Mit Interviewschnipseln!
Lange hat's gedauert, ganze acht Jahre hat sich Andreas Dorau nach dem 1997er Werk 70 Minuten Musik ungeklärter Herkunft Zeit gelassen, für andere Leute geremixt und produziert, bis sein eigenes neues Album Ich bin der Eine von uns Beiden fertig war. Selbstverständlich hat sich das Warten gelohnt: Endlich haben Andreas und Dorau – so verspricht es die Presseinfo – wieder zusammengefunden. Das Coverartwork verdeutlicht diesen Vereinigungsprozeß; Dorau ist die technoide Wildsau und Andreas ist Andreas, der den feinsinnigen Popsong liebt und Texte mit Inhalt. Hier traut sich AD mehr als sein Buddy Justus Köhncke, der seine letzte Platte Doppelleben nannte, Dorau hingegen bekennt sich zu seinem inneren Schwein bzw. seinem Schweinezwilling und zeigt sich offen mit ihm.
In dieser Personalunion ist es Andreas Dorau gelungen, die widersprüchlichen Bestrebungen – unerbittliche Dancefloorbeats und zarte Lyrik - zu vereinen und in 12 neue Lieder zu gießen. Schnell fällt auf: es hat sich ausgesamplet, nur "echte" Stimmen sind zu hören, die von Andreas, die laut eigener Aussage mit dem Alter immer höher geworden ist und die von Alexandra Prinz für die weiblichen Parts. "Sampling is Dead" hat Anfang des Jahres bereits DJ Kaos verkündet, auch Moby (den Dorau doof findet) verzichtet auf Fremdkörper auf seiner neuen Platte und so befindet sich Andreas Dorau wenig verwunderlich absolut am Puls der Zeit. Ich bin der Eine von uns Beiden ist sehr homogen geraten, Andreas und Dorau ergänzen sich aufs Allerfeinste.
Die Suche nach dem "perfekten Popsong" ist in letzter Zeit ja sowas wie ein Lieblingssport des modernen Musikers geworden, und man kann ohne weiteres behaupten, daß Andreas Dorau diesem Ziel auf Ich bin der Eine … sehr sehr nahe kommt und es zuweilen ein- und überholt. Mit Leichtigkeit und Liebe werden elegante, aber zwingende Discosounds mit catchy Refrains versehen, nicht nur die sicheren Feger 40 Frauen, Die Besondere und Hinterhaus werden für unverhohlene Euphorie in den Tanzschuppen sorgen. Auch wenn auf der Single Kein Liebeslied für Alternativen zum äh, Liebeslied geworben wird, verschließt er sich dem Thema nicht. Teilweise führt dies zu schwermütig-melancholischer Poesie, besonders schön bei Im September: "Auf dem Weg vom Ich zum Wir / landete er ganz sanft bei ihr / Die Wolken zogen grau umher / Doch das Leben schien ihm halb so schwer / Sie nahm ihm ein paar Sorgen ab / und trug sie ein paar Meter / doch Sorgen kommen meist zurück / manchmal ein wenig später". Und wenn man es schafft, die beim Hören aufsteigenden Tränchen ins Knopfloch zu verbannen, kann man aufs Feinste dazu schwofen, wer es beherrscht, auch gern als Paartanz.
Das erste Stück der Platte, Du bist nicht wie die anderen kann man programmatisch auffassen, natürlich ist Andreas Dorau nicht wie die anderen, nicht wie andere Sänger, Musiker, Bands, Männer oder Frauen. Mißverstanden wird er oft, gerne auch als niedlich bezeichnet, was ihm Zahnschmerzen bereitet. Doch nur grobe Menschen mit Ballermannhumor dürften Dorau "niedlich", "skurril" oder "drollig" finden, wer etwas feinfühliger ausgestattet ist, weiß, daß seine Lieder mit dem Herzen geschrieben werden, daß alles seinen Platz bekommt im Dorau'schen Universum, ob Blaumeise Yvonne (leider verstorben, siehe der Eintrag auf seiner Website), in den frühen Achtziger Jahren Fernreisende von fremden Planeten oder – ganz aktuell – 40 Frauen mit langen schwarzen Haaren.
Der Song Schwarze Furchen wirft Fragen auf – worum geht es hier, warum soll man wegziehen aus Berlin? Wegen der Wildschweine? Oder gar wegen Nazis? Aber warum umarmt Andreas dann eine Wildsau auf dem Cover? "Ein guter Popsong muß Rätsel aufgeben, muß vieldeutig sein, das gefällt mir. Aber es geht definitiv nicht um Nazis, denn dann müßte es ja Braune Furchen heißen." Na gut, dann rätsle ich weiter, vielleicht geht es doch einfach um wildernde Paarhufer.
