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Zuerst ist da das Gefühl von vertauschten Rollen: Ich habe meine Aufgabe immer darin gesehen, andere Leute und nicht mich selbst ins Rampenlicht zu stellen, von daher ist es jetzt ein bißchen absurd. Ich denke: Moment, irgendwie stehe ich gerade auf der falschen Seite der Kamera. Das andere ist: man fühlt sich schon unglaublich bestätigt, dazu kommt diese große Zuneigung, die durch die Presse kommt, das baut einen sehr auf, macht aber gleichzeitig auch Angst. Weniger um das Buch, sondern bezogen auf die Erwartungen, die geweckt worden sind. Manchmal lese ich Artikel und denke "au weia", sehen Dich die Leute jetzt als so eine Art Heilsbringer, der's richten wird und da kann ich nur sagen, daß ich nur zur Diskussion stellen kann, wie es weitergehen könnte, aber ich habe kein Geheimrezept, mit dem ich alle retten kann. Ich kann nur versuchen, neue Dinge auszuprobieren, hoffentlich sind einige richtige Ideen darunter! Aber der Erwartungsdruck macht mir Angst.
Da ich während der Messe viele andere Termine hatte, ist das Ganze ein bißchen an mir vorbeigegangen. Ich dachte, wenn es einen Gott gibt, läßt er Dich jetzt gerade durchleiden, was Künstler sonst durchleiden müssen. Hundertmal dieselben Fragen zu beantworten – da muß ich schon aufpassen, um nicht unengagiert mein Programm abzuspulen.
Die Namensrechte an Motor sind ein halbes Jahr nach meinem Universal-Ausstieg an mich zurückgegangen, also am 1.7.04, ebenfalls am 1.7. haben wir die Website übernommen, um allen Beteiligten das Gefühl zu geben, daß es weitergeht und zwar besser weitergeht. Die exklusiven Namensrechte bekomme ich wiederum ein halbes Jahr später, dann darf Universal auf kein Produkt mehr Motor draufschreiben. Diese Rechte liegen dann wieder zu 100 Prozent bei mir. Wir wollen eigene Motor-Produkte erst dann auf den Markt bringen, wenn der Name wieder komplett mir gehört, das heißt, ab dem 31.1.2005, ein Jahr nach meinem Ausstieg. Vorher würde das nur Verwirrung stiften. Mir ist das nur recht, weil ich das Arbeitsvolumen wirklich unterschätzt habe: ein Buch zu schreiben, eine Website komplett umzugestalten, außerdem versuchen wir noch, eine Radiofrequenz für den Sendebereich Berlin zu bekommen.
Ich habe mein Handy dabei, und wenn es klingelt, bin ich frohen Mutes, dass es die Landesmedienanstalt Berlin ist, die sagt, es gibt ihn! Wenn es nicht klingelt, werde ich heute abend ein wenig frustriert sein; dann müssen wir uns für andere Frequenzen bewerben, die noch frei sind.*
Wir fangen richtig neu an. Die jetzigen Motor-Künstler haben ja bei Universal unterschrieben, und nur weil ich und Petra (Husemann-Renner, seine Frau, Anm. cm) nicht mehr dort sind, können die Künstler nicht auch sagen, daß sie nicht mehr wollen. Es sei denn, deren Verträge stehen sowieso kurz vor dem Ende. Wir werden natürlich mit einigen Künstlern Gespräche führen, aber unsere Intention wird nicht sein, die Leute aus ihren Verträgen zu holen. Wir wollen Universal nicht schaden, die ja in die Künstler investiert haben. Unsere Motivation besteht darin, eine eigene Identität für Motor aufzubauen, deshalb suchen wir neue Künstler!
Ich würde immer erstmal zu Hause anfangen. Außerdem interessiert mich hauptsächlich die wirkliche Zusammenarbeit mit den Leuten, also mit deutschen Künstlern. Natürlich würde ich nie ausschließen, wenn etwas tolles Internationales auf den Tisch kommt, dass ich das nicht auch lizensieren wollte.
