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November 2004
Christina Mohr
für satt.org


Hanin Elias:
Future Noir

Fatal Recordings 2004

Hanin Elias: Future Noir
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Hanin Elias:
No Games No Fun

Fatal Recordings 2004

Hanin Elias: No Games No Fun
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Hanin Elias und Fatal Recordings


Fatal Recordings-Logo

Hanin Elias ist vielen ein Begriff, weil sie mit Alec Empire Atari Teenage Riot gründete und mit Platten wie Delete Yourself und The Future of War Electroclash-Geschichte schrieb, als der Begriff noch gar nicht erfunden war. Wütende Parolen, kombiniert mit vorher so nie gehörtem Noise brachten ATR viel Erfolg, vor allem im Ausland, wo man verstört und begeistert auf die anarchistischen Elektroterroristen reagierte. Das ist lange her; Hanin hat in der Zwischenzeit nicht nur zwei Kinder auf die Welt gebracht, sondern auch ein Label gegründet: Fatal Recordings – seit 1998 veröffentlicht sie dort nicht nur ihre eigenen Platten (die neueste, Future Noir, ist gerade erschienen), sondern auch Acts wie The Vanishing, Tara de Long oder Phallus über Alles. Auf der Website von Fatal Recordings findet man ausführliche Artikel, in denen Hanin ihre Philosophie des Musikmachens erklärt, ein wütender und dennoch auf Harmonie der Geschlechter zielender Feminismus spricht aus jedem ihrer Worte, ein Riot Girl ohne Koketterie – sie meint wirklich, was sie sagt. Weil Politik nicht alles ist, aber eben doch, vor allem im Musikbusiness. Frauen wie Hanin verunsichern männliche Mitmenschen, denen dann auch oft nur lahme Vergleiche einfallen, so wurde sie unlängst von Taz-Redakteur Christoph Braun als "Gothic-Interpretation von Courtney Love" beschrieben, was ihr nur ein gelangweiltes Gähnen entlockt.


Ich könnte auch einfach den Text von Deiner Website abschreiben, aber bitte erzähl nochmal in Deinen eigenen Worten, wie Du dazu kamst, Fatal Recordings zu gründen:

Als ich mit Alec Empire Atari Teenage Riot gründete, waren wir beide 19. Wir versuchten, der linken politischen Anschauung, die nach der Maueröffnung vollkommen ihre letzte Überzeugungskraft verloren hatte, einen neuen Glanz zu verleihen. Die Rechten gewannen immer mehr Zulauf, die Asylantenheime brannten und die Gutmenschen aus der Mitte waren hilflos …
Wir beschlossen, mit Text und Sound auf diese Dinge aufmerksam zu machen und hatten international regen Zulauf. Besonders in den USA (man glaubt es kaum).
Nach 10 Jahren des Tourens mit ATR und der Geburt meines Sohnes hatte ich die Idee, ein Label für Frauen (nicht unbedingt dogmatisch zu nehmen …) zu gründen, um eine eigene Identität zu finden und von diesen Jungs/Technik/Nerd/Ding wegzukommen, da alles irgendwie nur auf schneller, krasser, härter und wer den dickeren Soundschwanz hat, hinauszulaufen schien. Ich hatte das Gefühl, dass das eine Sackgasse war.
Dann starb Carl Crack an Suizid.
Ich beschloß nach Querelen mit Digital Hardcore Recordings und dem Rest von ATR mein eigenes Album zu machen und auch ein eigenes Label. Sehr undogmatisch, aber mit hammermäßiger Musik, die wiederspiegelt, wer wir sind, was wir wollen, und frei von Strukturen die uns vorschreiben, was wie zu sein hat!


The Future will be fatal heißt es auf der Website www.fatal-recordings.com - fatal für wen?

