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Sofie Lichtenstein: Bügeln. Protokolle über geschlechtliche Handlungen


 

März 2004
Frank Fischer
für satt.org

Leipziger Buchmesse 2004:
Live-Konzert des Feuilletons


Leipziger Buchmesse 2004

25. bis 28. März 2004

sattLINK:

Frank Fischer auf der Leipziger Buchmesse 2005

Frank Fischer auf der Leipziger Buchmesse 2002

Leipziger Buchmesse 2004

Live-Konzert des Feuilletons

Entlang der kulturkritischen Debatten durch den Leipziger Buchfrühling 2004. Mind the gap! Massive name-dropping! Abstruse Überleitungen! Wenn überhaupt!



Donnerstag: Moral Bombing

Immer wieder neu zu begreifen: Dass da also jetzt wirklich die Massen gekommen sind, um sich vorlesen zu lassen. Sich vorlesen lassen, ohne auch nur einen Schimmer zu haben, wer das eigentlich ist, der da liest. Blick ins Programmheft. »Scheffree Eugenides heißt der, aha, ist das ein Grieche?« Und als Feuilleton-Junkie muss man auf eine solche Frage einfach WAAAS! schreien und am besten gleich noch mal entsetzt kucken. Aber dann geht es auch, dann weiß man wieder, dass der Rest der Welt eben genau keine Zeit hat, um da jetzt jeden Tag die Kultur-Teile der Zeitungen durchzuscannen.

Leipziger Buchmesse 2004
Fotos: Frank Fischer
Leipziger Buchmesse 2004
Leipziger Buchmesse 2004

11 Uhr. Salomon Korn bemüht sich mit philologischer Akribie, Wolfgang Herles genauso zu antworten wie im Spiegel-Interview eine Woche zuvor (Ausgabe 12/2004, S. 40-45). Stefan Aust gleich nach ihm schwärmt von Martin Doerry, »meinem Kollegen beim Spiegel«, und Wibke Bruhns, weil beide so schöne Vergangenheitsverarbeitungsbücher veröffentlicht hätten. »Und Uwe Timm!«, setzt Herles nach, aber Aust: »Hab ich nicht gelesen.« Muss er ja auch nicht, gibt sowieso schon viel zu viel zum Thema Nummer Eins. Zur stetig wachsenden Phylle an Doku-Verarbeitungen fallen Herles die Feststellung und die Frage ein: Als Journalisten sind wir ja praktizierende Zyniker, warum geht das immer noch mal gut? Na ja, wahrscheinlich, weil die Meute so gern Schwarz-weiß-Bilder sieht.

Kurz darauf ist Wolf Herles selbst Befragter, zusammen mit Thea Dorn, und beide müssen sich zur Rubrik Medien > Fernsehen > Talkshows äußern, weil sie beide im weitesten Sinne einen Roman darüber geschrieben haben. Herles sagt leider Sechs statt Sex, eine Unart, die Thomas Brussig in »Helden wie wir« hinlänglich beschrieben hat. Und im Gegensatz zu Thea Dorn spricht er, noch bevor er überhaupt dazu befragt wird, immerzu von »meinem Buch, meinem Buch«. Hui, wie eitel.

14 Uhr. Zwischenfrage. Welcher Autor passt nicht in diese Liste: Maxim Biller, Dieter Bohlen, Alban Nikolai Herbst, Birgit Kempker. Falsch, alle gehören da hinein, Prämisse: Die jeweils letzten Bücher der Vier wurden ganz oder teilweise wegzensiert. Was Literatur darf und was nicht, ist dann auch die Frage beim bücher.macher-Extra. Im Ring: Freiheit der Kunst versus Persönlichkeitsschutzrecht. Nachdem sich Ulrich Greiner alias Die Zeit für Verfremdungen als Maßstab für Romane ausgesprochen hat (»Ist doch leicht!«) schießen sich Helge Malchow von Ki & Wi sowie Georg »M.« Oswald auf ihn ein. Literarische Qualität messe man nun einmal nicht auf der Verfremdungsskala. Greiner relativiert sein Axiom sogleich und fragt sich, ob er den moderierenden Denis Scheck wohl literarisch abbilden dürfte, worauf sich Scheck wegen seiner lediglichen Halbbekanntheit für einen Grenzfall hält. Malchow erzählt dann noch, wie er wegen Billers »Esra« durch die Instanzen getrieben wird und schlussfolgert, dass Georg Lukács heute locker eine einstweilige Verfügung gegen seine Karikierung als Naphta in Thomas Manns »Zauberberg« erwirken könne.

