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Morgen wird wie heute sein
Aufmerksame Leser kennen und schätzen den 1971 geborenen,
in Berlin lebenden Autor David Wagner wahrscheinlich schon seit
einigen Jahren. Seine vorrangig in der von Michael Rutschky herausgegebenen,
leider mittlerweile bereits eingestellten Buchanthologie „Der
Alltag“ veröffentlichten Texte - Reiseberichte und
Erinnerungen an Brotaufstriche, Friseurbesuche und Sammelleidenschaften
- bieten nicht nur kurzweilige und unterhaltsame Lektüre,
gleichwohl bestechen sie alle auch durch außergewöhliche
Stilsicherheit, Beschreibungsfreude und sprachliche Eleganz.
Dieser Tage nun legte David Wagner, der die Leser der FAZ-Hauptstadtbeilage
regelmäßig mit Artikeln und literarischen Miniaturen
beglückt, im Alexander Fest Verlag, dem Stammhaus zahlreicher
FAZ-Autoren, sein erstes Buch vor: „Meine nachtblaue Hose“,
eine umfangreiche, stark autobiographisch gefärbte Erzählung
im verkaufsträchtigeren Gewand eines Romans. Darin erzählt
Wagner wunderbar wortgewandt die Geschichte eines jungen Studenten,
der sich in Berlin in Fe, die Freundin seines Kommilitonen Anatol,
verliebt und mit ihr eine elegische Reise in seine und ihre Kindheit
antritt. An einer Stelle des Buches heißt es, „in
einem bestimmten Alter sei das Leben wie ein französischer
Film“ - das mag stimmen und erinnert an die Liedzeilen „und
im Leben gehts oft her, wie in einem Film von Rohmer“
der einstmaligen Dauerjugendband Tocotronic. Freilich gibt es
noch mehr Parallelen zu den schwermütigen Songtexten der
Hamburger Vorzeigegruppe, auch Wagners Ich-Erzähler kennt
und beschreibt Situationen, die Tocotronic beispielsweise so
zusammenfassen: „Es ist schon seltsam und ich komm total
ins schwitzen, wie wir beide nebeneinander auf dem Teppichboden
sitzen“. Michael Rutschky bezeichnet auf dem Umschlag des
Buches Wagners Art des Erzählens als „erinnerungssehnsüchtig“
- und gewiß, das ist sie.
Wohl noch nie in der deutschen
Literatur wurde das Öffnen eines Nutella-Glases so plastisch
und schön beschrieben wie hier. Gleichwohl liest sich „Meine
nachtblaue Hose“ auch wie eine belletristische Fassung des
klugen und vergnüglichen Essaybandes „Generation Golf“
des Berliner FAZ-Feuilletonredakteurs Florian Illies. Doch die
Erinnerungssehnsucht, das permanente Gedenken an den Diercke-Weltatlas,
an Nimm-Zwei-Bonbons und die „Drehscheibe“ birgt auch
eine Gefahr, so fragt sich etwa der Ich-Erzähler: „Wie
kommt man aus seiner Verpuppung heraus, aus dem Kokon von Kunststoffkindheit,
Nutellakindern, Niveatöchtern?“ Und leider gelingt
es weder dem Autor noch seinem Protagonisten hundertprozentig,
sich zu einem Vollkerf zu entwickeln, so wird der in dem Buch
angelegte Konflikt, das ungeheure Liebesverhältis zwischen
dem Vater und der Tante des Ich-Erzählers, nicht wirklich
ausgetragen, sondern schwelt eher absein vor sich hin. Dennoch
hat David Wagner mit seinem Erstlingswerk bewiesen, daß
er ein ausgezeichneter Prosaautor ist, allein der erzählte
Stoff ist an manchen Stellen so dünn wie der eines alten
Beinkleides.
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