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Sofie Lichtenstein: Bügeln. Protokolle über geschlechtliche Handlungen




Mai 2005
Christina Mohr
für satt.org


(Popup 2005
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(Popup Leipzig
19.-22. Mai 2005

Popup 2005

Uff, geschafft: die vierte (Popup-Messe ist vorbei, die Promo-CDs sind ausgepackt, die Buttons auf alle verfügbaren Jacken verteilt und die Augenringe gehen langsam wieder weg. "Leipzig" als Begriff hat sich zur Institution gemausert und entwickelt sich unaufhaltsam zur popkulturellen Hochburg; nur eine Woche nach dem berüchtigten, traditonell an Pfingsten stattfindenden Wave/Gotik-Treffen fielen nun die Indie-Nerds aus allen Himmelsrichtungen in die Stadt ein.

Wer auch nur ein bißchen was auf sich hält, war da: Die freundlichen Herren von Hazelwood Vinyl Plastics, Alfred Hilsberg von ZickZack/What's so Funny About wie immer und für alle Ewigkeit um seine Schützlinge bemüht, motor.fm, Spex und Intro, viele Downloadanbieter, das Leipziger Stadtmagazin Kreuzer, Labels von Rewika bis Tumbleweed, Schinderwies und Lado, Buback und Monika Enterprises, Kitty-Yo und V2 und und und. Die Merchandisingmaschinerie rund um (Popup ist mittlerweile kräftig in Gang gekommen: T-Shirts mit dem Messelogo werden von Spreadshirt hergestellt, Lee Jeans und Pilsner Urquell haben sich neben De:Bug und Spex in die Präsentatorenriege eingereiht. Schon im Vorfeld wiesen die Veranstalter darauf hin, dass die Kapazitätsgrenze erreicht sei, man möchte "vorsichtig wachsen", doch auch in diesem Jahr war die Ausstellerliste wieder länger als im Jahr zuvor; es sind zusätzliche Veranstaltungsorte dazu gekommen, insgesamt spielten über 80 Acts in 12 Locations. Das ist kaum zu schaffen, Mut zur Lücke ist angesagt. Selbstredend war das Programm in diesem Jahr wieder so üppig, daß für alle was dabei war – von Breakbeats bis Low-Fi, von Rockabilly bis ClickClickElektronik. Vielfalt ist King, und das paßt ja bestens in die Stadt des - genau – Leipziger Allerlei. In der Messehalle selbst herrscht wie in den Jahren zuvor die gleiche sozialistische Flohmarktatmosphäre: Jeder Aussteller hat exakt die gleichen Bedingungen. Keine Extras, keine Mätzchen, selbstbemalte Bettlaken als Standdeko gehen klar, aber sonst nix. Wer unbedingt Musik vorspielen will, kann das über Kopfhörer machen. Unverzichtbares Accessoire – noch weit vor Discmen, Plattenspielern oder iPods – ist der Laptop, kaum ein Stand ohne. Das Fanzine Blumenmädchen wird zu Grabe getragen (mit Sarg am Stand), seine Macher behaupten, fünf Jahre seien genug (da geht's bei satt.org doch erst so richtig los!). Ein Kondolenzbuch liegt aus, auch Jens Friebe trägt sich ein und malt eins seiner Tierchen dazu. Da lasse ich mich natürlich nicht lange bitten und schreibe einen unoriginellen Trauerspruch hinein. Die wie immer komplett unverständlichen Hallendurchsagen versorgen die Besucher vermutlich mit aktuellen Fußballergebnissen – genau kann ich das nicht sagen, aber die Dramatik des letzten Jahres (Bremen Deutscher Meister) scheint sich nicht wiederholt zu haben.



Popup 2005
12.00. Die Ruhe vor dem Sturm. Gleich wird's voll.


