Was reimt sich
auf >Menschen<?
Frank Fischer über Sascha Verlans Anthologie deutscher Rap-Texte
Eigentlich will ich
wie im letzten Jahr für satt.org von der Buchmesse berichten, aber dann: Hinz und Kunz und deren Meinung zum Krieg ist alles, was sich ereignet. Ich bin also froh, dass ich in der Messebuchhandlung über ein interessantes Heft aus der hellblauen Reclam-Reihe »Arbeitstexte für den Unterricht« stolpere, das mit deutschen Rap-Texten bestückt und seltsamerweise bisher an mir vorbeigegangen ist.
In der knapp gehaltenen Einführung hangelt sich Sascha Verlan, Deutschlands erster HipHop-Wissenschaftler und Herausgeber des Bandes, von Stichwort zu Stichwort und legt besonderen Wert auf die konstitutive Unterscheidung zwischen HipHop und Rap. Dass es eine nach Wissenschaftlichkeit strebende Deutungsinstanz auf dem Gebiet der (jugendlichen) Subkulturen schwer hat, zeigt die Tatsache, dass der Sachverhalt »HipHop ungleich Rap« von der Szene selbst bereits 1994 in einem selbstreferenziellen Lehrgedicht thematisiert wird. Cora E. rappt in »Nur ein Teil der Kultur« vom jugendkulturellen Oberbegriff HipHop, zu dem neben der Rap-Szene auch die DJs, die Sprayer und die B-Boys, die Breakdancer, gehören.
In seinem rapgeschichtlichen Abriss schlägt Verlan einen Bogen von den identitätsstiftenden Rap-Anfängen Ende der Siebzigerjahre im eigengesetzlichen New Yorker Stadtteil, der Bronx, bis zur Durchsetzung einer deutschsprachigen Szene zu Beginn der Neunzigerjahre, in der Folge des Popularitätsschubs durch »Die da?!« (1992) von den Fantastischen Vier.
Auch wenn der Ursprung in Amerika liegt und es einen dahingehenden Dauerbezug gibt, mit Zitaten und Samples, findet der deutsche Rap seit Mitte der Neunzigerjahre einen eigenen Stil. Hamburg vs. Stuttgart ist eben nicht dasselbe wie East- vs. West-Coast, in Deutschland werden keine Märtyrermorde begangen wie die an Notorius B.I.G und Tupac in Übersee, obwohl auch Samy Deluxe »schon mal [ …] ’ne Waffe in der Fresse gehabt« hat (»Der Beste«, 2001). Die Funktion von BattleRaps besteht vor allem darin, die Szene am Leben zu halten.
Verlans Verständnis der Raps übersteigt die Realität einzelner Texte, er sieht streng postmodern »die Trennung zwischen Pop (Rap) und ernst zu nehmender Dichtung« (S. 115) schwinden, entwickelt ein Bewusstsein für die auch literaturwissenschaftliche Relevanz des (deutschen) Rap und sucht ihn an die deutsche Literaturgeschichte anzuschließen. Zum Beispiel durch die Aufdeckung intertextueller Bezüge: Advanced Chemistry entlehnt bei Tucholsky (»An das Publikum«, 1993), »Nichtsnutz« (1996) von den Massiven Tönen erinnert mit seiner Künstlerauffassung an Eichendorffs »Taugenichts«, und schließlich konstruiert Max von Freundeskreis in »Leg dein Ohr auf die Schiene der Geschichte« (1997) ähnlich wie Gottfried Benn (»1886«) sein Geburtsjahr 1973 im Spiegel der Welthistorie.
Die Differenzierung innerhalb des übergeordneten Genres ist nicht aufzuhalten: Nach »Die da?!«, einem Lustspiel-Dialog in drei Akten, liefern Fischmob aus Hamburg mit »4:55« (1995) das erste Rap-Hörspiel, mit einem sperrigen Thema: der Selbstjustiz eines Vergewaltigungsopfers. Die Massiven Töne liefern mit »Mutterstadt« (1997) einen »Rap-Reiseführer« für Stuttgart. Mathias Bach interessiert mit einem philosophistischen Rap von nachgerade fichteschen Qualitäten (»Ich vs. Du, ein BattleRap«).
Die Auswahl über 38 Text-Tracks bietet einen Querschnitt, der die mittlerweilige Breite des deutschsprachigen Rap-Angebotes demonstriert, und Verlan wird diesen Differenzierungstendenzen gerecht, indem er die Texte thematisch nach Battle- und MessageRaps sortiert.
