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16. Juli 2009 | Robert Mießner für satt.org |
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König ohne LandZwischen Savile Row und Death Row bewegt sich Sebastian Horsley in »Dandy in der Unterwelt«. Jetzt stellt er sein Buch in Berlin und München vor. Dieses Buch darf unter keinen Umständen in die falschen Hände gelangen. Es preist die Ausschweifung, führt in echte Paläste, künstliche Paradiese und in die Gosse. Es enthält Sätze und Szenen, die so komisch wie traurig sind. Wie alle guten Bücher ist es gefährlich, wie alle unmoralischen hat es eine Moral. Pfundwette, dass sein Verfasser letzteres bezweifeln würde. Sebastian Horsley, Jahrgang 1962, geboren in Hull und mittlerweile in London lebend, hat seine Autobiographie geschrieben* und erzählt, wie er Künstler wurde. Nicht etwa, weil er eine Bestimmung hat. Nein, der Grund ist viel banaler: »Kunst bringt kein Geld, doch die Arbeitszeiten sind vertretbar.« Wie sagte Charles Baudelaire, die Muse Horsleys, in »Mein entblößtes Herz«: »Was mich groß gemacht hat, war zum Teil der Müßiggang.« Dem widmet sich Horsley über weite Strecken seines Buches – nicht der Wertschöpfung, sondern der Wertvernichtung. Sein Vater, Nicholas Horsley, war Millionär und Vorstandsvorsitzender des britischen Nahrungsmittelherstellers Northern Food. Der alte Herr war dem Alkohol verfallen ebenso wie auch die Mutter. Horsley scheint seine Eltern selten nüchtern erlebt zu haben. Innerhalb eines Jahres bringt er 100 000 Pfund durch, wobei nicht ganz klar ist, ob er nur seine Ausgaben für horrende Mengen Crack zusammenrechnet oder auch die unzähligen Huren mitbedenkt. Dass er seine Garderobe nicht bei Woolworth erstand, sollte sowieso klar sein. Horsley präsentiert sich als Dandy. Als Mensch also, dem es nach Baudelaire ununterbrochen darum gehen müsse, »erhaben zu sein. Er muss leben und schlafen vor einem Spiegel«. Zumindest eine Hälfte davon wird Horsley verinnerlicht haben, wobei es ihm mit der Erhabenheit nicht immer glücken will und er das eventuell auch anders sehen dürfte. Ansonsten geht er schon als echter Dandy durch (den Titel des Buches hat er bei seinem Idol Marc Bolan abgeguckt). Horsley verkörpert den in schönen Schein gewandelten Schmerz, den Biss, die Ironie, das Uneindeutige, den Flirt mit dem Abgrund. Warum er nie richtig verrückt wurde, fragt er sich an einer Stelle, und antwortet: »Statt dessen verbrachte ich mein Leben zwischen Savile Row und Death Row, versuchte, Eitelkeit und Wahnsinn auszubalancieren und wanderte ziellos umher wie der König ohne Land, der ich nun einmal bin.«
Erwarte jetzt niemand, dass dies ein Buch im Plauderton ist. Horsley weiß mehr zu erzählen als von Herrenausstattern und Rotlichtmilieu. »Seine Versuche, ein anderer zu werden, sind von epischer Qualität«, meint Nick Cave**, der im Buch übrigens zweimal vorkommt. Wenn Horsley von der Landschaft seiner Kindheit schreibt, dann ist er ganz groß und verrät den Maler, der er ist. Wenn er sich an den Eindruck erinnert, den die Sex Pistols auf ihn gemacht haben, wird Punk plastisch: »Johnny Rotten war der in Finsbury Park wiedergeborene Rimbaud.« Er hat sich selbst als Musiker versucht, durfte vor den Adverts und Joy Division auf der Bühne stehen und ist dabei grandios gescheitert. »Man hatte mir das Ende der Welt versprochen, als ich ein kleiner Junge war, und ich war sehr enttäuscht, dass dieses Versprechen nicht gehalten worden war«, schreibt Horsley an einer Stelle. Fast wörtlich dasselbe sagt Charlotte Pressler in Jon Savages »England’s Dreaming« über das Cleveland von Pere Ubu und den Electric Eels. Da muss etwas in der Luft gelegen haben. Eine Atmosphäre von Entgrenzung, die in Selbstzerstörung umschlagen konnte. Horsley schildert eine alkoholgeschwängerte Affäre mit Jimmy Boyle, dem schottischen Gangster, der selbst zum Künstler wurde. Boyle sei sich vorgekommen wie in seinem Lieblingsfilm, »Es war einmal in Amerika« von Sergio Leone, meint Horsley. Er beschreibt seine Arbeit an der Börse und lässt durchblicken, wie nahe Broker und Junkies miteinander verwandt sind. Horsley, auch das würde er wahrscheinlich weit von sich weisen, ist ehrlich. Als zum Ende der Lack ab und die Party vorbei ist, kann die Lektüre körperlich wehtun. Es gibt Dinge, die will man nicht so genau wissen. Und damit ist nicht nur seine wohl berühmteste Aktion, die freiwillige Kreuzigung des Künstlers auf den Philippinen, gemeint. Dann aber ist »Dandy in der Unterwelt« wie Oscar Wildes »Das Bildnis des Dorian Gray« ein Buch, das, einmal gelesen, immer wieder aufgeschlagen werden kann. Es finden sich Sätze für jede Lebenslage darin. Trost für vom Mathematikunterricht Geschädigte zum Beispiel: »Ich musste noch nie zu einem Formelbuch greifen, um zu wissen, was ich meinem Dealer schulde«. Dem Dandy wird ein Hang zum Konservatismus nachgesagt, doch meint Horsley: »Sozialismus bedeutet – für mich – die breitere Verteilung von Räucherlachs, Kaviar und Champagner.« Warum auch sich mit der grauen Wirklichkeit begnügen? »Wenn zwischen Illusion und Wirklichkeit Krieg herrscht, dann sollte man der Wirklichkeit nahe legen, taktvoll zu kapitulieren.«
(Erstveröffentlichung in: junge Welt vom 10.06.2009, Beilage literatur. Für satt.org aktualisiert.) |
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