Etwas später auf dem Blauen Sofa will sich Rafael Seligmann wiederholt beliebt machen, indem er für eine Wiederveröffentlichung von »Mein Kampf« plädiert. Leider hat er dabei großflächig karierte Socken an, und die Alten im Publikum, die die gleichen Socken tragen, nicken etwas zu heftig dazu. Weil es irgendwie auch mit zum Thema passt, baut der interviewende Wolf Herles seine Sätze derart, dass er bezüglich der alliierten Bombardierungen so oft wie möglich den Terminus »moral bombing« benutzen kann.

Leipziger Buchmesse 2004

17 Uhr. »Ich bin Deutscher und Punkt.« Irgendwas muss man in Interviews ja antworten, und Feridun Zaimoglu hat so geantwortet, auf eine zugegebenermaßen (passendes Adverb einfügen) Frage seines Gegenübers. Im lockeren Feld der Assoziationen wird er sogleich auch über »Gegen die Wand« befragt, deutscher Film oder türkischer Film? Fast ähnlich ergeht es Jeffrey Eugenides, you know, American of Greek origin, aber noch possierlicher fällt die Frage zum sex on the roof aus, zu dem es in seinem Roman-Erstling »The Virgin Suicides« kommt: »How did you come up with that?« Nachdem Eugenides, »well«, ungefähr zehn Orte aufgezählt hat, an, in, auf oder mit denen man Sex haben kann, gibt die interviewende Miriam Böttger zu: »Oh, I thought this scene came out of your imagination.« Yeah, right.

20 Uhr in der Franz-Mehring-Buchhandlung: Peter Richter und seine »Blühenden Landschaften«, die erste Lesung ever. Der Autor, diesmal ohne Fred-Perry-Shirt, stellt angesichts des zu gealterten Publikums sein Programm kurzerhand um und lässt den Anfang seines Sachbuchromans weg. Er könne »links wie rechts« steht im Klappentext des Buches und verunsichert das Auditorium mit sozusagen dann doch politisch inkorrekten Selbstzitaten. Und die Leute geraten in einen Double-bind, ähm, dürfen wir da jetzt grade mal lachen? Oder lieber doch nicht? Mit Miszellen über Hochbettexistenzen und »Willste 'n Tee«-Fragerinnen liest er sich dann doch in die Herzen der anwesenden Menschen, in einer westdeutschen Studentenstadt dürfte er es damit aber ungleich schwerer haben.

Freitag: Porn und Drang

Leipziger Buchmesse 2004
Leipziger Buchmesse 2004
Leipziger Buchmesse 2004

11 Uhr. Hubert Fichte, Alexander Kluge, Elfriede Jelinek. Das sind die Vorbilder, die Katrin Röggla einfallen. Damit enttäuscht sie die Suggestivfrage von Volker Panzer, der dann lieber gleich noch mal nachhakt: »Und Thomas Bernhard?« Ja, der auch. »Und haben Sie auch an den frühen Handke gedacht?« Etc. etc. Weiter im Fragenkatalog: »Warum leben Sie in Berlin?« »Is 'ne Großstadt.« »Aber vorher haben Sie in Salzburg …« »Is keine Großstadt.« Und dann liest Frau Röggla unter Auslassung von Großbuchstaben noch eine Konjunktivsuada aus ihrem Roman »wir schlafen nicht« vor.

Um 12 Uhr ist es an der Zeit für den Perlentaucher, sich vorzustellen. Seit März 2000 bündelt diese weltweite Einmaligkeit die anfallenden Feuilletonteile in einer täglichen Presseschau und sammelt fleißig die Rezensionen der meisten überregionalen Tageszeitungen. Am stolzesten sei der Dienstleister mit der Perle im Logo jedoch auf die Magazinrundschau. Doch bevor Thierry Chervel Fragen des Publikums zu den vielen kleinen Zusatzdiensten (Teletaucher, Medienticker) beantwortet, gibt es eine kostenlose Lehrstunde in Suchmaschinenoptimierung. Jan Koehler feiert die mittlerweilige Framelosigkeit von perlentaucher.de, geißelt Roll-Over-Buttons und lässt sich über die Gestaltung von title tags aus, weiß dann aber nicht so recht, wozu ein RSS Feed gut ist. Die obligatorische alte Frau im Publikum schüttelt mit dem Kopf, als ob sie in den falschen Volkshochschulkurs geraten ist. Am Ende lüftet sich immerhin noch ein Geheimnis: Die Feuilleton-Rundschau wird von mehreren Beiträgern dezentral, in Heimarbeit geschrieben. Die Vorstellung von somnambulen Redakteuren, die sich im Morgengrauen in die Redaktion schleppen, um ausladende NZZ-Essays zu resümieren, hat sich also erledigt.