Das alles kann aber dann doch nicht darüber hinwegtäuschen, dass viele Texte ohne die Beats im Hintergrund einfach blass aussehen. Nicht zuletzt geht es um das Spontane der Freestyles, und Verlan zitiert DJ Marius No. 1 mit der Feststellung, »dass viele Rap-Texte gar nicht erst veröffentlicht würden, wären die Rapper beim Texten ebenso sorgfältig wie die DJs, wenn sie an ihren Techniken und Mixes feilen« (S. 117).
Jede Menge Reime
Rap-Lyrics stehen der traditionellen Gedichtlyrik formell stets nach, die Form wird sozusagen erst durch die Musik geliefert. Das zeigt sich sofort, wenn man Lyrics mitschreibt oder sie in den Lyrics-Datenbanken im Internet nachschlägt: Mal wird Fließtext daraus, mal werden willkürlich Pseudoversgrenzen gesetzt, die sich aber nicht einheitlich durchziehen, da Rap sich nicht an den Endreim hält sondern dort reimt, wo es gerade geht. Daraus resultiert die Lebendigkeit, daraus resultiert die neue Freude am Reim.
Auch die Notation von Verlan gaukelt Verse und Strophen nur vor. Strophen im klassischen Sinn – metrisch gleich gebaute Textabschnitte – sind das nicht. Er löst das Problem dadurch, dass er nach den für Raps typischen 4/4-Taktabschnitten jeweils umbricht. Der Rhythmus lässt sich schlechterdings nicht mehr auf Versfüße der antiken Metrik zurückführen. Im Mittelpunkt steht der innovative Reim um jeden Preis.
Nachdem die deutsche Lyrik Jahrhunderte auf den Herz-Schmerz-Reim
ausgelegt war (im Gegensatz etwa zur italienischen Lyrik, die mit
cuore-amore thematisch weniger pessimistisch dichten konnte) und nach
diversen Paradigmenwechseln wie Günter Eichs Reimpaar »Hölderlin ? Urin«,
hat mit dem Rap ein neuer Wechsel stattgefunden. Lange vor dem Denglisch
der New Economy werden englische Verben verdeutscht und massiv die
Sprachen gemixt: »we give a fuck what language, die leute verstehen mich«
(S. 44), rappt das Rödelheim Hartreim Projekt bereits 1994. Auf diese Art
sieht der Herausgeber dann auch ein altes deutsches Reimproblem gelöst und zitiert den Freestyler Bob Lakermann von der Königsdorf Posse:
»vernichtendes urteil über einen menschen, attention, da bleib ich stur«
(S. 37). Verlan unterschlägt hier zwar die Lösung von Peter Rühmkorf, der
in seinem »Lied der Benn-Epigonen« (1959) gereimt hat: »Die schönsten
Verse der Menschen [ …] sind die Gottfried Bennschen«. Aber wenigstens
ist die Methode neu.
Literatur, die sich für didaktische Zwecke einsetzen lässt, muss nicht die schlechteste sein. Die Abkürzungssuada »MfG« (1999) der Fantastischen Vier etwa bietet einen solchen Mehrwert, wird sie doch für Deutschkurse herangezogen, um den Deutschlernern mit gebräuchlichen deutschen Abkürzungen bekanntzumachen. Verlans Anthologie richtet sich explizit an die Sekundarstufen und sieht sich selbst als Chance für den Deutsch-Unterricht: Rap-Texte dienen als Fundus für Standardthemen wie Rassismus, Drogen, Gewalt. Gleichzeitig werden die Pädagogen jedoch davor gewarnt, sich mit Rap im Unterricht anbiedern zu wollen und als »unerbetene Eindringlinge« (S. 119) in eine jugendliche Subkultur abgelehnt zu werden.
Der Band ist keine Best-of-German-Rap-Kollektion, enthält dafür aber einige Schlüsseltexte. Verlans Anthologie legt den Fokus auf die Raps und ruft in Erinnerung, dass auch auf Papier fixierter Text Teil des täglichen Medienmixes ist, obwohl dieser, separiert vom Musikzusammenhang, gegenüber der CD-Version natürlich stets defizitär bleibt. Aber egal, der Band hat mein Buchmessenwochenende gerettet, ist hosentaschentauglicher als ein Discman und viel günstiger als eine Single zu haben.