Eindeutig. Motor ist angetreten, um Alternative Rock zu featuren, sogenannten Independent Rock, da liegt der Markenkern, den wir auch so wieder anpacken wollen. Alternative Rock ist aber bis in den Bereich Elektro denkbar, auch in manche Ecken härteren HipHops, da gibt es überall Berührungspunkte.
Den Credit für die Idee muß ich dem Programmchef des Konkurrenten Kiepenheuer & Witsch geben, der nach meinem Ausstieg auf mich zukam und vorschlug, ob ich nicht ein Buch schreiben wollte. Über diese Idee habe ich während meiner Weltreise nachgedacht und habe dann die Agentin von Sven Regener, Christine Meierling kontaktiert. Die fand das ganz prima und sagte, laß mich mit dem Exposée auf die Leipziger Buchmesse gehen. Wir waren uns ganz schnell einig, daß sich das Buch relativ ernsthaft mit seinem Thema befassen muß und nicht zu locker, leicht und schwimmt-sogar-in-milch-mäßig daherkommen darf wie so mancher Poproman. Das führte dazu, daß der eigentliche Ideengeber KiWi, der zu stark in der Popliteratur beheimatet ist, aus dem Focus geriet und wir uns mit "ernsthafteren" Verlagen getroffen haben. Mit dreien haben wir engere Gespräche geführt, und am Ende wirkte Andy Horn, der Vertriebsleiter von Campus, am überzeugensten auf uns!
Zuerst mal: ich bin noch 39 und Sven Regener ist schon 43! In meinem Alter wird man eitel, das wirst Du auch noch erleben, aber davon abgesehen scheint es mir zwei Gründe zu geben. Wir, die in der Mitte der Sechziger Jahre geboren wurden, sind einfach zahlenmäßig sehr viele, wir sind noch in den Jahren vor dem Pillenknick auf die Welt gekommen und werden einfach naturgemäß bis zu unserem Lebensende sehr stark sein. Da muß einfach viel kommen! Dazu kommt, daß gerade diese Generation perfekt gelernt hat, mit popkulturellen Elementen umzugehen. Und zwar in allen Formen, so daß wir in Sachen Coolness und Hipness alle anderen von rechts überholen können – also genau das, was Jugendliche so hassen. Ich behaupte nicht, daß uns das immer gleich gut gelingt, es ist bestimmt manchmal auch peinlich, aber wir haben auf jeden Fall besser als die Generationen vor uns gelernt, mit Popkultur umzugehen und wir werden auch immer wieder in diesem Bereich angreifen!
Ich glaube, daß Independentveranstaltungen wie die Popup Leipzig zu einer engeren Netzwerkbildung führen. Die Popup kann allerdings nicht die Popkomm ersetzen, genauso wenig wie umgekehrt. Das sind zwei Veranstaltungen, die sich gut ergänzen. Die Popkomm hat dieses Jahr in Berlin zum ersten Mal wieder zu ihrem Zweck gefunden, und zwar, daß man internationale Lizenzpartner mit der deutschen Independentszene vernetzt hat. Außerdem ist es gelungen, die Popkomm als thematisches Aushängeschild der Musikindustrie zu präsentieren. Es gab dieses Mal nicht die hängenden Ohren und traurigen Augen von Köln, sondern es gab wieder das Gefühl, "es passiert wieder was." Nicht unbedingt bei den Majors – bei einigen dort herrscht immer noch Agonie, manche waren auch gar nicht erst da – aber die Vernetzung hat gut funktioniert.
Auf jeden Fall! Ich habe die unterschiedlichsten Leute kennengelernt – zum Beispiel habe ich an einem Abend die Band der Schauspielerin Jana Pallaske, Spitting from tall Buildings im Club Zentral gesehen, und dort lernte ich den Warner-Filmmusikchef kennen, der aus Amerika angereist war, und den trifft man dann in so einem winzigen Club bei einer noch so unbekannten Band! Das fand ich ganz toll und sowas war in Köln kaum möglich, weil Köln die internationale Strahlkraft fehlt. Während eine Stadt, die in Amerika ständig als neuer "Big Apfel" betitelt wird, für die Leute aus dem Ausland ungleich spannender wirkt – unabhängig davon, wie die Messe wird.
