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Mai 2004
Christina Mohr
für satt.org


Boxhamsters:
Demut & Elite

Lado 2004

Boxhamsters: Demut & Elite

Veröffentlicht
am 24. Mai 2004
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Boxhamsters:
Demut & Elite



Boxhamsters
Boxhamsters

Eigentlich sollte ich aus Befangenheit diesen Text lieber nicht schreiben: schliesslich komme ich aus derselben Stadt wie die Boxhamsters – der hessischen "Kulturmetropole" Gießen – habe über viele Jahre die Stammkneipe der Band geteilt (und als Tresenfee viele viele Kaltgetränke verteilt) und deshalb wird das jetzt eine komplett subjektive und unreflektierte Lobeshymne. Zuerst müssen Platitüden verbreitet werden: die Boxhamsters, die – unglaublich, aber wahr – seit über 16 Jahren im Zeichen des lächelnden Sägefischs unterwegs sind, sind die beste deutsche Punkrockband. Punkt. Und wie es sich für echte Propheten gehört, waren es in den letzten Jahren nicht die Hamster selbst, sondern andere, die die Lorbeeren in Form von Plattenerfolgen und Gazettenlob kassierten, Tomte zum Beispiel oder auch Kettcar, und viele andere, die ohne die Gießener Hamster nicht dort wären, wo sie heute sind. Das Presseinfo zur neuen Hamsterplatte "Demut & Elite" hat Thees Uhlmann von Tomte geschrieben – verkehrte Welt: unvergessen sind die Zeiten, als sich ein jugendlicher Thees vor Aufregung beinah in die Hosen machte, weil er denselben Partyraum mit seinen Helden teilen durfte. Aber ist ja auch egal, Hauptsache ist, dass die Hamster jetzt endlich auch ihr Stück vom Kuchen bekommen. Da die Band über die Jahre sowieso nichts an Energie, Leidenschaft, Charme und Wut eingebüsst hat, ist es auch für niemanden zu spät, die Hamster für sich zu entdecken. Textzeilen wie "Wir sind zu klein um uns zu wehren, doch wir warten weiter ab, denn irgendwann holt Euch die Zeit ein und wir pissen Euch auf's Grab" ("Zu klein" von gaaanz früher, auf "Der göttliche Imperator" von 1990) erhalten überraschend eine neue Bedeutung: die Hamster sind jetzt bei Lado gelandet – mal sehen, was da noch geht!

Die Boxhamsters, die ihren schönen Namen aus einem Monty Python-Film stibitzt haben, standen nie für hirnlosen Prügelpunk, sie kultivierten den freundlichen Punk von nebenan, ihr Slogan ist "Search and make Friends". Den extremen Polen des gemeinen Punkrocks – Hass!! kombiniert mit Vollsuff oder Funpunk kombiniert mit Vollsuff – hielten sie mit einem Smiley auf den Band-T-Shirts entgegen.
Von Anfang an bezogen sich die Hamster deutlich auf Vorbilder wie Hüsker Dü, die Buzzcocks, EA 80 und dass Martin Coburgers Stimme der von Peter Hein nicht unähnlich ist, verleiht den Stücken nochmal einen besonderen Reiz. Die Fehlfarben (aus der Monarchie & Alltag-Zeit; please note the "&" im Plattentitel!) können als Initialzündung für die Hamstergründung angesehen werden, Co wusste, dass er Punk ist, als er zum ersten mal "Gott sei Dank nicht in England" hörte. Die Mischung aus Melancholie und Wut, die der ersten Fehlfarben-Platte eigen ist, durchzieht das Hamster-Oeuvre bis heute.
Platten wie "Wir Kinder aus Bullerbü", "Der göttliche Imperator" oder "Tötensen" treiben einem noch heute die Tränen in die Augen und es ist unverständlich, warum eigentlich immer nur Blumfeld und Tocotronic als Götter des deutschen Indieolymps gepriesen werden – die Hamster gehören dort genauso hin.

