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7. Dezember 2008 | Felix Giesa für satt.org |
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Bilderbücher für Groß und KleinFelix Giesa stellt in der Vorweihnachtszeit elf Bilderbücher vor. Am zweiten und am dritten Advent jeweils fünf und ein letztes dann am vierten. Dabei wird es um siebenköpfige Drachen, seltsame Omas, „das Heidi“, Panther, die keine Vegetarier sein wollen, komische Löcher oder auch die „Farbe“ Schwarz gehen.
Sven Nordqvist: Wo ist meine Schwester? Sven Nordqvist, der geistige Vater der „Pettersson und Findus“-Bücher, ist sicherlich hinlänglich als Schöpfer kunstvoller und urkomischer Bilderbücher bekannt. Sein gestalterischer Einfallsreichtum, besonders bei „Pettersson und Findus“, haben dafür gesorgt, dass er weit über Europa hinaus bekannt geworden ist. Waren es dort bereits immer schon die kleinen Geschichten im Bild, die keine Erwähnung in den begleitenden Texten fanden, die für den besonderen Bildwitz sorgten, so ist es in seinem neuen Werk eben diese Spezialität, welche der Handlung regelrecht den Rang abläuft. Das gewaltige Buch, tatsächlich ist es in dieser Saison das großformatigste, besteht aus doppelseitigen Wimmelbildern, mit einer Spannbreite von ganzen 75 Zentimetern! Da kann man natürlich so manches visuelles Vexierspiel unterbringen (eines der schönsten Beispiele ist sicherlich das Parkchaos kleiner Miniautos vor einem bewohnten Baumstumpfwohnhaus – er scheint die Parksituation in meiner Straße zu meinen!). Ein kleiner Junge vermisst seine Schwester und macht sich mit dem Opa auf die Suche. Also flugs den Birnen-Fesselballon bestiegen (Obstkennern unschwer als Abate zu erkennen) und los geht die Suche quer durch Absurdistan: vorbei am Frosch, der einen Regenbogen durch den Fleischwolf dreht, um goldenen Honig zu erhalten, durch die dichten Wolken, die von riesigen Rauchern gepustet werden, durch tiefe Schluchten, in denen Riesen angeln, durch dunkle Höhlen und dichte Wälder ... Begleitet wird der abenteuerliche Flug von den Erzählungen des Junge über seine Schwester. Und weil diese ihm immer so präsent ist, kann der aufmerksame Betrachter sie auch in manchem Bild entdecken. Eine träumerischere Märchenreise gibt es dieses Jahr nicht mehr! ◊ ◊ ◊
Menena Cottin und Rosana Faría: Das schwarze Buch der Farben Der Bilderbuchmarkt ist mit einem ganz sicherlich übersättigt, und das sind knallig-bunte Bücher mit ästhetisch fragwürdigen Illustrationen. Das alles trifft auf „Das schwarze Buch der Farben“ nicht zu. Ganz und gar im Gegenteil! Und nicht nur darum ist es so toll. Das gesamte Buch ist schwarz: schwarzer Umschlag, schwarze Seiten und, ja, auch schwarze Bilder. Schrift findet sich nur sehr wenig und wenn, dann in mattem Silber. Das Buch will nämlich nicht nur erlesen und erschaut werden, sondern vor allem auch erfühlt. Der Text, er steht jeweils auf der linken Seite, ist daher auch zusätzlich in Blindenschrift abgedruckt. Die Bilder von Rosana Faría setzen dazu ein Gestaltungsprinzip um, welches sich in den letzten Jahren vor allem auf den Umschlägen verbreitet hat: den Folienreliefdruck. Auf dem rauen Kartonpapier der einzelnen Seiten setzen sich die feinen Bilder gut ab und wenn von Thomas, für den die Farbe Gelb nach Senf schmeckt und so weich ist wie Kükenflaum, berichtet wird, dann sind dort Reliefs von feinen Kükenfedern zu sehen. Will man sie fühlen, so muss man sich erst einmal auf diese Fähigkeit rückbesinnen. Die eigenen Fingerkuppen sind viel zu ungeübt, kennen nur das Grobe. Wenn man aber erst einmal wieder den Dreh raus hat, begeistert es ungemein, sich vorlesen zu lassen: „Thomas sagt, dass Blau die Farbe des Himmels ist, wenn die Sonne seinen Kopf wärmt.“ und dabei einen kleinen Drachen auf der Seite ertastet. Dieser Thomas scheint mindestens so klug wie dieses schlaue Büchlein! ◊ ◊ ◊