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Innenansicht - wir haben eine kleine Maus versteckt …


Popup 2005
In diesem Koffer ist alles drin, was zu einem perfekten Rock'n'Roll-Auftritt gehört. Habe leider den Namen des dazugehörigen Künstlers vergessen.

Die Podiumsdiskussionen stellten wieder harte Anforderungen an die wißbegierigen Besucher: Der fensterlose Raum unterm Dach wies schon ab 12.30 eine Sauerstoffkonzentration von höchstens zwei Prozent auf. Kompliment an die tapferen Diskutanten, die sich drohende Ohnmachten nicht anmerken ließen. Für die erste Diskussionsrunde, "Radiomat 2005 – Quo Vadis Popradio?" holte man sich mit Helmut Lehnert von Radio Eins und Tim Renner, mittlerweile Motor.fm zwei Medienprofis aufs Podium, die die Fragesteller rhetorisch blaß aussehen ließen, aber mein Gott, Professionalität sucks sowieso. Tim Renner ist ein freundlicher, aber knallharter Businessfuchs, die Liebe zur Musik mag man ihm abnehmen – aber sein Radiosender Motor.fm hat mit Independentethos ungefähr so viel zu tun wie Walmart mit der Ökokiste vom Friedberger Landwirt. Die Marketingkooperation zwischen Motor.fm und BMW sorgte wenig überraschend für hochgezogene Augenbrauen und Mißmutsbekundungen im Publikum. Profi Renner ließ sich nicht in die Ecke drängen und verteidigte das Konzept – dieser Moment offenbarte das ewige Indie-Dilemma: will man mehr Aufmerksamkeit und Breitenwirkung auf Kosten der Credibility oder lieber im Verborgenen wirken und trotzdem hübsche Blüten züchten? Unauflösbar wahrscheinlich; aber über mangelnde Resonanz oder Information braucht sich "die Szene" (wer immer dazu gehört oder sich dazu zählt) nicht zu beschweren. Das zeigt sich ja an gut besuchten Gelegenheiten wie eben der (Popup.

Zwei Diskussionsrunden weiter: bei "Fast Rewind – Videoclips vs. Das Ende des Musik-TVs?" saß Andreas Dorau auf der Bühne, der sich als smarter Medienprofi entpuppt (auch er hat wie Tim Renner eine Majorvergangenheit: er war Videoconsultant bei Universal), und keineswegs einen spinnerten Eindruck macht, wie man vielleicht auf Grund seiner Platten vermuten könnte. Aber seitdem die neue Platte draußen ist, weiß man ja, daß es Andreas und Dorau gibt, die nun endlich vereint sind. Leider hat Dorau sein Album Ich bin der Eine von uns Beiden nicht live vorgestellt (Review folgt in Kürze!), aber im Sommer wird er ein paar Konzerte geben.

Ein Punkt wird während der Diskussion immerhin klar herausgearbeitet: Musik-DVDs sind kein Musik-TV und ein iPod ist kein Radio! Kurzes Schwelgen in der guten alten Zeit, die in diesem Fall ohne falsches Pathos so genannt werden darf. Musiksender, die ihren Namen damals noch verdienten, echte Moderatoren, Sendungen wie 120 Minutes auf MTV und vor allem: keine Klingeltöne, nirgends. Klemens Wiese von mute berichtet von den Schwierigkeiten, Videos ins sogenannte Musikfernsehen zu bekommen – und von den hanebüchenen Ausreden, wenn ein Clip abgelehnt wird. Dennoch werden Videos gedreht; Markus Hablizel, der die Spex-DVD mitkompiliert, weiß, dass tausende von Musikfilmchen bei den Plattenfirmen auf Halde liegen, aber trotzdem nirgendwo laufen. Außer auf DVD. Eine seltsame Welt, das Popgeschäft! Erschöpft taumelt man wieder in die Halle, wo schon zügig zusammengepackt wird, der Messetag ging wie im Flug vorbei, jetzt heißt es Bands gucken, so lange es noch geht! Die neue Entdeckung am Indiehimmel habe ich in diesem Jahr dennoch vermißt; klar, Katze sind süß, ihr Auftritt charmant, Klaus Cornfield von Throw That Beat (lang ists her) ist sichtlich froh darüber, nicht mehr nur anderer Leute Bandlogo zu malen (Timid Tiger), sondern selber wieder auf der Bühne zu stehen. Katze fallen durch exaltierte Popstarkleidung auf (riesige Militärmütze/Cornfield, schwarzes Kostüm, gewagte Frisur/Minki), was ich ja gut finde nach den Zeiten, wo man nicht erkennen konnte, wer der Beleuchter und wer der Hauptact war.