Im Laufe der Jahre haben die Hamster eine treue Fangemeinde herangezogen, Youngsters wachsen immer wieder nach und deshalb geraten die Konzerte auch nie zu Punkrock-Altersheim-Veranstaltungen. Überhaupt: die Begeisterung bei Liveauftritten ist legendär und die Gießener Community sorgt dafür, dass bei den Konzerten stets eine familiäre Stimmung herrscht. In Boxhamsterhausen werden noch freundschaftliche Beziehungen gepflegt, ob zu anderen Bands oder eher unmusikalischen Weggefährten.
Der Ruf als grossartige Liveband eilt den Hamstern voraus, siehe der Konzertcheck vom Wiesbadener Schlachthof: Leute wie Uwe Viehmann und Klaus Walter bedenken die Hamster durchweg mit Höchstnoten, insgesamt eine 9,6 von der Jury!

Die neue Platte, die deutlich runder und vollmundiger produziert klingt als ihre Vorgänger, bietet neun Punkrockperlen, mit 37 Minuten fast ein wenig knapp geraten, aber auch die Ramones haben schon bewiesen, dass man sich lieber kurz fassen sollte und keine Bohemian Rhapsodies schreiben muss, wenn man zum Klassiker werden will. Ulf am Schlagzeug trommelt wie ein Uhrwerk, die Gitarren jubilieren und über allem Coburgers raue Stimme – wunderbar.
Thees Uhlmann entdeckt im ersten Stück, "Beende Deine Jugend" (zwinker, zwinker) sogar die "perfekten New Order". In diesem Stück zeigen die Hamster, dass sie immer den passenden Song zur Zeit aus dem Ärmel schütteln können: Wut, Verbitterung aber auch Verzeihenkönnen, alles auf einmal, "doch das Leben geht weiter und du hast schlecht gezielt und für wen hast du dir deine Finger blutig gespielt ( …) die Zeit läuft weiter und soll ich Dein schärfster Richter sein?" Gross. Nicht nur für alle vom Musikbusiness enttäuschten.
Auf Demut & Elite wechseln sich zornige und selbstironische Punkstücke mit hochromantischen Liebesliedern ab, wenn Co singt: "So wie Du, so wie Du kann mich niemand so verzaubern" wünscht man sich, man selber wäre gemeint, aber ach: er meint auch Dich und mich! Aber klar! Überhaupt soll an dieser Stelle darauf hingewiesen werden, dass Martin Coburger die schönsten und traurigsten Liebeslieder der Welt schreiben kann. Wer daran zweifelt, möge bitte mal "Theaterbraut", "Trollinger" und "Amanita" anhören …
Zwischendurch blitzt aber auch der aufrechte Punkrocker durch, Zeilen wie "ich hab zu lange zugeschaut, wie HipHop unsre Welt versaut" (Winnetou IV) werden nicht überall auf zustimmendes Nicken sorgen, aber "Search and make Friends" heisst ja nun mal nicht, dass jeder Dein Freund sein muss! Punkrock sein bedeutet auch, klare Positionen zu beziehen und die Hamster haben sich eh nie irgendeinem Trend angebiedert, HipHop hat wirklich nicht dazugehört … Aber nicht nur USA-Kritik wie in eben genanntem Stück ist Hamster-Thema, auch mit verbohrten alten Nazis und Fremdenlegionären wird gnadenlos abgerechnet. Die Hamster legen gern die Finger in verkrustet geglaubte Wunden und erinnern daran, dass in Deutschland noch zu viele den Totenkopf an der Hand tragen ("Mauser"). Und so kann ich nur den Slogan der letzten (Popup-Messe übernehmen und vorbehaltlos auf die Boxhamsters übertragen: Wir sind die Guten!

Mehr zur Bandgeschichte, lustige Fotos, Tourdaten und vieles mehr gibt's auf der Hamsterhomepage! Dort könnt Ihr auch nachlesen, wie überhaupt alles kam und warum die Boxhamsters jetzt bei Lado erscheinen – auf demselben Label wie Superpunk, die so heissen, wie die Boxies sind!