14 Uhr. Thor Kunkels neuer Verleger & Lektor Wolfgang Hörner hält den NS-Porno-Roman »Endstufe« für »ein Buch über die schlechten Seiten des Menschen«, »in seiner literarischen Machart sehr modern«. Wenn seine schon jetzige Verortung des Romans in der Literaturgeschichte zutreffend ist, würden Kunden, die dieses Buch kaufen werden, dann auch die Bücher einer Autorenclique von Swift bis Houellebecq gekauft haben. Doch damit nicht genug, auch als literarische Antwort auf Tarantino & David Lynch gilt ihm »Endstufe«. Eine Nummer kleiner ging wohl grade nicht. »Porn und Drang« hat der britische Guardian die Gerüchte über den Inhalt des Romans zugespitzt, und das ist als Vorabinfo wahrscheinlich viel besser. Egal, jedenfalls liest Kunkel dann aus den Anfangspassagen, auch einige der bereits im Spiegel genüsslich zitierten Einzelsätze, aber das alles findet nun in einem Kontext statt, und keiner der Anwesenden zeigt mit dem Finger auf den Autorentisch. Na gut, das Geböller mit großen Namen und Zitaten geht zwischen den Buchdeckeln weiter, aber im Motto von Oswald Spengler wird wenigstens »Blut« durch »Sex« ersetzt. Und zum ersten Mal kann man erleben, »wie sich dieses Buch anhört«: Kunkel sagt wie Wolfgang Herles sechsi statt sexy und nimmt überladenen Begriffen mit einem überraschenden Aussprachewechsel die Masse: Übermench, utopich, pornografich.

Leipziger Buchmesse 2004
Leipziger Buchmesse 2004

15 Uhr. Jetzt zunächst einmal gaaanz laaangsam. Tempo rausnehmen. Günter Kunert, der die von Peter Richter in »Blühende Landschaften« beschriebene Türklinke als Schnauzbart trägt, hat sich auf dem Blauen Sofa eingefunden. Ulrich Greiner ist sichtlich zu schnell für seinen Gesprächspartner, der dann auch einfach mal so antwortet: »Wir wollen doch einigermaßen menschlich miteinander umgehen.« Wenn das Kunerts Poetologie ist, sollte er sich lieber schnell noch als Kandidat fürs Bundespräsidentenamt nominieren lassen, die Weihnachtsansprache dürfte weiter kein Problem darstellen. Greiner drängt Kunert, noch ein Gedicht vorzutragen, was den Vorteil hat, dass es schon geschrieben ist. Bis zur Rolltreppe sind es nur ein paar Meter, aber noch aus der Ferne ist ein Kunert-Satz zu hören: »Schreiben heißt ja getrieben sein.« Zuhören manchmal auch.

17 Uhr. »Neiiin! Klaus Bittermann! Mein Verleger!« Wiglaf Droste bringt eine Lesestunde damit herum, indem er die Hälfte davon nach Manuskriptfetzen und verschollenen Druckfahnen sucht. Aber er ist der Beste, sogar das kann er gut. Und allein mit seiner Stimmenmodulation kann er Günter Grass' so genannten erotischen Gedichte aus dem Band »Letzte Tänze« als das entlarven, was sie sind: »Altpapier schon vor dem Druck«.

Samstag: Ein Gewaltakt ist fällig

11 Uhr. »Die deutsche Kritik ist dorthin zurückgekehrt, wo sie vor Lessing war: in die vollständige Beliebigkeit eines Geredes, das allenfalls Einfluss, aber keine Bedeutung hat«. Soweit Daniel Kehlmann und soweit Gunther Nickel, der ihn zitiert. Anlass ist eine Podiumsdiskussion mit dem fragenden Titel »Literaturkritik 4ever?«, die »Zukunftsaussichten eines alten Gewerbes« besprechen will. Nickel, Lektor des deutschen Literaturfonds, sieht den Buchtipp die fundierte Kritik ersetzen. Elke Heidenreichs Sendung, die er aber natürlich »auch nicht verteufeln will«, könne statt Lesen! auch Kaufen! heißen.

