Späte Lieder, frühe Wut
Baby Dee macht Musik für dreibeinige Katzen. David Tibet erinnert sich an das abgründige Frühwerk von Current 93. Jetzt kommen beide nach Berlin.
Baby Dee war ein Mann, ist jetzt Frau, hat unter anderem als Zirkuskünstlerin und Baumkletterin ihr Geld verdient. Sie ist auf einem gigantischen Dreirad durch New York gefahren und hat frisch Verliebten Lieder auf der Harfe vorgetragen. Das sperrige Instrument war auf dem fahrbaren Untersatz fixiert. Harfe spielte sie auch, als sie im Bärenkostüm den Central Park bespielte. Leicht könnte man in Baby Dee eine Vertreterin des neuen Weird Folk sehen. Skurril genug sind ihre Songs. Sie singt zumeist in Falsett. Nur, sie mag das Etikett ganz und gar nicht. Deshalb sei an dieser Stelle einfach gesagt: Baby Dee macht Musik zwischen Tom Waits und Current 93 (mit denen sie mittlerweile Platten aufnimmt und Konzerte bestreitet), eine Mischung aus amerikanischem und europäischem Kulturgut, aus Kabarett und Chanson. Manchmal klingt sie exzentrisch, manchmal zerbrechlich. Es ist dies eine sehr aufrichtige und dabei sehr unterhaltsame Musik. Sie hat spät begonnen, eigene Songs zu schreiben. Vor »Safe Inside The Day«, ihrem jüngsten Studioalbum, hatte sie fast Angst. Im Nachhinein unbegründet, ist es doch sehr schön geworden.
Vom Cover schaut einen eine schwarze Katze an. Im Booklet begegnet sie uns noch zweimal. Eines der wunderbaren Instrumentals, die zwischen die Songs gestreut sind, heißt »A Christmas Jig For A Three Legged Cat«. Man sieht das Pfotentier förmlich um den Weihnachtsbaum tanzen. Die Fotos zum Album sind in warmes Licht getaucht. Baby Dee ist um ihr Haus zu beneiden. Es ist das ihrer Eltern, die sie vor dem Tod pflegte. Vieles auf »Safe Inside The Day« klingt nach Stille und Einkehr. Aber nicht alles. Auf das berührende »Flowers On The Tracks« folgt »The Dance Of Diminishing Possibilities«. Ein fast schon ruppiger Tanz ist das, mit Baby Dee am Piano, dem ersten Instrument, das sie erlernte, und ihrer Harfe, dazu ihre handverlesenen Musiker, Bonnie 'Prince' Billy, Lia Kessel, Matt Sweney, Andrew WK, Max Moston, Bill Breeze und John Contreras an Banjo, Gitarre, Bass, Schlagzeug, Violine, Viola und Cello. Nahezu rabaukenhaft klingt »The Earlie King«, ihre Version von Goethes »Erlkönig«. Das zarte »You’ll Find Your Footing« beschließt ein Album, mit dem klar wird, dass Baby Dee nicht umsonst als Chorleiterin gearbeitet und Kirchenlieder gesammelt hat.
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Baby Dee |
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David Tibet |
Fotos: Simona Dalla Valle Venedig 2005 |
David Tibet war Okkultist und Buddhist, hat sich für Aleister Crowley und nordische Mythologie interessiert und ist jetzt Christ. Er studiert Koptisch, die Sprache der frühen Christen, und bereist dafür Ägypten. Seinen Wohnsitz will er von Südengland nach Russland und Indien verlegen, heißt es. Alles nicht unbedingt das, was man so einfach von einem Musiker erwartet. Current 93, jenes schillernde Kollektiv aus Lichtsuchern und Nachtschattengewächsen, das er 1983 in London gründete, wird gelegentlich als einer der Vorgänger des neuen Folk bezeichnet. Das ist so falsch nicht und stimmt sicher für Platten wie »Thunder Perfect Mind« (1992), »Of Ruine Or Some Blazing Starre« (1994) oder »All The Pretty Horses« (Theinmostlight, 1996). Allerdings wird dieser Folk immer wieder von unheimlichen Störgeräuschen aller Art durchbrochen, so zuletzt auf »Black Ships Ate The Sky« (2006), dem Album, für das die Current 93-Familie Gäste wie Marc Almond, Bonnie 'Prince' Billy, Shirley Collins, Antony Hegarty und Cosey Fanni Tutti empfing. Einige dieser Noiseschnipsel stammen aus den finstersten Alpträumen. Und es gab mal eine Zeit, da füllten Current 93 damit ganze Platten.
Current 93 in Berlin:
- 13. April 2008, Volksbühne (Großes Haus), Rosa -Luxemburg Platz (+Skitliv)
- 14. April 2008, Volksbühne (Großes Haus), Rosa-Luxemburg-Platz (+Hush Arbours)
Baby Dee in Berlin:
- 15. April 2008, Volksbühne (Roter Salon)
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»Nature Unveiled« (1983), ihr Debüt, und »Dogs Blood Rising« (1984) sind zwei davon. Sie wurden jetzt wiederveröffentlicht, die ersten 1.000 Exemplare kommen mit je einem Remix des Albums von Andrew Liles. Vorneweg, wer an Current 93 ausschließlich das Folkelement liebt, sollte sich ihnen mit äußerster Vorsicht nähern. Die Musik auf beiden Platten zählt mit Abstand zum Extremsten, was das Industrial-Genre, als noch von einem solchen gesprochen werden konnte, hervorgebracht hat. Es ist Musik der weitestgehenden Dekonditionierung, der völligen Entfremdung. Warm klingt hier nichts, eher kalt und schneidend. Stimmen rufen aus der tiefsten Unterwelt, werden verlangsamt abgespielt und verfremdet. Dazu gibt es jede Menge Hall, Kirchenchöre, Perkussion. Songs im klassischen Sinne sind eine Fehlanzeige. Die beiden Tracks auf »Nature Unveiled« beanspruchen je eine Plattenseite. David Tibet sprach zu dieser Zeit von Musik zum Weltuntergang. Man beachte die Zeit, in der diese beiden großartigen und furchteinflößenden Alben entstanden. »Dogs Blood Rising« ist das etwas ausgefeiltere der zwei, Steve Ignorant von Crass gibt den Gastsänger auf dem psychedelischen, vierzehnminütigem »Falling Back In Fields of Rape«. Es ist nicht die Faulheit des Rezensenten, dass diese beiden Alben gemeinsam besprochen werden. Sie gehören einfach zusammen. Wer sie hintereinander hören kann, kommt wahrlich in den Garten.
» www.babydee.org
» myspace.com/theonlybabydee
» brainwashed.com/c93
» www.durtro.com