Es läßt sich sehr hoffnungsvoll an – die Besucherzahlen und die Ausstellerzahlen haben sich im Vergleich zu Köln erhöht, auch wenn die Popkomm noch weit entfernt ist von den Zahlen des Boomjahres 1999, wo die New Economy sich noch selbst feierte.
Ja, genau. Die Stärke der Popkomm kann nicht sein, im Kleinen gut zu sein, sondern muß den großen Rahmen bieten.
Ja, richtig. Außerdem finde ich den Standort Leipzig sehr charmant – aus dieser Gegend kommt im Moment wirklich viel.
Zuerst muß man überlegen: worin bin ich stark, weshalb hab ich mein Label gegründet? Die meisten werden feststellen, daß sie ein Label gegründet haben, weil sie Fans sind, weil sie die Musik lieben. Das heißt aber auch, daß diese Leute meist keine guten Buchhalter sind. Jetzt tun sich zwei Möglichkeiten auf: entweder beteilige ich jemanden, der sich mit der anderen Seite auskennt, das haben einige Labels erfolgreich gemacht, ein sehr gutes Beispiel ist L’Age d’Or, gegründet von Carol Rautenkranz und Pascal Fuhlbrügge. Rautenkranz kam damals als Lehrling von der Pinneberger Stadtsparkasse! Das machte Sinn, Fuhlbrügge war Musiker – und L’Age d’Or gibt's heute noch! So ein Modell kann man anstreben, oder man versucht, sich mit anderen zusammenzuschließen und die Administration zu zentralisieren. Eine andere Preisfrage ist die Finanzierung: der größte Finanztrouble beginnt immer dann, wenn eine Band anfängt, loszumarschieren – dann muß man investieren. Kleine Labels scheitern oft dann, wenn eine Band mehr Mittel, mehr Aufmerksamkeit braucht; dann kommt es schnell zur Schieflage. Aber auch dann sollte man überlegen, ob man sich nicht mit jemandem zusammenschließen soll: Lieber teilen und überleben!
Kleine Labels haben es nach wie vor recht schwer, weil die Konditionen, zu denen sie verkaufen können, schwierig sind, deshalb muß eine starke Nischenkonzentration stattfinden. Je mehr sich allerdings die Majors zurückziehen und je weniger sie die CD als Lockvogelangebot an Media Markt, Saturn undsoweiter anbieten können, desto besser geht es den Indies, weil sie sich in ihrer Nische am besten auskennen. Auf kurz oder lang werden sie aber immer wieder neue Konkurrenz bekommen.
Jein, die Form und Länge des Albums ist ja rein technisch determiniert. Es ist ja niemand aufgestanden und hat gesagt, "ein künstlerisches Werk muß so und so viel Minuten lang sein", sondern das entstand dadurch, wieviel eben auf ein Vinylalbum draufpaßte, 55 Minuten etwa – also auch schon eine Einschränkung. Auch als die CD dann mehr Platz bot, nämlich 72 Minuten, blieb man im Grunde bei der Dreiviertelstunden-Albumlänge, weil sich das so eingebürgert hatte. Ich glaube aber, das wird sich mehr und mehr auflösen. Künstler werden künftig sagen können, daß nicht fünf Stücke, sondern fünfzig Stücke seines Werkes wichtig sind. Aber Künstler werden die Käufer nicht mehr dazu bringen können, etwas zu kaufen, das sie nicht haben wollen. Etwas ähnliches wird sicherlich auch mit dem Buchmarkt passieren, speziell im Sachbuch: wenn in einem Buch nur ein spannendes Kapitel enthalten ist und der Rest ist blabla, dann wird sich der Konsument auch nur das eine Kapitel beschaffen und den Rest sein lassen. Bei Romanen wird das wohl nicht gehen – da braucht man ja immer die Auflösung.
