(Popup Leipzig
8. - 11. Mai 2003
Ehrlichkeit und Begeisterung
Zum zweiten mal fand in Leipzig die (Popup statt – keine Businessmesse im üblichen Sinn, sondern eine kleine Werkschau der "Independent-Popkultur". Nicht auf dem schicken neuen Messegelände, sondern im Werk II, einem für Veranstaltungen genutzten Fabrikgebäude in Leipzigs wildem Süden, dem Stadtteil Connewitz, versammelten sich rund 70 Aussteller: Labels, Fanzines, alternative Radiosender und Merchandisevertriebe – präsentiert von Spex und De:Bug, um gleich mal zwei bekannte Namen ins Gespräch zu bringen. (Popup Leipzig kommt daher wie ein Indie-Festival, nur dass es an den Ständen keinen Silberschmuck und keine Filzhüte zu kaufen gibt. Hier präsentieren Kitty-Yo, What's So Funny About, Buback, Rewika, Ladomat, City Slang, Monika Enterprises und viele andere ihre kleine feine Produktpalette. Obwohl die Messe in diesem Jahr ausgebucht war, wurde in und um Leipzig herum eher bescheiden Werbung gemacht. Wer nicht wissen wollte, dass (Popup ist, hat's auch nicht erfahren.
Die Atmosphäre ist locker, freundlich und angenehm uncool. Überall wird geplaudert und bei Swamp Room Records aus Berlin gibt's bereits morgens um 11:00 französischen Rotwein. Allerdings steht dort schon recht bald nur noch ein Schild am Stand: "Bedient Euch – alles zum Mitnehmen". Das lassen wir (meine Freundin Gaby und ich) uns nicht zweimal sagen, futtern die letzten Nachos aus der Salatschüssel und decken uns mit Trolli-Glotzaugen-Bonbons ein. Das liebe ich ja an Messen: den ganze Schnickschnack zum Mitnehmen und die Knabbereien, die dazu beitragen sollen, die betreffende Firma beim nächsten Konsumrausch zu berücksichtigen. Beim Rumstromern erfahren wir unter anderem, dass Alphaville (JA! Big in Japan, die deutschen Gruselstars der Achtziger!) bei einem Independent-Label untergekommen sind. Kleine Firmen sind halt doch toleranter als die Industrie, das wird auch durch solch seltsame Programmentscheidungen klar. Wir gewinnen CDs beim Tippkick und Bleistifte beim Fädenziehen – die Standcrews lassen sich wirklich was einfallen!
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Trotz des bescheidenen Rahmens bietet die (Popup Leipzig alles, was eine Messe braucht, unter anderem auch Podiumsdiskussionen. Die erste soll die Frage beantworten "Wie ehrlich ist der Musikjournalismus?". Zum Diskutieren angetreten ist eine reine Männerrunde: Donis und Tom vom Fanzine "Persona non Grata", Uwe Viehmann, seines Zeichens Chefredakteur von Spex, Guido Bülow vom Campus Radio NRW und Stefan Maelck of DT64-Fame. Der Begriff "Ehrlichkeit" wird hin- und hergewendet, man einigt sich darauf, dass "Begeisterung" das treffendere Wort in Bezug auf Popjournalismus ist oder zumindest vorausgesetzt werden sollte. Ein Interview mit Placebo in der letzten Spex ist Aufhänger dafür, Uwe Viehmann versuchsweise für Ausverkauf und Industrie-Gebundenheit zu dissen (dieser Vorwurf kommt ausgerechnet von jemandem, der seine Brötchen bei Sony Music verdient). Das Placebo-Interview ist ein wenig schwammig geraten, im selben Heft taucht eine Anzeige für die neue Placebo-Platte auf: ist das Zufall? Ausverkauf? Oder ganz selbstverständlich, wenn eine Band eine CD veröffentlicht UND auf Tour geht? Ist Placebo überhaupt eine Spex-Band oder gehören die nicht eher in die Bravo? Uwe Viehmann schlägt sich wacker und weist darauf hin, dass die hochintellektualisierten Zeiten, die vom Godfather of German Popjournalism, Diedrich Diederichsen bestimmt wurden, vorbei sind. Redaktion und Leserschaft des Spex haben mehrere Metamorphosen hinter sich und sind mittlerweile offen für alle Strömungen des Popbiz. Die Erkenntnis einer der Diskutanten, dass man sich darüber im Klaren sein müsse, dass das Leben der "Leute da draussen" nicht unbedingt ausschliesslich von Popmusik bestimmt wird, sollte das eigene Nerd-Dasein und –handeln ein wenig relativieren. Wir verlassen die Diskussion wegen extrem schlechter Raumluft (obwohl nicht geraucht wird). Etwas später (ziemlich viel später wegen Stau) erklärt Thees Uhlmann, wie man ein Label gründet. Thees spielt seit Jahren bei Tomte, die mit ihrem neuen Album "Hinter all diesen Fenstern" jetzt hoffentlich erfolgreich und berühmt werden, und ist Begründer des Labels "Grand Hotel Van Cleef". GHVC ist ein wenig unerwartet zu Ruhm und Ehre gekommen durch die Veröffentlichung der Kettcar-Platte "Du und wieviel von Deinen Freunden", die sich erstaunlich gut verkauft. Tomte sind im Prinzip immer auf Tournee und sicherlich auch irgendwann in Eurer Nähe. Einfach mal hingehen – Thees und Tomte freuen sich!!