Den besten Live-Redner des deutschen Feuilletons, Tilman Krause von der Welt, »schmerzt« es, dass sich die jungen Redakteure & Praktikanten in der jungen Gegenwartsliteratur zwar gut auskennen, auf literarische Traditionen aber nicht so gut zu sprechen seien. Er selbst traue unter den Autoren »keinem unter 40, kaum einem unter 30«.

Burkhard Spinnen sieht sich als Schriftsteller »auf die Qualität der Literaturkritik angewiesen«, um daraus gegebenenfalls auch mal Konsequenzen zu ziehen. Oberflächliche Publikumsgespräche seien kein Anhaltspunkt für die Weiterentwicklung des eigenen Stils.

Ina Hartwig von der Frankfurter Rundschau ist vorsichtig damit zufrieden, dass immer noch jede deutsche Zeitung Platz für Literaturkritik einräumt, betrauert aber den Wegfall des literarischen Essays. Sie widerspricht vehement, als Krause seine »sämtlichen Hoffnungen« auf das Bildungsbürgertum setzt. Krause wiederum schaut desinteressiert ernst, als Thierry Chervel behauptet, der Perlentaucher resümiere »tendenziell« die Kritiken »aller« überregionalen Zeitungen. Na ja, außer die der Welt. (Wieso eigentlich nicht? Aversion gegen Springer?)

Leipziger Buchmesse 2004
Leipziger Buchmesse 2004

13 Uhr. In der LVZ-Autoren-Arena versucht Else Buschheuer, sich mit Einlagen in sächsischer Mundart beliebt zu machen, was auch hervorragend funktioniert. Kurz darauf auf dem Blauen Sofa übt sich Sibylle Berg im uneigentlichen Sprechen und scherzt wie immer über ihr Alter: »Wie alt bin ich jetzt? Fünfundzwanzig, ähm.« Hohoho. Weiteren Konkretisierungsversuchen der Moderatorin entgeht sie wie folgt: »Frau Berg, in Ihrem Debüt-Roman gibt es eine Szene, wo sich eine Frau umbringen will, dann aber doch nur einen Cappuccino trinkt …« Antwort: »Nee, das is'n Buch von Grass.« Zum Abschluss liest sie dann drei Minuten aus ihrem neuen Roman »Ende gut« und fängt danach wirklich an, »Brüder zur Sonne zur Freiheit« zu singen. Aber nur als Gag, nach einer Zeile hört sie auf.

15 Uhr 30. Jetzt aber. »Was macht Sie zornig, Herr Hochhuth?« »Unrecht!« Mit einem um die Schultern gelegten Jackett, das Lockerheit signalisieren soll, bezeichnet der Dramatiker »diesen Herrn Ackermann«, der ja Schweizer ist, als regelrechten »Ausländer«. Er spricht mit dem Publikum, nicht mit dem Interviewer, und kippt dabei fast nach vorn über. Im Unterschied zu den Feuilletons, die sein Stück »McKinsey kommt« gar nicht mehr als Kunst behandeln, spendet das Publikum vor Ort für Hochhuths Wirtschaftsschelte gut bürgerlichen Beyfall. Die Bemerkung »Es kann nur eine Revolution diese Zustände ändern« verunsichert dann zwar einige, halten kann sich Hochhuth aber bald gar nicht mehr: »Ein Gewaltakt ist fällig!« Ganz genau so sagt er das. Als ob ein geschichtsbewusster Arbeitsloser jetzt mal schnell einen Wirtschaftsboss umlegen muss, nur damit eine Ursache-Wirkung-Tradition zu ihrem Recht kommt.

20 Uhr. In der Galerie für zeitgenössische Kunst, in der sonst eigentlich nur Zeitgenossen zu finden sind, liest Fritz J. Raddatz aus seiner Autobiografie. Er rückt die getönte Brille zurecht und entschuldigt sich, dass er »nur einige Farbtupfer aus einem größeren Tableau« bringen kann. Er ist ein guter Vorleser, der bei Daktylen immer mit der rechten Hand wedelt. Er widmet sich vor allem seinem Verhältnis zu Old Ledig-Rowohlt und liest »als Zugabe« einen ebenfalls in »Unruhestifter« enthaltenen Tagebucheintrag vom November 1988. Danach tauscht sich das Publikum darüber aus, wer wohl die darin beschriebene, durch New York shoppende Mondäne ist.

