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März 2001
Jochen Müter
für satt.org


Alexander Veljanov:
The Sweet Life
Motor Music/Universal


Alexander Veljanov: Fly Away. Die Vorabmaxi erscheint am 26. März 2001.


11 Titel | 49:22


sattLINK:
Interview

Mehr zu Herrn Veljanov:
www.veljanov.nl

Gefangen in schwarzen Ketten



Sorry, Rezensionen sind eigentlich nicht dazu da, um persönliche Geschichten loszuwerden, sich selbst zu profilieren und dabei den Großkotz raushängen zu lassen. Aber als das neue Veljanov-Album taufrisch auf meinen Schreibtisch flatterte, fiel mir doch eine meiner Promi-Lieblingsgeschichten ein. Herr Veljanov persönlich saß mir mal Anno Zwiebel in einem Bochumer Seniorencafe gegenüber. Eine ganze Truppe illustrer Gäste war an dem Tag von der von mir sehr geschätzten Plattenfirma CHROM-Records dort zum gemeinsamen Kaffeeklatsch geladen worden. Alexander Veljanov und ich hatten beide Apfelkuchen auf dem Teller liegen; wir löffelten brav und schweigsam vor uns hin, betrachteten uns ängstlich und voller Demut. Ich war demütig, weil er doch seinerzeit mit "Love me to the end" ein grandioses Liebeslied gesungen hatte; er war wohl demütig, weil meine Band Stendal Blast als Enfant terrible (oder horrible) der Szene galt und alle wußten, daß wir böse sind. Jedenfalls geschah es, daß ich in einem Anflug von Einfall mit vollem Mund etwas zum Besten gab; bereits beim ersten Wort spratzte ein kleines, aber nicht winziges Stück durchweichten Apfelkuchens aus meiner Schnute. Ich sah es fliegen, in einem hohen Bogen über den Tisch, direkt auf Alexander Veljanov zu. Ich fürchtete, es würde auf seinem Seidenhemd landen; bestenfalls würde er es nicht bemerken. Aber nein, weit gefehlt: Das Stückchen Kuchensabber landete punktgenau auf seiner Gabel, die, bereits mit einem Stückchen Kuchen gefüllt, Richtung Mund unterwegs war. Ich sah es landen. Mein Warnschrei blieb mir im Halse stecken, denn Herr Veljanov aus Berlin versenkte im gleichen Augenblick die Gabel in seinem Sängermund …

Immer schön sauber bleiben, Herr Veljanov.Tja, jetzt ist es raus. Ich habe dem Deine-Lakaien-Sänger auf die Gabel gespuckt und er hat es gegessen. So spielt das Leben manchmal; ich hoffe sehr, es hat ihm nicht geschadet.

Daß es ihn nicht davon abgehalten hat, ganz fantastische Musik zu machen, ist allein durch sein neues Soloalbum "The sweet life" bewiesen. Ich möchte hier die Welt nicht wieder in Gruftie-Musik und Nicht-Gruftie-Musik teilen; es wäre absolut unpassend, die gefräßige Gruftie-Welt auch noch dahingehend zu unterstützen, daß man bei diesem Album nun von "Dark Wave" oder "Gothic" sprechen würde. Die sogenannte "schwarze Szene" (das meint aber nicht die "Autonomen") vereinnahmt gerne alles, was ein bißchen schwermütig ist; das gibt dann den sogennaten "Gruftie-Stempel" und aus ist es mit dem Wunsch des Künstlers, anständig von seiner Musik existieren zu können. Alexander Veljanov bietet auf seinem Album weit mehr als irgendwelche klischeehaften Plattitüden; hier darf die rothaarige Krankenschwester genauso ins Schwärmen geraten wie Mami und Papi, wenn sie mal wieder romantisch Knuddeln wollen.

Doch wenden wir uns mal den harten Fakten zu: Musikalisch ist dieses Album letztendlich nur in die Kategorie "Uneinkategorisierbar" einzukategorisieren. Es findet sich von der Ethno-Pop-Ballade "The sweet life" bis zum rockig orientierten "Fly away" und zur Coverversion "Das Lied vom einsamen Mädchen" im Derrik-Ambiente eine dicke Bandbreite an musikalischen Fähigkeiten; zusammengehalten von Veljanovs unverkennbarer, melancholischer, schwerer, äußerst angenehmer Stimme und wunderbar einfühlsam von Dave Young produziert, der (und jetzt hauen wir mal auf die Kacke!) schon mit David Bowie, den Pointer Sisters (wow wow wow!!) und John Cale zusammengearbeitet hat.

Alexander Veljanov behauptet sich mit seinem neuen Album zweifelsohne als Unterhaltungskünstler der besonderen Art! Es dürfte ihm keineswegs um die Neuerfindung der Popmusik gehen, auch nicht um ein epochales Kunstprodukt oder die besondere Message - es geht ihm um die kleine melancholische Abendgestaltung, um die Lust, ein bißchen traurig zu sein. Und er schenkt der Welt eine Platte, während der man durchaus und voller Vergnügen das ein oder andere Tränchen vergießen darf. Das befreit und reinigt die Augen!