Tourdaten:
- 25.6. Berlin, Inches Open Air
- 7.7. Frankfurt, Uni Open Air
- 16.7. Dessau, Melt!
- 12.8. Saalburg, Sonne, Mond und Sterne
- 19.8. Burg Landskron, Bittersweet Live Open
- 29.9. Berlin, Postbahnhof
- 30.9. Dresden, Starclub
- 5.10. Darmstadt, Centralstation
- 6.10. Stuttgart, Schocken
- 7.10. Karlsruhe, Schlachthof
- 8.10. Jena, Kassablanca
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Das Lieblingslied von Francoise Cactus (die Dorau als ihr Idol bezeichnet) ist Du gehst fremd, der bittersüße Song um ein fremdes Haar auf dem Kopfkissen, und sie ist neidisch, daß Wolfgang Müller nicht Stereo Total diesen Text geschenkt hat – womit wir beim Namedropping angelangt wären. Wer aufmerksam das Booklet zu Ich bin der Eine … studiert, stellt fest, daß Justus Köhncke und Sven Regener mehr als nur ein Knöpfchen gedreht, bzw. ein Komma gesetzt haben. Doch damit wird nicht geprotzt, "das sind alles Freunde von mir, mit Justus habe ich schon oft zusammengearbeitet und Remixe gemacht. Auf gar keinen Fall sollten mit diesen Namen neue Käuferschichten erschlossen werden. Das wäre ja peinlich."
Der modernen Discosoul-Hymne Wir sind keine Freunde, wird es hoffentlich gelingen, abgeschmackte und verbrauchte Evergreens á la I will Survive auf den Tanzflächen dieser Erde abzulösen. Hier rechnet jemand mit einem ausgemachten Nervsack ab, gut, daß man ihn nicht mehr sehen muß, das Leben ohne ihn wird wunderbar sein: "Niemand hilft Dir jetzt beim Schuhebinden / da mußt du jemand anderen finden / nimm deine lügenden Augen zurück / sie vernebeln mir mein Glück". Man stelle sich Aretha/Andreas vor, wie er mit erhobenem Zeigefinger und den anderen Arm in die Hüfte gestützt um den Blödmann herumtanzt: "Du lügst Dir selbst die Taschen voll / und findest Dich dabei noch toll / jeder weiß, Du hast gelogen / und die Wahrheit meist verbogen ( …) stell Dir nur einmal vor / jemand singt Dir die Wahrheit ins Ohr / Wir sind keine Freunde". Der Begriff Discosoul-Hymne freut den Künstler, "das ist ein großes Kompliment" – aber durchaus niedrig gegriffen, finde ich.
Die Single Kein Liebeslied wird ja allenthalben mit This Is Not a Love Song von PiL verglichen, das aber viel wütender und biestiger ist; Doraus Lied ist viel näher an Liebe wird oft überbewertet von den Lassie Singers, die ja auch nur mal ganz nebenbei erwähnen wollten, daß es noch andere Dinge im Leben gibt außer Herz und Schmerz, etc. Andreas Dorau hat eine ganze Liste parat, worüber man singen kann: "Firmen, Zähne, Brillen, Lücken, Geräte, Funktionen, Säure, Haare ( …)". Dazu gibt es ein hübsches Video (auch auf der CD), der wahrscheinlich erste Musikfilm zum No-Trendsport Curling.
Laut Dorau gehört auf jede Platte ein Störer, ein nerviges Lied: Die Klette erfüllt hier die Funktion von Ob-la-di-ob-la-da auf dem Weißen Album der Beatles: nämlich die anderen umso strahlender und perfekter erscheinen zu lassen. Aber natürlich darf sich jede/r sein persönliches Nervlied aussuchen.
Interviewfragen, miscellaneous:
Andreas war auch geladener Gast der (Popup Leipzig, als Podiumsredner erzählte er von seinen Erfahrungen als Videoconsultant bei Universal Music. Aber warum trat er nicht auf, um sein neues Album vorzustellen: "Ich bin nicht gefragt worden. Wahrscheinlich war ich zu teuer. Haha."
Live angeschaut hat er sich JaKönigJa und Die Türen (Buback-Labelabend am Messesamstag), aber vom Hocker reißt ihn zur Zeit keine deutsche Band. Allerdings hat ihm im letzten Jahr das Gespenster-Video von Jens Friebe gut gefallen.
Bleibt mir nur noch, die kommenden Liveauftritte von Dorau wärmstens, dringend und unbedingt zu empfehlen – wenn auch in diesem Jahr ohne die Bühnenbilder von Moritz RR!