Sonntag: Rettet die Familie

Nicht mehr viel los, jedenfalls kann die Sonntags-FAZ schon Samstagabend im Internet behaupten zu wissen, »Wie es in diesem Jahr auf der Leipziger Buchmesse war«.

Um 11 Uhr 30 spricht sich Robert Gernhardt für die strenge Form des komischen Gedichts aus. Miriam Böttger muss gar nicht mehr investigativ fragen, Gernhardt reagiert schon auf Stichwörter. Wenn ihr nichts mehr einfällt, behilft sich die Interviewende mit der Bitte »Können Sie nicht einfach mal noch was aufsagen?« Das tut er dann auch: Lessings Fünfzeiler vom Hurenhausbrand, des Weiteren Goethe sowie Heinz Ehrhardt, zum Schluss sein eigenes, schön selbstreferenzielles Anti-Sonett (»Sonette find ich sowas von beschissen, …«).

Leipziger Buchmesse 2004
Leipziger Buchmesse 2004

12 Uhr 30, Ines Geipel im Berliner Zimmer. Ihre Verlegerin bei Rowohlt stellt Geipel anhand ihrer Veröffentlichungen vor und betont die Folgerichtigkeit ihres disparaten Gesamtwerks. Ihre Anklageschrift »Für heute reicht's« über Robert Steinhäusers Amoklauf ist ja bei der Buchpräsentation in der Tatortstadt Erfurt nicht gut angekommen, das Buchmessenpublikum hat aber kein Problem mit Geipels Lesung.

14 Uhr. Alexa Hennig von Lange und Joachim Bessing sind in Sachen Familie unterwegs. Bessings Frau liest aus ihrem Manuskript für ein bald erscheinendes Kinderbuch, Hennig von Langes Mann liest aus seinem gerade erschienenen Essay »Rettet die Familie!« Zwei Pop-Protagonisten, wie man sie nicht kennt: Beide Texte sind ein Plädoyer gegen die Patchwork-Familie. Zu diesem Zweck haben sie unlängst sogar der FÜR SIE ein Interview gegeben, in dem sie sich wünschen, »dass diese Generation von Patchwork-Familien die letzte ist« und sich alles endlich wieder zum Guten wendet.

Sehr lustig wird es um 15 Uhr auf dem Blauen Sofa, als Helge Schneider eintrifft. Besoffenes »Hölgööö«-Geschrei erinnert dann aber wieder daran, worum es sich hier handelt. Deshalb nichts mehr davon. Helge Schneider zitieren: ein Fehler. Auch zu beschreiben, was er da mit dem Mikro in der Hand gesagt und gemacht hat: geschenkt.

Leipziger Buchmesse 2004

16 Uhr. Die letzte worthwhile Veranstaltung findet wieder auf dem Blauen Sofa und wieder mit Peter Richter statt. Nach seiner Donnerstags-Lesung gibt es jetzt ein Interview. Er referiert erst einmal sein Buch und feiert die Unterschiede zwischen Ost und West als »folkloristischen Mehrwert«. Mit solchen Aussichten steht er einem biederen Janahenselismus entgegen, der in einem antrainierten verklausulierten »Erzääählen« seinem Milchmädchenhass freien Lauf lässt. Von Miriam Böttger auf die so genannte politische Inkorrektheit mancher Passagen angesprochen wundert sich auch Richter, dass er bis jetzt überall so gut weggekommen ist. Dem sich nach Polen erweiternden West-Ost-Gefälle der Ressentiments solle man mit dem Kauf seines »integrativen« Buches begegnen und dem Autor so ermöglichen, die Fortsetzung zu schreiben. Solche dreisten Autorensätze kommen komischerweise stets gut an, weil das Publikum sie mit kurzem Auflachen sofort als ironisch versteht.

Hier schließt sich die Akte Leipzig 04. »Die Messe war ein Leipzig-Lese-Glück wie immer«, schreibt Volker Weidermann in der bereits oben erwähnten FAS. Recht hat er.