Ann Cathrin Raab: Zeckengeflüster Ann Cathrin Raab hat an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Hamburg Design studiert. Die HAW ist schon seit längerem als Talentschmiede im Bereich der Buchillustrationskunst bekannt (im Bereich des Comic macht sie sich ja auch gerade einen Namen) und Ann Cathrin Raab ist eines dieser Talente. Ihr Erstling ist ein urkomisches Sprachspiel, für das sie einfachste Bilder geschaffen hat. „Einmal war ich ein Kanarienvogel.“ so beginnt Raab ihre Geschichte. Das ist wichtig. Denn wenn es im weiteren Verlauf um „zehn Zecken“ geht, die auch gerne mal „ein Affentheater veranstalten“, was dann den Nachbarn, „das Trampeltier“, auf den Plan ruft, der die Erzählerin „zur Sau macht“, dann liest sich das für den kindlichen Leser natürlich aberwitzig. Und für den erwachsenen Leser ebenso. Doch er erkennt zusätzlich all diese Wortgeflechte und weiß, für wen und was sie so stehen. Eine tierische soap opera, die in den groben Pinselzeichnungen noch ihre Überhöhung findet. Etwa wenn „Sau“ im Text mit einem fetten gelben Farbklecks markiert wird und auf dem Bild sieht man den gelben Kanarienvogel, ebenfalls mit fettem gelbem Klecks, und zusätzlich mit Schweinsschnauze. Man muss das Buch schon zweimal lesen, um zu merken, dass diese Geschichte genauso bissig ist, wie die Tierchen im Titel. ◊ ◊ ◊
Isabel Pin: Die Geschichte vom kleinen Loch Pappbilderbücher heißen viele der Bücher von Isabel Pin. Das sind diese kleineren, handlichen, häufig quadratischen Büchlein aus festem, richtig robustem Pappkarton. Eben genau das Richtige für erste eigene Lese-, eigentlich ja eher Umblättererfahrungen. Schließlich ist es mit der Motorik noch nicht ganz so weit her. Wo aber die meisten dieser Bücher einer Fehleinschätzung auferlegen sind, handelt es sich um den wichtigsten Punkt: die Ästhetik. Es scheint noch immer die Meinung vorzuherrschen, dass künstlerisch anspruchsvolle Bilder nichts für kleine Kinder sind. Wer das denkt, der ist bei diesem Buch richtig aufgehoben, denn es wird ihn eines besseren belehren! „Die Geschichte vom kleinen Loch“ ist eine Reise durch das Buch, man kommt sich vor, als würde man der Spur eines Bücherwurms durch die Seiten hindurch folgen. Schon auf dem Umschlag ist ein Loch – und in jeder weiteren Seite auch. Immer eine Nummer kleiner. Doch welches Loch ist gemeint? Das auf dem Mond oder der Krater des Vulkans? Kleiner und immer kleiner geht’s durch die Löcher, durch das Schlüsselloch, das Loch im Hosenbein, ... Dabei beschränken sich Pins Bilder immer nur auf Details. Ihre Seitengemälde aus Gouache lassen den ungeübten Blick nicht hektisch hin und her schweifen, sondern zeigen ihm nur, was er für den Moment braucht. Und ganz nebenbei wird man vom Loch in der Seitenmitte immer tiefer hineingezogen. ◊ ◊ ◊
Martin Karau und Katja Wehner: Der Panther im Paradies Wenn es für Tiere auch ein Paradies gibt, wie würde dieses wohl aussehen? Würde dort der eherne Grundsatz survival of the fittest genauso weitergelten wie „fressen oder gefressen werden“? Das wäre für die meisten Gattungen reichlich unparadiesisch. Das dachte sich wohl auch Martin Karau, als er den Panther in die Nachwelt schickte. Dort gilt nämlich: „wir essen einander nicht!“ und auch nicht die Wärter. Da muss man sich ganz schön umgewöhnen: „Was soll das sein?“ „Tofu-Antilope“, sagte der Löwe. „Wieso rennt sie nicht weg?“ „Sie wird aus Bohnen hergestellt.“ So kann das natürlich nicht angehen, schließlich lauert, jagt und kämpft ein Panther mit seiner Beute. Ärger ist da vorprogrammiert und als der Panther eines Morgens dann löffelförmige Ohren und lange Schneidezähne hat, fängt die Sache an, richtig komisch zu werden. Katja Wehner setzt diese Komik in ihren Bildern ganz wunderbar naiv um. Etwa wenn das Zebra vermisst wird und ein gestreifter Panther inmitten des poppig bunten Paradieses einen auf Unschuldslamm macht. Martin Karaus stellt die Frage nach der individuellen Freiheit regelrecht fabelhaft in seiner Geschichte. Wie ist das denn, mit der Einheitsnorm und der Uniformität? Doch wohl sehr einschränkend. Kein Wunder auch, dass Wehner das Paradies im ersten Bild als eingemauertes Areal malt. Friede, Freude, Eierkuchen von oben verordnet vertreibt dann auch den Panther aus dem Paradies. Dann doch lieber „jedem Tierchen sein Pläsierchen!“ ◊ ◊ ◊ |
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