Wenn du auf den Albumtitel meines neuen Werkes "Future Noir" ansprichst, dann The Future will be Noir and should be fatal for the mansworld, cause they are the ones that screw it up!
Ich habe mein Label Fatal-Recordings genannt, weil ich wollte, daß das wofür wir (Musikerinnen aus aller Welt) stehen, in irgendeiner Form diejenigen entkräftet, entwertet, die die Macht wie selbstverständlich in ihren unwürdigen dreckigen Fingern halten. Uns geht es dabei nicht um Macht, sondern um Veränderung, Weiterentwicklung. Kein Vorurteil, das zu Faschismus, Völkermord, zu Sexismus und Ungleichberechtigung geführt hat, ist je wirklich entkräftet worden. (Sozialdarwinismus etc.)
Ich würde sagen, dass es für die ganze Welt immer mieser aussieht … Interessenspolitik, Lügen, Korruption, Das Überleben des Stärkeren, Monopolisierung, der globale Express in die 1., und No World, das Ziel, Kulturen zu zerstören, die man als das "Böse" ansieht (nach George W. Bush jedenfalls , Männerverschwörung, Frauen, die sich untereinander als Konkurrenz begreifen, statt gemeinsam für etwas einzustehen, was diese unsoziale Hierarchie/Pseudodemokratie verändern könnte, Kriegsgeilheit aus Angst, Gier, Angst, Gefühle zu zeigen, Angst zu empfinden (Hammas etc.). Wir leben in einer düsteren, verlogenen, verängstigten Kultur.
Es gibt für unsere Generation keinen Ausweg und das macht es so fatal. Wir können es nicht mit Schönheit und Wissen bekämpfen, dennoch müssen das unsere Mittel sein. Denn der Kampf läßt sich nicht auf anderer Ebene gewinnen, als durch diese elementaren Kräfte. Um dorthin zu gelangen drücken, wir uns durch Musik und Performance aus. Wir wollen nichts in uns reinfressen und spiegeln diese Zeit wider.


Hat sich in den Jahren, seit du Fatal machst, für Deine Begriffe im Musikbusiness etwas verändert? Oder steckt die Musikbranche noch immer in Machostrukturen fest?

Ich wünsche den Frauen, die Musik machen und Labels haben, dass sie sich irgendwann von diesen Strukturen lösen und nicht wie in der Politik einfach das machen, was Männer ihnen beibringen.
Ich stelle mir immer ein riesiges graues Uhrwerk vor, das sich monoton nach rechts dreht und darin ein kleines glühendes Rädchen, das sich entgegengesetzt in diesem System windet. Irgendwann, auch wenn es Millionen Jahre dauert, werden es viele solcher Rädchen sein, natürlich werden sie eingeschüchtert und plattgemacht, aber sie kommen doch immer wieder.
Das ist das Bild, das mich hoffen läßt.


Wer sind Deine künstlerischen und musikalischen Vorbilder?

Es gibt Musik, die mich inspiriert und mir Kraft gibt, aber selbst wenn ich anders wollte, würde ich doch immer wie ich klingen, denke ich. Selbst wenn ich mit 12 verschiedenen Leuten zusammenarbeite.
Bettina Köster von Ex/ Malaria ist eine sehr inspirierende Frau, X-mal Deutschland, Danielle Dax, Siouxsie, Björk, Kathleen Hanna hat mich auch mal sehr inspiriert, das beruhte auf Gegenseitigkeit und wir nahmen mal was zusammen auf.


Haben Frauen einen anderen Zugang zum Musikmachen, also weniger perfektionistisch, dafür mit mehr Spaß? Waren Bands wie die Slits oder die Raincoats mit ihrem betonten Dilettantismus wichtig für Dich?

Ich habe vielleicht ein anderes Bild von mir und andere Ansprüche, als das was du meinst. Ich mag keinen reinen Dilletantismus oder Perfektionismus, für mich zählt die Energie, ob es gut oder trashig produziert ist, macht keinen Unterschied. Es gibt Tracks, da leide ich sehr während der Arbeit, andere machen Spaß und gehen schnell, beide sind jedoch gleichwertig und solange sie ausdrücken, was ich dabei empfand, sind sie gut genug für mich. Ich finde Vergleiche zwischen Mann und Frau überholt und langweilig. Ebenfalls nerven mich ständige Vergleiche und Verallgemeinerungen von Frauen die Musik machen. Kein Schwein kommt auf die Idee, Elvis mit Mick Jagger zu vergleichen oder Iggy Pop mit Shakin Stevens, so kommt mir das aber bei Frauen oft vor …


Ist Elektro weniger konservativ oder mackermäßig als "Instrumentenmusik"? Kannst Du Dir vorstellen, etwa Folk oder andere gitarrenbetonte Musik bei Fatal zu veröffentlichen, wenn der Kontext stimmt?

