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April 2004
Christian Bartel
für satt.org

Carsten Otte:
Schweineöde

Eichborn 2004

Carsten Otte: Schweineöde

geb., € 19,90
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Carsten Otte:
Schweineöde



Das passiert ja nun wirklich nicht häufig, daß Bonn in den Gesichtskreis der Literatur gerückt wird, auf halber Strecke zwischen Peripherie und Zentrum taugt es auch wenig zur literarischen Chiffre.

Obgleich, in jüngster Zeit taucht es immer mal wieder auf, zuletzt in David Wagners "Meine nachtblaue Hose" und jetzt eben in Carsten Ottes erstem Roman "Schweineöde", dessen Titel sich aber eben nicht auf Bonn, sondern auf den Ostberliner Stadtteil Schöneweide bezieht und ihn im Anagramm als heruntergekommenen Kleinstbürgerhort beschreibt. Kuballa, Protagonist des ironischen Entwicklungsromans, ist ein Sohn aus besitzbürgerlichem Gastronomenhaus, den eine unverhofft große Erbschaft dauerhaft aus den Zwängen der Berufsfindung entlassen hat. Nach längerem Aufenthalt in Südostasien sucht Kuballa nun eine neue Lebensaufgabe und findet sie in Schöneweide. Getrieben von einer seltsamen Passion erforscht Kuballa seinen neuen Lebensraum, akribisch, aber ohne Methode und Zielsetzung wie ein früher Ethnologe, saugt er die realsozialistisch geprägten Biographien seiner Mitbürger auf und erschafft nach diesem Bild einen östlichen Mikrokosmos, in dem er – Kuballa - die Rolle des Versuchsleiters einnimmt.

Die Versuchsanordnung mißlingt. Die handelnden Figuren, etwa seine zeitweilige Geliebte Jana, der schwule, stasi-gepeinigte Ingo, das Ehepaar Kolb und auch der Proletarier Akuszewski verweigern sich an kleinen, aber entscheidenden Stellen Kuballas Projekt "Schöneweide" und treiben seinen Wahn, den Ost-Charakter zu entschlüsseln, zu immer bizarreren Blüten. Schließlich erweckt Kuballa den Überwachungsstaat zu neuem Leben und beginnt Spitzelberichte über seine Schöneweider zu schreiben, die Stasi als Selbstversuch, sozusagen. Aber auch dies befriedigt Kuballa nicht, er wechselt die Seiten und trinkt in "Überidentifikation" mit den ehemaligen Häftlingen "vor dem Zubettgehen regelmäßig Klowasser", bis er auch dieses Projekt geläutert abbricht. Und hier beginnen die Probleme in Ottes Buch.

Kuballas Charakter ist klug angelegt, seine melancholische Ziellosigkeit und seine Herkunft aus dem spießigen Kernland der alten BRD, hier sehr schön vom gediegenen Bad Godesberger Bürgertum verkörpert, all das wirkt recht überzeugend, besonders, wo es auf muffiges Kleinbürgertum ostdeutscher Prägung trifft, auch dies mit galliger Komik geschildert, die verfängt und berührt. Aber die nicht eben seltenen Sprünge und Wendungen Kuballas Charakter, die vermag Otte nicht recht zu erklären. Ein Traum hier, ein Gewissensbiß da, mehr bietet er nicht an – und das reicht eben nicht, zumal der Leser direkten Einblick in Kuballas Gedanken erhält. Das nimmt dem Buch leider etwas von dem erfreulichen Schwung, mit dem Otte sich in die Aufarbeitung jüngster deutscher Geschichte gestürzt hat.