt hätte. Auf (leider meist männlich-heterosexuelle) Sexualität zu setzen, hatte mal einen Sinn. Was damals antidisziplinarisch wirkte, bedient aber heute exakt das Gegenteil in der postfordistischen Gesellschaft.
Herr Diederichsen, herzlichen Dank für das Gespräch.
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