Julia Hummer & Too Many Boys, die Schauspielerin im Straßenkinderlook und ihre folkige Band sind zwar nicht mein Fall, aber die Aufmerksamkeit aller Medienorgane ist ihnen jetzt schon sicher – von ihnen wird man noch viel hören in diesem Jahr. Ansonsten viele vertraute Gesichter, die man auch 2004 schon bei der (Popup sehen konnte: die Broken Beats, die von WDR-Kameras verfolgt wurden, The Robocop Kraus und Die Türen, Timid Tiger – Eintagsfliege war gestern, Kontinuität regiert!

Spätestens am Samstag stellte das Abendprogramm schier unlösbare Probleme: Wie soll man das schaffen, ungeklont von der Moritzbastei (Buback-Labelabend mit den Türen und JaKönigJa, außerdem School of Zuversicht) ins Conne Island (die Party zur Show zum Buch zur Podiumsdiskussion zur CD-Vorstellung "I Can't Relax in Deutschland" mit von Spar, Räuberhöhle, The Robocop Kraus) in die Halle 5/Werk II (Broken Beats), dann in die Distillery (De:Bug-Party mit A Guy Called Gerald, Franklin de Costa) zu gelangen, und das waren nur die Veranstaltungen, die ich mir angekreuzt hatte, es gab natürlich noch viel mehr. Gelandet bin ich dann im sicheren Schoß von Ilses Erika, wie auch am Abend zuvor, wo nach NMFarner Motormark aus Glasgow zackig-eckige Wavegeschosse von der Bühne feuerten, gipfelnd in ihrer Version von My Sharona. Kissogram aus Berlin konnten wieder viele Herzen öffnen, nur meins bleibt noch verschlossen; mein Einwand, dass mich beide Musiker stark an Florian Illies erinnerten, fand keinerlei Zustimmung. Aber Samstag: Electronicat soll in der Ilse spielen, aber es geht und geht nicht los, offenbar wird gewartet, bis die Leute aus den anderen Clubs eintrudeln, das dauert halt ne Weile. Um kurz nach eins, der Künstler ist schon sichtlich angeschlagen, fängt er endlich an und es wäre auch alles ganz prima, würde nicht der Techniker dauernd rummosern und die Lautstärke drosseln wollen. Monsieur Bigot alias Electronicat ist schwer irritiert, funktioniert doch seine Musik hauptsächlich durch das ausgetüftelte Zusammenspiel von ordentlich Hall und Rückkopplung. Aber irgendwie einigt man sich, und Rockabilly- und Technofans feiern Fred Bigot gebührend, nämlich wild tanzend.

Fazit zum Schluß: Natürlich wieder eine tolle Sache, vorbehaltlos zu lobpreisen; gäbe es die (Popup nicht, man müßte sie schleunigst erfinden. Aber ich habe einen Wunschzettel fürs nächste Jahr: bitte wieder weniger Locations oder ein Festivalticket mit freier ÖVP-Nutzung; mehr Frauen bzw. überhaupt Frauen in die Podiumsdiskussionen – glaubt doch kein Mensch, dass es keine weiblichen Radio-, Video- oder FanzinemacherInnen gibt. Aber das klappt bestimmt auch noch! Bis im nächsten Jahr, wir sehn uns!