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Sofie Lichtenstein: Bügeln. Protokolle über geschlechtliche Handlungen


 

Mai 2004
Christina Mohr
für satt.org


(Popup Leipzig
6. - 9. Mai 2004

» (Popup 2003
» www.leipzig-popup.de

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(PopUp 2004

(Popup Leipzig
6. - 9. Mai 2004



Wir sind die Guten!



Ob augenzwinkernde Selbstironie oder schlichte Feststellung: Sieht ganz so aus, als wäre obengenanntes Motto eine ernstzunehmende Warnung an die Majors. Die dritte (Popup-Messe in Leipzig war ein voller Erfolg – alles andere wäre eine Untertreibung. Mehr Aussteller, mehr Bands, mehr Konzerte, mehr Foren, mehr BesucherInnen, mehr mehr mehr …. und trotzdem alles so familiär und locker wie im letzten Jahr! Von Donnerstag bis Sonntag stellten Independent-Labels, Zeitschriften wie SPEX und De:Bug, Konzertveranstalter wie der Schlachthof Wiesbaden und viele Vertriebler, Merchandiser, etc. ihre mit Liebe hergestellten Produkte und Projekte vor – sofern man in diesem Umfeld überhaupt von "Produkten" sprechen möchte. Nach wie vor ist das Selbstgebastelte King (auch bei den Elektro-Leuten) und Glamour überhaupt kein Thema. Alles findet im improvisierten Jugendzentrums-Ambiente mit selbstgemalten Schildchen statt und auch die Musiker sind an Bescheidenheit kaum zu überbieten. Der Typ, der eben noch neben Dir an der Bar ein Bierchen geschlürft hat, kann sich jederzeit eine Gitarre umhängen und auf die Bühne hopsen. Der einzige, der in entfernter Weise eine Definition von "Popstar" liefert, ist Thies Mynter (of Stella-, Superpunk- und Phantom/Ghost-Fame), der in Anzug und Baskenmütze (hoho! gewagt!) doch deutlich aus dem Cargohose- und T-Shirt-Rahmen fällt.

Bei (Popup sind die Chefs noch selbst am Stand: der legendäre Alfred Hilsberg bei What's so funny about/ZickZack, Dirk Darmstädter bei Tapete Records und Uwe Viehmann bei der SPEX. Kontaktaufnahme kein Problem, we are Family!
In den Foren wurden in diesem Jahr vermehrt geschäftliche Themen besprochen, wie z.B. "Existenzgründung im Musikgeschäft", "Vertriebskrise für Indielabels?" oder "Nicht ohne meinen Anwalt? – Was man bei der Vertragsgestaltung beachten sollte". Also keine brotlosen Idealismusprojekte, sondern Business soll ausprobiert werden. Leider waren die Foren zum Teil reine Jungsveranstaltungen- hey Mädels, betrifft Euch das alles nicht? Na ja, vielleicht schreiten die Frauen einfach zur Tat (siehe Chicks on Speed) und die Jungs erzählen gern von dem, was sie tun. Kann ja sein. Die Diskussionsbeiträge zum Thema "Back to the Roots – DIY-Kultur" machten deutlich, dass man, um wirklich unabhängige und selbstgemachte Sachen zu hören oder zu kaufen, schon sehr in einer bestimmten Szene verwurzelt sein muss. Wie sonst wird man auf Platten aufmerksam, die nur auf Konzerten verkauft werden und für die nirgends Werbung gemacht wird? Umso erstaunlicher und bemerkenswerter der Einsatz und Enthusiasmus, der hinter solchen DIY-Projekten steckt, sei es das Hardcorelabel im Keller oder die selbstorganisierten Drum’n’Bass-Nights in leerstehenden Garagen.

Die Konzerte konnte ich mir ja leider nicht alle anschauen, aber eins meiner Highlights war der Auftritt des wunderbaren Jens Friebe, der mit Band spielte und mit seiner Performance nicht so ganz zufrieden war, aber seine großartigen Lieder brauchen vielleicht einen anderen Hintergrund als die prosaische Werk II/Halle 5-Bühne – mehr Glamour eventuell, ich erwähnte es bereits.
Bestimmt noch viel hören wird man von Hidalgo aus Nürnberg (auf Tapete Records), die charmanteste Popmusik mit Chansoneinschlag darbieten – die tolle Sängerin kann klingen wie Björk oder Katharina Franck, nur ohne zu nerven. Für ihren Auftritt holten sich Hidalgo Verstärkung von The Robocop Kraus und unterstrichen so die familiäre Atmosphäre, die bei der (Popup herrscht. Jens Friebe sagte vor seiner Zugabe ins Publikum: "das letzte Lied ist von Bum Khun Cha Youth und es wäre schön, wenn jemand von der Band auf die Bühne käme" – natürlich ist einer da und singt "Wann hast Du eigentlich aufgehört mich zu lieben" mit. Nach Friebe kamen Girls in Hawaii auf die Bühne und verbreiteten gute Laune (inklusive Surfguitar). Die Belgier (eine der wenigen "internationalen" Bands übrigens) erscheinen bei Indigo und werden durchaus zu Recht mit Grandaddy und dEUS verglichen.
Superpunk rocken am Samstag anderthalb Stunden lang besagte Halle fünf und es macht wie immer einen Riesenspass, zum Hanseatensoul der Band zu tanzen, zu schwitzen und Sätze zu brüllen wie "Ich bin kein Ignorant und ich bin kein Idiot" – natürlich nicht, keiner hier!! Die neue Platte "Einmal Superpunk, bitte" kommt bald, ich werde Euch berichten.
Die ausschweifenden Partys in Ilses Erika sind auch ohne (Popup bereits legendär, leider mußte ich am Samstag die Hazelwood-Night um vier Uhr entkräftet verlassen, das Frankfurter Label hat bestimmt bis Sonntag nachmittag durchgefeiert. Unvorstellbar eigentlich, daß um 3:30 nochmal ganz locker eine Band (die Broken Beats) ihr Equipment aufbaut und der Laden gerammelt voll ist – aber bei Ilse geht das (nachdem vorher schon Mardi Gras BB und Kool Ade Acid Test live on stage waren und das Kondenswasser nur so an den Wänden runterlief).
Die Sterne spielten in der Moritzbastei und Stella in der NaTo – kein Venue ohne (Popup-Veranstaltung an diesem naßkalten Wochenende im Mai! Leipzig hat sich als Gastgeberstadt für (Popup schwerstens beliebt gemacht, wozu braucht Ihr denn Olympia??

(Popup Leipzig hat zum dritten mal bewiesen, dass es keine Schande ist, sein Leben dem P!O!P! zu verschreiben – laßt die anderen ruhig lästern! Wie auch bei kleinen Verlagen ist Nischenfindung und –besetzung derzeit das große Thema. Dass das gut funktionieren kann, zeigen Labels wie Lado/L’Age d’Or, Buback oder Swamp Room Records, die seit Jahren ihr Publikum erfreuen und offenbar wenig Grund zur Sorge haben.

In diesen Zusammenhang paßt wunderbar, daß am Samstag Werder Bremen den Bayern die Lederhosen ausgezogen hat – zweifellos ein Zeichen! Wir sind die Guten, na klar!

Ausführliche Portraits über einige Labels und Bands folgen