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März 2001
Jochen Müter
für satt.org


Jochen Müter im Gespräch mit Alexander Veljanov, der nicht nur Sänger der Formation DEINE LAKAIEN ist, sondern derzeit mal wieder auf Solopfaden wandelt

Ein Telefongespräch vom 21.03.2001



sattLINK:
Alexander Veljanov: The Sweet Life

Mehr zu Herrn Veljanov:
www.veljanov.nl

Alexander Veljanov: 1994

Alexander: Was seid Ihr denn für ein Online-Magazin?

Jochen: Wir machen so auf Kultur. Moderne Kunst, Literatur, Comics und natürlich auch Musik. Ist ein bißchen wie der Spiegel …(muß lachen). Okay, ich habe hier die Technik nicht im Griff. Kannst Du mal was sagen?

Alexander: Hm …klar …hallo?

Jochen: Sagst Du nochmal was?

Alexander: Einen wunderschönen …

Jochen: Das müßte klappen jetzt. Gut, was uns als erstes interessiert, also sozusagen aus erster Hand, sind die Vorkommnisse in Mazedonien, Deinem Heimatland. Kannst Du uns das mal aus Deiner Sicht erläutern?

Alexander: Ich denke, das Ganze ist eine logische Folge der Politik, die während des Kosovo-Konfliktes seitens der NATO durchgeführt wurde. Man konnte nicht einfach die Augen zudrücken und Waffen ins Land liefern lassen; die Grenzen waren völlig offen, obwohl die KFOR dazu da war, alles zu kontrollieren. Albaner versuchen, auf mazedonischem Territorium einen autonomen Staat zu gründen. Stellt Euch vor, jetzt mal ganz platt, die Schweizer würden alle raus aus der Schweiz nach Baden, in die Pfalz oder nach Bayern und würden sagen: So, jetzt wird Schweizerdeutsch hier Amtssprache!

Jochen: Was befürchtest Du konkret?

Alexander: Bürgerkrieg, also wirklich. Sowas wie in Irland. Oder sowas wie in Spanien. Leider ist die Geschichte Mazedoniens hier gänzlich unbekannt; und sie ist auch sehr kompliziert. Es wurde nie wirklich versucht, die Vergangenheit aufzuarbeiten …und somit brechen alte Konflikte immer wieder auf.

Jochen: Was verbindest Du mit Mazedonien? Ist das Heimat?

Alexander: Vom Gefühl her ist es meine Heimat; man wird da in den ersten Lebensjahren eben geprägt. Natürlich bin ich Deutscher: Ich denke in Deutsch, ich bin hier zur Schule gegangen. Aber immer geht mir Musik aus Südosteuropa in Mark und Bein …mit deutscher traditioneller Musik verbinde ich null Gefühle. Es ist aber schwer, eine Balance zu finden, deswegen definiere ich mich als Europäer.

Jochen: Siehst Du Mazedonien bald als Bestandteil des politischen Europas?

Alexander: Überhaupt nicht. Es ist leider kein Bestandteil und steht auf der Warteliste irgendwo auf dem letzten Platz. Es wäre aber wünschenswert - auch wirtschaftlich - wenn das geografische Europa auch das politische Europa würde. Aber man muß natürlich erstmal all diese politischen und geschichtlichen Probleme ordentlich aufarbeiten. Man muß jeden Terror und jede terroristische Ströumg eleminieren. Terror geht nicht Außer natürlich - und das wäre bitter - er wird weiterhin von den großen, dominanten Staaten aus eigenem Interesse heraus geduldet.

Jochen: Eleminieren bedeutet aber auch Gewaltanwendung …

Alexander: Ich weiß nicht, ob es so schwierig ist, 200 - 500 Leute zu entwaffnen. Das ist die Größe einer terroristischen Urzelle. Es muß natürlich verhindert werden, daß 500.000 Leute mobilisiert werden. Ich verstehe auch bis heute nicht, was diese KFOR-Soldaten da unten eigentlich machen, außer Rumvögeln und sich besaufen.

Veljanov und Lakeien: 1999Jochen: Du hattest bereits mit Deiner Band Run Run Vanguard Soloerfahrung; dies ist jetzt Dein zweites Soloalbum unter Deinem Namen. Was bedeutet Dir das autonome Musizieren? Anders gefragt: Wirst Du bei "Deine Lakaien" unterdrückt?

Alexander: (lacht) Unterdrückung ist natürlich falsch. "Deine Lakaien", also Ernst Horn und ich, arbeiten seit vielen Jahren zusammen; es ist immer wieder ein Kampf, die eigenen Interessen durchzusetzen. Aber das macht das Projekt auch spannend und wahrscheinlich auch deswegen so erfolgreich.

Jochen: Letztendlich arbeitest Du auch bei Deinen Soloprojekten mit Produzenten zusammen, die die Tasten schwingen können. Stell Dir vor, Motor Music würde Dich alleine in ein Studio einsperren bei Wasser und Brot: Wie klänge die Musik?