Wenn die Energie stimmt, kann ich mir alles vorstellen!
Elektro kann sehr mackermäßig sein sonst hieße es ja Elektra!
Auch Folk kann mackermäßig sein, darauf kommt es mir aber auch nicht an, auch Mackermäßigkeit hat seine oder ihre Berechtigung, es geht um Toleranz auf BEIDEN Seiten.


Was hältst Du von non-fatal-acts wie Cobra Killer oder Chicks on Speed (Band und Label)? – sind das Konkurrentinnen oder Schwestern im Geiste?

Cobra Killer waren ja mal bei DHR, ich kenne sie noch von ganz früher. Schon als Gina noch bei den Lemonbabies war und Anika noch Tänzerin bei Shizuo, dann haben Gina und Patric zusammen Ec80R gemacht und eine echt geile Platte bei DHR rausgebracht. Wir waren oft auf Tour zusammen. Die erste Cobra Killer fand ich echt cool.
Chicks on Speed kenne ich nicht gut, nur flüchtig. Das ist unterschiedliche Musik mit unterschiedlicher Energie und zielt auf etwas anderes ab.
Konkurrentinnen sind wir auf keinen Fall, jedenfalls nicht von meiner Seite (:


Le Tigre und Fatal Recordings - wie tief geht Eure Verbundenheit? Immerhin gibt es zwei Texte von Le Tigre-Musikerinnen auf Eurer Website.

Ja, es gab da mal eine gemeinsame Zeit, das hat sich irgendwie durch die unterschiedliche Entwicklung und Wahrnehmung aufgelöst, aber so ganz schleichend. Einfach kein Kontakt mehr. Vielleicht lag es daran, dass ich mal mit einer Platzpatronenpistole im Backstage in Köln rumballerte und darauf bestand, dass man das bescheuerte Banner vom Bühnenhintergrund entfernen möge …es stand nämlich Minimonsters of Spex drauf und bezog sich darauf, dass wir Frauen sind. Ich ballerte aus Spaß beim Interview mit meiner Fakeknarre rum und seither hat Kathleen sich nie wieder gemeldet. Tja. (; Da gabs wohl unterschiedliche Auffassungen von Riot. Ich fand das schade.


Wie kommen Bands zu Fatal – wie etwa The Vanishing?

Vanishing haben mir vor Jahren eine CD an DHR -Fatal geschickt aber sie ging bei DHR verschollen und wurde mir dann erst viel später zugesandt. Das war genau der Sound, den ich immer als Gefühl in der Magengegend hatte!
Jesse Eva und ich hatten lange Briefkontakt und unterhielten uns über Lebensgefühle in San Fransisco und Berlin. Viele sagen, dass sie total das Berliner Lebensgefühl ausdrückt, komisch ist nur, dass sie erst seit ein paar Monaten hier ist …
Wir standen beide auf Stummfilme, unterhielten uns über die dort ausgedrückten Urängste der Männer vor sexuellen Frauen aus dieser Zeit und ich riet ihr zu einem Buch, was für mich sehr wichtig war, und dazu brachte, mein Label Fatal zu nennen und mich mit der Thematik auseinanderzusetzen: "Evil sisters- the threat of female sexuality and the cult of manhood" von Bram Dijkstra, zu deutsch "das Böse ist eine Frau". Ich denke, Jesse spiegelt in ihrer Performance, ihren Videos, in ihrer Hysterie, in der Art, wie sie Saxofon spielt, all das wider, wovor sich Männer schon immer fürchteten …


Wie wichtig ist Berlin?

Ich bin aus Berlin weggezogen, es saugte mit Kids zuviel Energie und ist wie ein Sumpf, in den man Perlen schmeißt. In diesem Sumpf leben gefräßige Perlenfresser-verstecker-kopierer.
Ich bin dort nur noch, wenn ich muß.