Der letzte Roman von Dietmar Dath war, ebenso wie der von Barbara Kirchner, und wenn man das so sagen kann, knackig. Es ging darin, „Skye boat song“ der Titel, um eine Vorbereitung zur Flucht. Auf kaum mehr als hundert Seiten und mit sicherem psychologischen Gespür gelang es Dath, eine Bedrohung durch Unaussprechliches auf den Leser zu übertragen. Teil seiner Anordnung war die fiktive Stadt Borbruck, in der auch Barbara Kirchners „Die verbesserte Frau“ spielt, ein hyperrasanter Thriller, in dem Mediziner die perfekt-devote Frau modellieren wollen. Nun haben Dath und Kirchner gemeinsam einen Roman geschrieben und damit leider den alten Beweis geführt, dass Plus und Plus Minus ergeben.
„Schwester Mitternacht“ spielt in einer ungewissen aber sehr nahen Zukunft, AIDS ist beinahe ausgerottet und das Vertrauen in die Medizin damit gestiegen. Eine neue Droge wurde kreiert, die vor allem im Bereich der sexuellen Stimulanz eine überragende Wirkung hat: „dagegen ist E und der ganze andere Raver-Technoscheiß Lakritze“. Ein großer Teil des Romans beschäftigt sich damit, was diese Droge bei den Konsumenten auslöst (wobei der überwältigende Effekt mehr beschworen als überzeugend beschrieben wird) und wie sie funktioniert. Das heißt: was für chemische Prozesse sich im Hirn nach Einnahme abspielen. Und als wäre es das spannendste der Welt, breiten Dath und Kirchner hier ihre leider sehr umfangreichen Kenntnisse aus. Chemie, Biologie, Biochemie, Biocomputing, Neuronale Netze, Molekulare Memetik über alles scheinen sie Bescheid zu wissen, wissen aber auch, dass kaum ein Leser ihr Wissen teilen wird, nutzen vielleicht auch aus, dass kaum jemand in der Lage sein wird (es sei denn als AB-Maßnahme) dieses Wissen zu überprüfen. Und scheinen der Meinung zu sein, dass man mit dem Rätsel um die Wirkungsweise einer Wunderdroge den Leser 340 Seiten lang bei der Stange halten kann.
Um diese Wirkungsweise anschaulich zu machen, fehlen ihnen aber schon sprachlich die Vorraussetzungen: „auf der Ebene der Zellen selber, der Neuronen und ihrer Synapsen selber, ist der Effekt Bewußtsein bereits angelegt, und zwar quantenmechanisch. Das Zellskelett enthält nämlich gewisse kleine Strukturen, sogenannte Microtubuli, die dieser Theorie nach als Mini-Quantencomputer fungieren. Microtubuli sind kleine Röhren von 25 Nanometern Durchmesser, Proteinpolymere, um genau zu sein, die aus sogenannten Tubilenen bestehen, die wiederum Dimere sind, also molekulare Arrangements, welche aus zwei voneinander getrennten Einheiten bestehen.“
Die ständigen wissenschaftlichen Monologe sind gestelzt und ungelenk, geschwätzig bis zum dorthinaus und verliebt ins eigene Wissen, das man zugleich verachtet, weil man glaubt, eh alles zu durchschauen. Es bleibt der Eindruck, dass dem gar nicht so ist, dass Dath und Kirchner lediglich den wissenschaftlichen Slang imitieren können, und meinen, mit der Rhetorik auch die Semantik virtuos zu beherrschen, ja, über ihr zu stehen.
„Schwester Mitternacht“ ist ein großer (d.h. umfangreicher) Verschwörungsroman mit seltsam ferngesteuerten Menschen, Wissenschaftlern, Journalisten, Agenten, viel Sex und ein wenig Action. Er ist von wilden Ahnungen durchwabert und die großartigen Theorien, die ausgebreitet werden, finden keine rationale Auflösung. All das mutet ziemlich esoterisch an. Als Leser aber ist man sich, spätestens als der leibhaftige Teufel auftritt, sicher: „Schwester Mitternacht“ ist die Hölle.