Alexander: Gar nicht! Da würde gar nichts bei rauskommen

Jochen: David Young dürfte ja nun ein über die Maße erfahrener Produzent sein; wie war das gemeinsame Arbeiten?

Alexander: Das war sehr positiv. Wir kennen uns lange, kennen uns privat sehr gut und wollten zusammen Songs schreiben.

Jochen: Ist das eine Freundschaftsproduktion?

Alexander: Genau.

Jochen: Ging das Hand in Hand oder gab es Streit?

Alexander: Eigentlich Hand in Hand, obwohl gewisse Differenzen nie auszuklammern sind. Das ist auch wichtig, daß man die ausdiskutiert. Die Chemie dafür hat gestimmt.

Jochen: Fühlst Du Dich manchmal als Berufsjugendlicher?

Alexander: Wenn man die Dreißig überschritten hat, dann muß man sich schon manchmal fragen: Was soll das eigentlich alles? Auf der Bühne immer noch …

Jochen: …den Kasper zu machen?!

Alexander: Ja, genau. Man stellt sich doch in Frage. Es gibt soviele erschreckende Beispiele von alten Männern, die noch auf der Bühne stehen.

Jochen: Auf Deinem Album-Cover sieht man Dich im Future-Look mit einer Art Hyperspace-Brille. Unter Dir müßte sich nur noch ein silbernes Antigravitationssurfbrett befinden. Was sind Deine Werte von Morgen?

Alexander: Meine Werte von Morgen …? Die Werte werden sich trotz aller Verpackung nicht ändern - ich bin da eher konservativ. In der Concorde zu sitzen und sich am Laptop eine Kurzgeschichte aus den Ärmeln zu quetschen ist genau das gleiche wie früher im Zug zu sitzen und mit einer kleinen Reiseschreibmaschine zu arbeiten. Es geht um die ewig gleichen Fragen: Warum sind wir? Warum hat uns keiner gefragt?

Jochen:Als Kind oder Fan geht man davon aus, daß seine Helden sich nie mit profanen Dingen beschäftigen. Ich zum Beispiel glaube bis heute nicht, daß der Papst Stuhlgang hat. Was sind denn die profanen Dinge in Deinem Leben?

Alexander: Daß ich mich immer wieder ärgere, daß der Einkauf, aus dem ich mir was Schönes kochen wollte, aufgrund von Zeitmangel verschimmelt ist …

Jochen: Dein Album heißt The Sweet Live: Was wäre denn "süßes Leben" für Dich?

Alexander: Das beinhaltet alles! Vor allem die tagtägliche Bereitschaft, alles was das Leben bitter macht, wegzukippen. Im Grunde ist ja das Leben wunderbar - es gibt ja keine Alternative. Unser Auftrag ist es, zu suchen, zu finden, und das dann auch weiterzugeben.

Jochen: Wo stehst Du in diesem Prozeß?

Alexander: Ich bin vom Kind zum Vater geworden; dazwischen gibt es ja nichts. Und ich empfinde den Auftrag, das, was ich gefunden habe, an mein Kind weiterzugeben.

Jochen: Findest Du diesen Spannungsbogen nicht etwas klein?

Alexander: Nein, es ist die größte Herausforderung schlechthin.

Jochen: Naja, ich bin halt noch kein Vater …

Alexander: Es gibt nur zwei Dinge im Leben, die Dir gegeben werden: Deine biologischen Verwandten, die Du Dir nicht aussuchen kannst; und die biologischen Verwandten, die Du Dir machen kannst … Pech ist nur, wenn in denen genau das drin ist, was Du an Deinem Großonkel gehaßt hast. Dummerweise hast Du diesen Verstand, den Du Dir entweder wegmachen kannst durch hartes Training, oder Du versuchst ihn zu schärfen als Waffe gegen die Allmacht des Schicksals.

Jochen: Hartes Training heißt forcierter Alkoholabusus und heftiger Drogenmißbrauch …?!

Alexander: Damit kann man seinen Verstand allerdings kleinmachen …

Jochen: Gab es solche Phasen bei Dir?

Alexander: Sicher! Man will ja ein Mann mit Eigenschaften sein; und wenn man merkt, daß einem diese Eigenschaften eigentlich im Wege stehen, dann versucht man, sich da auszuklinken oder noch mehr abzugrenzen.

Veljanov: 1992Jochen: War das eine Zeit, in der Du einen Zug eher unter dem Gesichtspunkt "Da kann man sich vorwerfen!" als unter dem Gesichtspunkt einer Italien-Reise gesehen hast?