Grundsätzlich finde ich es positiv, daß die Leute mit den Preisen spielen. Das ist ein echter Fortschritt, die Musikbranche hatte sich in einem Preisdogma festgebissen, das komplett am Konsumenten vorbeiging. Ich finde es allerdings problematisch, den physischen Träger einerseits halten zu wollen und ihn gleichzeitig so unattraktiv zu machen, die billigste Variante sieht aus wie selbstgebrannt und kostet aber trotzdem zwanzigmal so viel. Das Preiserlebnis "9,90" finde ich goldrichtig – die hochpreisige Variante zu 16,90 funktioniert auch sehr gut. Was wegbrechen wird, ist das mittlere Segment zu 12,90. Also entweder so günstig wie möglich oder so gut wie möglich! Wenn man die Ausstattung der 12,90-CD für 9,90 anbieten würde, dann wär's perfekt!
Ich finde einen Akt des Angreifens dann interessant, wenn er auch mit Gefahren für den Angreifer verbunden ist. Es ist für mich noch keine anarchistische Hochleistung, relativ sicher vom heimischen Computer aus Musik zu ziehen. Positiv dabei ist, daß die Auseinandersetzung mit Musik für Heranwachsende noch lebhafter wird – deren Aufgabe ist es ja eigentlich, für Erneuerung zu sorgen und nicht unbedingt zu kaufen. Ich möchte das mal mit Schwarzfahren vergleichen: als Kind bin ich schwarzgefahren, weil ich das spannend und revolutionär fand: Öffentliche Verkehrsmittel gehören der öffentlichen Hand und deren Leistungen will man umsonst, die unterstützen ja nur die blöden Autofahrer. Das kann aber auch anstrengend werden, weil man sich dauernd nach dem Kontrolleur umschauen muß. Heute zahle ich gerne, weil ich die öffentlichen Verkehrsbetriebe unterstützen will und außerdem in Ruhe die Zeitung lesen möchte. Wenn es gelingt, dieses Bild zu übertragen – dann hätten wir eine perfekte Welt.
Die Quälenden Geräusche haben zwar einmal eine Radioaufführung erlebt, aber nie einen Tonträger veröffentlicht, was auch nicht zu unserem Konzept gepaßt hätte. Ungeschriebene Vorschrift war, daß kein Auftritt wie der vorangegangene sein sollte, zum Beispiel wurden auch die Instrumente immer untereinander gewechselt. Ein dauerhaftes Dokument wie eine Platte wäre für uns nicht pc gewesen. Es gibt einige Cassetten, die unter Freunden kursiert sind, aber ob die noch hörbar sind, weiß ich nicht.
Als Lichtgestalt stelle ich mich im Buch ja nicht dar. Im Management kommt man an Punkte, an denen ich mich nicht rausziehen kann. Es gibt kritische Stimmen von Leuten, die sich ungerecht behandelt fühlen. An breiter Front laut gegrummelt haben die Musikverleger von Majors. Weil ich geschrieben habe, daß das Leute sind, mit denen man hervorragend essen und trinken kann, die immer gute Laune haben, weil die ja nicht arbeiten müssen.
Ja, das beziehen manche eben auf sich – da kann ich nur sagen, Ihr seid selbst schuld! Mir geht's um Systeme und das würde ich gern weiterfassen, das gilt nicht nur für die Musikwirtschaft.
Eine Band, die mich reizt, ist Mia., das ist zwar nicht besonders originell, weil die schon sehr erfolgreich sind. Aber die reizen mich deshalb, weil sie irgendwie überinszeniert sind und so dick auftragen – ich würde die gern anders anpacken. Eine Band, die mich privat interessiert, die aber eher schwer verkäuflich ist, sind die Residents. Die Quälenden Geräusche waren ein amateurhaftes Residents-Modell.
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