Apropos Auftritte: zu einer Popmusikmesse gehören natürlich die Konzerte!
In allen Leipziger Lieblingsclubs (Hallo Ilse! Hallo Erika!) wird bis in die frühen Morgenstunden getanzt und gerockt. Auf kleinstem Areal – man kann zu Fuß Location-Hopping betreiben – hat man Gelegenheit, alle neuen Independenthoffnungen abzufeiern: Blainbieter, BeigeGT, Virginia Jetzt!; The Robocop Kraus und viele mehr. In der Moritzbastei findet am Freitag abend sogar eine Lesung statt: Pop Word Up lautet das Motto, unter anderen lesen Michael Ebmeyer, Lars Dahms und Sven Amtsberg, der gerade "Das Mädchenbuch" bei Rowohlt veröffentlicht hat und dem eine strahlende Zukunft am deutschen Popliteratenhimmel gewiß ist. Vor zwei Jahren saß er mit seinen Kumpels vom Hamburger Macht-Literaturclub auf der Minibühne von Ilses Erika und es war damals schon sonnenklar, dass aus den Jungs was wird.
Angelika Express
Mondo Fumatore
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Wir haben mindestens zwei neue Lieblingsbands: Angelika Express (Paul Records) und Mondo Fumatore (Rewika), die Samstag Nacht hintereinander in der Halle 5 des Werk II (Ziffern gut merken, schließlich sollt Ihr im nächsten Jahr alle nach Leipzig kommen!) auftraten. Angelika Express sind definitiv die neuen deutschen Superstars und brauchen dazu keinen Dieter Bohlen. Immerhin haben sie sich die Credits eines weniger reichen, aber umso bedeutenderen Paten erworben: auf ihrer LP singt Peter Hein das Stück "Verkaterter Dienstag". Verkatert wirkten AE aber keineswegs, sondern energiegeladen, charmant, entfesselt und immer auf den Punkt – sie sind die Schnittstelle zwischen den Ärzten und Tocotronic, auch wenn Vergleiche immer doof sind und sowieso hinken.
Mondo Fumatore hatten mit diversen technischen Widrigkeiten zu kämpfen, weshalb ihr Auftritt nicht richtig in Schwung kam. Immer wieder mußten sie unterbrechen, mit dem Mixer debattieren, neu anfangen. Dazu kam, dass Gwendolin von starker Heiserkeit geplagt wurde und kaum singen konnte. Dafür entschuldigte sie sich ganz lieb und flüsterte, wie peinlich ihr das doch sei, schließlich hätten wir doch alle bezahlt und jetzt singe sie so schief. Das Duo nahm die Umstände aber mit Humor und das Publikum kam sogar in den Genuß einer Theken-Tanzeinlage von Mondo Marc.
Die (Popup Leipzig hat gezeigt, dass fernab der Major-Musikindustrie der deutsche Underground lebt, nein, blüht und gedeiht und dass man sich trotz aller wirtschaftlichen Schwierigkeiten den Spaß und den Enthusiasmus nicht nehmen läßt.
Und wenn Ihr im nächsten Jahr alle nach Leipzig fahrt, redet bald niemand mehr von der PopKomm. Eine Frage hätte ich da noch (wie Columbo): Wo ist eigentlich der deutsche HipHop? In Leipzig fand er jedenfalls nicht statt.