Alexander: Nee, keine Suizidanwandlungen. Ich war eher immer wütend oder extrem melancholisch. Entweder habe ich wütend im Proberaum rumgeschrien oder zuhause Baudelaire gelesen. Selbst eine Nico, die wahrscheinlich niemals die mentale Kraft gehabt hat, etwas Substantielles abzuliefern, hatte die seltsame Gabe, mich zu rühren, nicht bloß Mitleid, sondern Gedanken zu erzeugen.

Jochen: Versuchst Du auf Deinem Album Kraft durch Melancholie zu vermitteln?

Alexander: Ja. Auch die Kraft, die ich während der Produktion - woher auch immer - bekommen habe. Ich empfinde das Album als entspannt und dennoch energiegeladen.

Jochen: Persönlich habe ich erst vor kurzem mal in NAPSTER reingeguckt; natürlich gab es fast alles von DEINE LAKAIEN zum kostenlosen Download. Wie bewertest Du die Spannungssituation zwischen Internet und Musikherstellern?

Alexander: Die Musikindustrie muß sich ganz einfach was einfallen lassen. Sie muß akzeptieren, daß sich die Art und Weise, wie man Musik vermarktet, verändert. Wir haben damals auch Platten ausgeliehen und sie auf Kassetten aufgenommen, weil man konnte sich von 50 Mark Taschengeld im Monat keine LPs kaufen. Heute ist es ähnlich - die Jungs und Mädels haben ja nicht die Möglichkeit, sich alles zu kaufen. Ich finde es legitim, solange es nicht organisiert kriminell wird.

Jochen: Aber das, was Du beskommst, steht doch eh schon in keinem Verhältnis zu dem, was die Plattenfirma bekommt.

Alexander: Man muß mal überlegen: Es gibt Fälle, und die sind nicht so selten, da bekommen die Künstler vom Preis der CD nichtmal 10 Pfennig. Natürlich gibt es auch welche, die mehr kriegen. Aber keiner deutlich über 5 Mark, außer man heißt Madonna. Und wo bleiben jetzt diese anderen 28 Mark?

Jochen: Das Video, das 100.000 Mark kostet, die Print-Anzeigen für 40.000 Mark …

Alexander: Wenn ich mir die ECHO-Verleihung angucke, weiß ich, wo das Geld bleibt.

Jochen: Wo denn?

Alexander: Bei all diesen Veranstaltungen, wo sich Massen von irgendwelchen Langweilern und Möchtegern-Fuzzies nächtelang Champagner und Koks hinter die Binde kippen und schnupfen …

Jochen: Starke Worte, aber Du warst auch da …

Alexander: Ja, klar.

Jochen: Was hast Du da gemacht?

Alexander: Leute kennengelernt, mich umgeguckt, ich war fasziniert und angeekelt zugleich. Und ich habe mich als Künstler innerlich verdammt aufgewertet. Leute mit Substanz können sich trotz dieser Oberflächlichkeit durchaus ihren Platz erkämpfen. Ich habe mich während der Verleihung gefragt: Sag mal, wo würden die Dich eigentlich einordnen oder die Lakaien - wohlmöglich unter "Klassik-Crossover", was die allerbitterste Kategorie gewesen wäre.Die schlimmste Kategorie, wirklich.

Jochen: "Klassik-Crossover" hat es gegeben?

Alexander: Das hat es gegeben! Helmut Lotti hat gewonnen … Entweder beschürzte Mädchen mit dicken Titten, die Geige spielen können oder so tun als ob, oder irgendwelche Schwiegersöhnchen, die folkloristisch irgendwelche Opernmelodien aufgreifen und diese mit Traditionals mischen, gewinnen diese Kategorie. Ein Horror! Dazwischen nur noch Komiker und Sprachterroristen, die teilweise mehr verkaufen als echte Musiker.

Jochen: Als Internet-Kulturmagazin müssen wir grundsätzlich eine Frage stellen, die sich auf Thomas-Mann-Niveau befindet. Ist für Dich der Durchbruch körperlicher Leidenschaft das Ende von Vergötterung und Sehnsucht?

Alexander: Der Durchbruch körperlicher Leidenschaft (leise) … Naja, Begierde, die unkörperlich ist oder immer kurz davor bleibt, kann sich so sehr hochschrauben in eine Idealisierung von Leidenschaft, daß dann die tatsächliche Umsetzung meistens eigentlich nur enttäuschend sein kann.

Jochen: Das Profane kehrt zurück?!

Alexander: Ist das Animalische immer profan?

Jochen: Nein, aber das Wesen, das ich vergöttere, liegt pupsend neben mir im Ehebett.

Alexander: So kann es kommen …Aber es soll ja Menschen geben, die durchaus in der geistigen Auseinandersetzung ein ungeheures Glücksgefühl erleben.

Jochen: Das kennst Du aber nicht?!

Alexander: Ich bin ja schön, weißt Du … Durchaus kann aber ein Knackarsch nach drei Monaten seinen Reiz verlieren, aber eine Knack-Seele und ein Knack-Verstand kann ihn behalten.