Kinder des Zorns
»Please Kill Me«
Die oral history des Punk endlich übersetzt
Als Richard Hell 1974 eine Zielscheibe und die Worte »Please Kill me« auf sein T-shirt schmierte und mit Television den unbedeutenden Hillbilly-Schuppen CBGB’s in New Yorks angesagtesten Veranstaltungsort der Off- und Krawall-Szene verwandelte, da gab es immer noch kein Wort für diese ästhetische Schocktherapie. Erst ein paar Monate später gründeten Legs McNeil, John Holmstrom und Ged Dunn ihr Underground-Magazin »Punk« und lieferten damit nicht nur das Organ, sondern zugleich das Etikett des Genres.
Da war durchaus schon einiges passiert: MC5 hatten 1968 beim Festival of Live während der Democratic Convention in Chicago gespielt, bis die Cops die Veranstaltung gewaltsam auflösten. Und der anwesende Norman Mailer sah hier mit aufgesperrten Ohren das Monster der Revolution musikalisch auferstehen: Iggy Pop hatte sich auf der Bühne in Glasscherben gewälzt und mit den Stooges einen dilettantischen Brachial-Sound ins Werk gesetzt, dessen sinn- und richtungslose, selbstzerstörerische Aggressivität den Hippies und Biedermännern das Fürchten lehrte. Die New York Dolls hübschten diesen betonharten Garagenrock mit Glitter und Frauenkleidern auf und demonstrierten so schon früh, dass die Kleidung eine nicht unwesentliche Rolle für die Etablierung der neuen Musik spielen sollte. Aber erst Richard Hell verkörperte den Punk. Er schrieb mit »Blank Generation« nicht nur die Hymne der Bewegung, er lief auch schon mit allen modischen Attributen herum, die Malcolm McLaren dann nach England exportieren sollte: Stachelhaare, zerrissene Kleidung, Sicherheitsnadel.
»Please Kill Me«, eine spannende, souverän gefügte Collage aus unzähligen Interviews mit den dramatis personae des Ur-Punk, reanimiert all diese Mythen, Legenden und Wahrheiten, bringt die zu bloßen Begriffen und Schlagwörtern erstarrte Rockhistorie der späten sechziger und siebziger Jahre wieder in Fluss. 1996 bereits veröffentlichten Szene-Patriarch Legs McNeil und Gillian McCain ihre »oral history«, also lange bevor sich Jürgen Teipel für seinen »Doku-Roman« »Verschwende Deine Jugend« die Punk- und Neue-Deutsche Welle-Geschichten der frühen Achtziger erzählen ließ. Die Form ist nicht nur deshalb so evident, weil sie der Heterogenität der Szene und dem forcierten Chaos der Veranstaltungen Rechnung trägt, sondern auch weil es das Montage-Prinzip der hektographierten Fanzines kopiert. Das Buch handelt vom Punk mit den Mitteln des Punk. Und indem es auch dessen Prähistorie in den Blick nimmt, ist es zugleich eine Geschichte der amerikanischen Gegenkultur dieser Jahre, in der anscheinend jeder jeden kannte und alles mit allem zusammenhing. Vor allem aber liefert es ein ziemlich buntes, wenn auch wohl leicht idealisiertes Bild jener Existenzweise zwischen Größe und Gosse. Dee Dee Ramone erinnert sich an die erste Begegnung mit der New Yorker Krawallschachtel Connie Gripp, seiner damaligen Geliebten: »Sie war eine Prostituierte, ich war ein Ramone, und wir waren beide Junkies.«